Das Legionslager in Lauriacum war der wichtigste Militärstandort an der Nordgrenze der römischen Provinz Noricum. Wie Stefan Traxler bereits berichtete, brachten groß angelegte Forschungsprojekte im Vorfeld der oberösterreichischen Landesausstellung 2018 "Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich" enorme Erkenntnisgewinne speziell über die zivilen Siedlungsräume. Doch wie lebte es sich in dieser Stadt? Wie erging es den Menschen und an welchen Krankheiten litten sie?

Knochen als Informationsquelle

Um diesen Fragen nachzugehen, untersuchten wir im Rahmen eines dreijährigen Projektes – eine Kooperation zwischen dem Oberösterreichischen Landesmuseum und dem NHM Wien, finanziert vom Land Oberösterreich – menschliche Skelettreste aus Lauriacum. Im Mittelpunkt stand das Gräberfeld Steinpass, das mit 381 dokumentierten Brand- und Körpergräbern den bis dato größten Bestattungsplatz Lauriacums darstellt. Ins 2. bis 4. Jh. n. Chr. datiert, fällt dessen Belegung in die Zeit der Stationierung der legio II Italica.

Das OÖ Landesmuseum führte am Gräberfeld Steinpass in Enns in den Jahren 1951 bis 1963 Rettungsgrabungen durch.
Foto: OÖLM

Ein gefährliches Leben

Am Steinpass wurden überdurchschnittlich viele Männer, zumeist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, begraben. Ihr Anteil ist so hoch wie in keinem anderen bisher untersuchten Gräberfeld am österreichischen Abschnitt des Donaulimes. Kinder und Frauen sind hingegen deutlich unterrepräsentiert.

Besonders auffällig waren die vielen verheilten und unverheilten Schädelverletzungen. Bei Letzteren handelt es sich zumeist um Lochbrüche im Schädeldach, aber auch Schwerthiebe konnten festgestellt werden. Obwohl sich der genaue Tathergang nicht rekonstruieren lässt, sprechen Form und Lage vieler Verletzungen für zwischenmenschliche Gewalt, genauer, für Kampfhandlungen. Die Befunde unterstützen die archäologische Hypothese, dass dieses nahe dem Legionslager liegende Gräberfeld vermutlich von Soldaten und deren Familien genutzt wurde.

Verheilter (links) und nicht verheilter Schwerthieb (rechts). Enns/Steinpass, Grab 223, ♂, 20 bis 40 Jahre.
Fotos: W. Reichmann, NHM Wien

Volkskrankheit Sinusitis

Ein auffallender Befund war die Häufigkeit von Atemwegserkrankungen wie zum Beispiel die chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen (Sinusitis). Erstaunlicherweise litten daran mehr als 80 Prozent der diesbezüglich untersuchbaren Individuen. Man kann diese Erkrankung also durchaus als Volkskrankheit bezeichnen.

Die Ursache für die weite Verbreitung dürfte in den kaum isolierten und schlecht beheizbaren Häusern und Kasernen liegen. Neben der starken Rauchentwicklung beim Heizen und Kochen belasteten auch (Rauch-)Gase, Ruß und Feinstaub aus Handwerksbetrieben und von Leuchtmitteln die Atemwege. Die hohe Bevölkerungsdichte förderte zudem die Verbreitung von Atemwegserkrankungen. Das Leben in Lauriacum war in dieser Hinsicht wenig behaglich.

Knochenneubildungen in der linken Kieferhöhle aufgrund von chronischer Sinusitis. Enns/Steinpass, Grab 60, ♂, 20 bis 25 Jahre.
Foto: W. Reichmann, NHM Wien

Schlechter Zustand der Zähne

Die Untersuchung auf Zahnerkrankungen brachte ähnliche Erkenntnisse wie bei anderen römerzeitlichen Gräberfeldern: Die Menschen hatten schlechte Zähne. Fast alle hatten sie Zahnstein, Karies konnte bereits bei über der Hälfte der Jugendlichen und bei praktisch allen älteren Erwachsenen festgestellt werden. Oftmalig kam es dadurch auch zu Abszessen im Zahnwurzelbereich; traurige Spitzenreiter waren zwei ältere Männer mit jeweils elf Abszessen.

Daraus lässt sich einerseits auf eine unzureichende Zahn- und Mundhygiene schließen, andererseits auf eine kohlehydratreiche Ernährung. Neben dem Hauptnahrungsmittel Getreide standen wohl auch süße Lebensmittel wie etwa Honig, eingedickter Süßmost oder (Trocken-)Früchte auf dem Speiseplan der hier Bestatteten.

Oberkiefer mit Karies an den Zähnen und Abszessen im Zahnwurzelbereich. Enns/Steinpass, Grab 375-1, ♂, 25 bis 35 Jahre.
Fotos: W. Reichmann, NHM Wien

Staub und Asche

Bis ins 2. Jh. n. Chr. war Leichenverbrennung die bevorzugte Bestattungsart, Körperbestattungen setzten sich erst später durch. Daher dürfte es sich bei den Brandgräbern um die älteren Bestattungen handeln. Wenngleich Knochen durch die Verbrennung schrumpfen und in kleine Fragmente zerbersten, lässt sich noch einiges daran feststellen. Aus der Farbe der Leichenbrandfragmente kann geschlossen werden, dass die Toten zumeist vollständig, mit einer Temperatur von über 800 °C verbrannt wurden. In vielen Fällen ließ sich das Geschlecht und das ungefähre Sterbealter bestimmen: Auch hier überwiegen Männer im jüngeren Erwachsenenalter. In einem ungewöhnlichen Fall konnte sogar die wahrscheinliche Todesursache rekonstruiert werden: Schnittspuren am Kiefer und ersten Halswirbel eines 40- bis 60-jährigen Mannes deuten auf ein Verbluten als Folge der durchtrennten linken Halsschlagader hin.

Teile des Leichenbrandes (Rippen-, Wirbel- und Beckenfragmente) aus Grab 120. Mit einem Gesamtgewicht von über 1.300 Gramm gehört dieser zu einem der vollständigsten vom Steinpass.
Foto: A. Stadlmayr, NHM Wien

Zur Bioarchäologie der Kronstorfer Doppelbestattung

Molekularbiologische Untersuchungen im Gräberfeld Steinpass blieben aufgrund der überwiegend schlechten DNA-Erhaltung zunächst ergebnislos. Mittlerweile konnten wir in einigen Proben DNA nachweisen – allerdings müssen die Daten noch verifiziert werden. Bei einem Grab unweit von Enns hatten wir mehr Glück. In Kronstorf wurde 2016 bei Bauarbeiten ein spätantikes Steinkistengrab entdeckt. Darin fanden sich die Skelette eines circa 15- bis 18-jährigen Mannes und einer circa 40- bis 60-jährigen Frau. Beide datieren über 14C in das 3.–4. Jh. n. Chr., was die kulturhistorische Einordnung anhand der Grabbeigaben bestätigt. Die Überreste des jungen Mannes wirken als wären sie im Grab beiseite geschoben worden, das weibliche Skelett befand sich in anatomisch korrekter Lage. Folglich wurde der Mann zuerst bestattet.

Die Doppelbestattung des spätantiken Steinkistengrabes aus Kronstorf. Im Bild oben: Skelett des Mannes, unten: Skelett der Frau.
Foto: W. Klimesch

Im Rahmen der DNA-Analytik wurde das biologische Geschlecht verifiziert und die beiden hinsichtlich ihrer Verwandtschaft untersucht. Das Standardverfahren aus der forensischen Molekularbiologie und die biostatistische Bewertung ergaben eine Wahrscheinlichkeit von 90,5 Prozent für eine elternschaftliche Beziehung, knapp 9,5 Prozent für eine Vollgeschwisterschaft und nur eine minimale Restwahrscheinlichkeit für eine Nicht-Verwandtschaft. Aufgrund der DNA-Befunde und der 14C-Datierung war es allerdings nicht möglich festzulegen, ob die Frau die Mutter des jungen Mannes war (und er früh verstarb) oder – wenngleich auch deutlich unwahrscheinlicher – der junge Mann Vater eines Mädchens war, das ihn lange überlebte. (Maria Marschler, Andrea Stadlmayr, Jan Cemper-Kiesslich, 17.5.2018)