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Am Pfingstwochenende wurden in Guadalajara die sterblichen Überreste von 22 Opfern der Franco-Diktatur beerdigt (im Bild die Zeremonie für Casto Mercado Molada, Ángel Viñas Díaz und Tomas sowie Manuel Escamilla Rebollo). Viele lagen jahrelang nur in Massengräbern.

Foto: AP / Francisco Seco

María Carmen Gayoso steht irgendetwas zwischen Trauer und Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Sie deutet auf das Grab ihrer Familie auf dem Friedhof von Guadalajara, 60 Kilometer östlich der spanischen Hauptstadt Madrid. "Endlich konnte ich meinen Urgroßvater und meinen Großonkel beisetzen", sagt die Valencianerin zwischen Lächeln und unterdrücktem Schluchzen.

Urgroßvater Jesus Sánchez Cortés und Großonkel Contancio Sánchez Valero wurden am 25. Oktober 1939 von den im Bürgerkrieg siegreichen Faschisten unter General Francisco Franco abgeführt, standrechtlich erschossen und in einem Massengrab verscharrt. Ihr Verbrechen: Beide waren ortsbekannte "Rote". Der Urgroßvater war Sozialist und Gemeinderichter in seinem Heimatort Armuña de Tajuña, sein Sohn Gewerkschafter und Kommunist.

Tote in Massengräbern verscharrt

Die Säuberungswelle war unerbittlich. Von 250 Einwohnern erlitten 20 das Schicksal der beiden Sánchez, darunter auch der Großvater von María Carmen Gayoso. "Er liegt hier im Massengrab Nummer 9", weiß die Enkelin. Doch damit nicht genug: Eine Tante versteckte sich die ganze Diktatur über in Zaragoza, ein Onkel wurde seiner Heimat verwiesen und fristete sein Leben in Barcelona. "Beide starben, ohne je zu wissen, wo die Leichname ihres Vaters und Bruders abgeblieben waren. Jetzt liegen sie alle zusammen im Familiengrab", sagt Gayoso sichtlich erleichtert.

Die Beisetzung, die eine seit 78 Jahren offene Wunde schließt, ist das Ende dieses langen Pfingstsamstagmorgens voller Emotionen. Alles beginnt im festlichen Saal der Kreisverwaltung von Guadalajara mit einer Feierstunde. Die beiden Kisten mit den Überresten von Jesús und Con stancio Sánchez stehen zusammen mit 20 weiteren feinsäuberlich aufgereiht am Rande der Bühne. Auf jeder ein violettes Tuch, eine weiße Nelke, ein Foto. Auf einem Tisch kleine Holzschachteln mit den Namen der Opfer und persönlichen Gegenständen, die bei den Toten gefunden worden waren. Dazu Geigenmusik in Moll, Gedichte, Ansprachen.

Keine Hilfe für die ...

Die Vereinigung zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung (ARMH) übergibt schließlich die sterblichen Überreste dieser 22 Opfer des Franquismus. Sie – außerdem drei weitere identifizierte Opfer sowie 25, deren Identität noch nicht endgültig feststeht – stammen aus dem Massengrab Nummer 1 und 2 auf dem Friedhof in Guadalajara. Die Archäologen der ARMH hatten sie vor einem Jahr geöffnet.

Dass dies möglich war, ist nicht etwa das Verdienst der spanischen Justiz: Diese weigert sich bis heute, die Familien der mehr als 100.000 verschwundenen Opfer der Repression im Bürgerkrieg und den ersten Jahren der Diktatur zu unterstützen. Als Begründung dient die 1977, zwei Jahre nach dem Tod des Diktators erlassene Amnestie für alle faschistischen Verbrechen.

Ascensión Mendieta, Tochter eines Gewerkschafters, bat deshalb die argentinische Justiz um Hilfe. Im Alter von 88 Jahren flog sie über den Atlantik und fand bei Richterin María Servini Gehör. Das argentinische Gesetz erlaubt, weltweit Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, wenn die Opfer zu Hause keine Gerechtigkeit finden. Die Familie Mendieta erwirkte ein internationales Hilfegesuch für die Exhumierung. Dem Gericht in Guadalajara blieb nichts anderes übrig, als die Ausgrabungen zu genehmigen. Für die Kosten kam nicht etwa der spanische Staat auf, sondern die ARMH von Spenden einer norwegischen Gewerkschaft.

... Opfer der Franco-Diktatur

Spaniens konservative Regierung unter Mariano Rajoy hat bereits das achte Jahr in Folge alle Zuwendungen an Organisationen, die Opfer des Franquismus suchen, gestrichen. Gleichzeitig gibt es aber staatliche Hilfen für die Angehörigen von Opfern der mittlerweile aufgelösten baskischen Separatistenorganisation Eta. "Es wird Zeit, dass in diesem Land alle Opfer gleich behandelt werden", sagt der Vorsitzende und Gründer der ARMH, Emilio Silva im Festsaal unter Applaus.

Neben Timoteo Mendieta förderte die Ausgrabung 49 weitere Opfer zutage. Deren Übergabe an die Familien in Guadalajara war die größte ihrer Art, seit die ARMH im Jahr 2000 anfing, nach Opfern in Massengräbern und Straßengräben zu suchen. "Ich bin dieser Frau sehr zu Dank verpflichtet. Ohne ihren Mut und Beharrlichkeit wären wir heute nicht hier", sagt Gayoso. Sie hofft jetzt, dass irgendwann auch ein Richter die Exhumierung der Opfer in Grab 9 veranlasst und dass diese jemand auch finanziert. "Denn die archäologischen Arbeiten und die DNA-Tests sind nicht billig", sagt sie.

Da ist es wieder: das Gefühl, als Opfer der Faschisten vergessen und verlassen zu sein. (Reiner Wandler, 21.5.2018)