Im Westen von Los Angeles, La Brea Avenue, Höhe Hausnummer 819. Die Sonne knallt auf den Asphalt, am Straßenrand parkt ein weißer Container vor einem hellen, kubischen Gebäude. Wer nicht weiß, was in ihm steckt, fährt an ihm vorbei. Modeauskenner steuern diese Adresse hingegen wie im Schlaf an. Hier befindet sich der Shop des US-Designers Rick Owens, ein minimalistischer White Cube mit Betonboden und integriertem Wasserspiel. Geführt wird er von Michèle Lamy, einer schmalen, kleinen Frau mit Goldzähnen, Owens langjähriger Partnerin in crime.

Ganze vier Tage steht nun ein Container vor dem Shop. In dem Pop-up-Store trifft Birkenstock auf Rick Owens, Rheinland-Pfalz auf L.A.: Der Boden ist mit grauem Wollfilz ausgelegt, auf einer Handvoll haariger Sitzmöbel thronen Sandalen von Birkenstock. Der amerikanische Designer, Liebling aller Schwarzträger, hat für das deutsche Unternehmen Hand angelegt: Die Hipstermodelle Arizona und Madrid sind mit Rinderfell bezogen oder aus schlammgrünem Veloursleder gefertigt.

Birkenstock Modell Arizona, neu designt von Rick Owens.
Foto: Birkenstock

Der Gesundheitsschuh made in Germany soll neue Zielgruppen erreichen. Dazu gehören auch jene, die bereit sind, für limitierte Kollektionen tiefer in die Tasche zu greifen. Eine mit Rinderfell bezogene Arizona-Schlapfe von Rick Owens kostet 285 Euro, das ist das Vierfache des Arizona-Standardmodells.

Designermodelle

Die Modecommunity von Los Angeles schreckt solche Preise nicht, Sandalen von Rick Owens kosten ein Vielfaches der Birkenstock-Designermodelle. Bei der Eröffnung des Pop-up-Stores steht man auf grünem Rollrasen herum, nippt an kaugummifarbenen Drinks und posiert bereitwillig mit den haarigen Sandalen in den Händen (siehe Bilder & Video).

Zeigt her eure Füße: Das pfälzische Unternehmen Birkenstock schlug anlässlich der Vorstellung seiner Designerkooperation für wenige Tage in Los Angeles auf. Die Mode-Insider (Zweite von links Michèle Lamy, Zweiter von rechts der französische Magazinmacher Olivier Zahm ) posierten bereitwillig mit den Modellen von Rick Owens. Nur der kalifornische, in Paris lebende Designer fehlte.
Foto: Birkenstock
Video vom Eröffnungsevent.
BIRKENSTOCK

Colette-Gründerin Sarah Lerfel ist da, das Transgendermodel Hari Nef, der Pariser Magazinmacher Olivier Zahm posiert mit seiner aktuellen Begleitung, mitten in dem bunten Getümmel steht Oliver Reichert, der fast zwei Meter große Geschäftsführer des deutschen Unternehmens. Nur einer fehlt: Rick Owens. Der Modedesigner ist seit Jahren nicht mehr nach Los Angeles gereist.

"The Germans" aus Neustadt/Wied graben mit ihrem Pop-up-Container und den limitierten Kollektionen eine modeaffine Kundschaft an. Im Sommer letzten Jahres gestaltete Andreas Murkudis einen ersten Container in Berlin, dann folgten Stopps in New York bei Barneys und im Mailänder Conceptstore 10 Corso Como. Nächste Anlaufstelle nach Los Angeles soll Asien sein.

Familiengeschichten

Die neue Unternehmensstrategie kommt nicht so überraschend. Der Imagewandel des Gesundheitsschuhs in den letzten Jahren ist schließlich auch den Szene- und Modemenschen zu verdanken. Die Modewelt entdeckte früh den eigenwilligen Reiz des plumpen Zweiriemers, den ausgelatschten Hausschuh der Volksschullehrer, für sich. 1990 lichtete die britische Fotografin Corinne Day Kate Moss in weißen Arizona-Schlapfen ab und stellte das Image des Gesundheitsschuhs auf die Probe. Im Mundwinkel der damals 16-Jährigen hing eine Zigarette, an den Füßen des britischen Hungerhakens sahen die Birkenstocks plötzlich so aus, als riefen sie: "Sind wir nicht sexy?" In Rheinland-Pfalz kam diese Botschaft lange nicht an.

Ein Klassiker im Sortiment: Modell Gizeh.
Foto: Birkenstock

Wie auch, die Familie Birkenstock war zu sehr mit hausgemachten Problemen beschäftigt. Christian, Alex, Stephan, die drei Söhne des Unternehmenspatriarchen Karl Birkenstock, die in den späten 1980er-Jahren ins Unternehmen eingestiegen waren, produzierten Negativschlagzeilen: Die Familie kämpfte mit den Betriebsräten, das Familienoberhaupt und seine Söhne zerfleischten sich untereinander, man verzettelte sich mit zu vielen Untermarken, das Onlinegeschäft ließ man lange links liegen.

Bis irgendwann Christian Birkenstock, der Jüngste der drei, den Medienmanager Oliver Reichert, zuletzt für das Deutsche Sportfernsehen tätig, an Bord holte. Stephan, der älteste Birkenstock-Sohn, verließ das Unternehmen, seit 2013 vertritt Reichert nun den einen, Markus Bensberg, Geschäftsführer Nummer zwei, den anderen im Unternehmen verbliebenen Bruder.

Oliver Reichert leitet seit 2013 als einer von zwei Geschäftsführern das deutsche Unternehmen Birkenstock.
Foto: BFA, Birkenstock

Neues Gesicht

Mit Reichert stieg erstmals in der 240-jährigen Unternehmensgeschichte ein "Nicht-Birkenstock" in das Familienunternehmen ein. Der ehemalige Medienmanager gibt dem Unternehmen ein Gesicht, Reichert gibt seither die Interviews und bringt sich als Freigeist, als Mann klarer Worte in Stellung. "Die herausragendste Leistung der letzten Jahre", erklärt er in Los Angeles, sei bei Birkenstock gewesen, "dass die Familie eine gesunde Distanz zur Unternehmung hat".

Der Mittvierziger sitzt zusammengefaltet auf einem Korbsessel im Innenhof des Chateau Marmont, am Abend wird die große Eröffnung des Pop-up-Stores über die Bühne gehen. Reichert provoziert gern. Im letzten Jahr hat er sich öffentlich mit Amazon angelegt, Birkenstocks gibt es nun sowohl in den USA als auch in Europa nicht mehr bei dem Onlineriesen zu kaufen.

Stattdessen wurde, mit ordentlicher Verspätung, auf der Unternehmenswebsite ein eigener Shop aufgesetzt. Zeit wurde es, in der Vergangenheit hatte es sich das Unternehmen gemütlich gemacht, vielleicht auch weil die durchschnittliche Birkenstock-Kundschaft überaus loyal ist. Reichert weiß das: "Wir dürfen nicht zum Saunaklub des eigenen Museums, zu Kirchweihpferden, die die eigene Monstranz vor sich hertragen, werden." Wie zum Beweis trägt der Geschäftsführer an diesem Nachmittag im Chateau Marmont die felligen Designerschlapfen von Rick Owens an den bloßen Füßen.

Auch Sneakers gibt es mittlerweile im Programm.
Foto: Birkenstock

Wenn der Zweimetermann sich einmal warmgelaufen hat, haut er einen Sager nach dem anderen raus – der einstige Medienmanager weiß, was die Presse braucht. So sei der Birkenstock, gemessen an High Heels von Louboutin, ein feministisches Statement: "Birkenstocks zu tragen bedeutet ein Stück weit eine Befreiung, ein Zurück zum eigenen Körper, ein 'Scheiß drauf, was die anderen denken'. Gerade Frauen sollten sich von dem Gedanken befreien: Ich muss sexy sein."

Oliver Reichert kann derzeit sowieso erzählen, was er will. Das Unternehmen kommt der Nachfrage nach Schlapfen kaum hinterher. Und in Neustadt/Wied geht es nun längst nicht mehr nur um Arizona, Madrid oder Gizeh. Das Unternehmen hat neue Betätigungsfelder gefunden: Sneaker, Naturkosmetik, Betten (entwickelt mit dem österreichischen Hersteller Ada), Büromöbel. Hauptsache, gesund und irgendwie bequem – Reicherts Fantasie kennt kaum eine Grenze, wenn es darum geht, das Geschäft mit dem Fußbett weiterzudenken. (Anne Feldkamp, RONDO, 29.5.2018)

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