Ein Häftling steht am Fenster seiner Zelle im Forensischen Zentrum Asten bei Linz, einem Vorzeigeprojekt im österreichischen Maßnahmenvollzug. Dort gibt es seit zwei Jahren 24 Plätze mehr, weitere vergleichbare Einrichtungen sind jedoch nicht in Sicht.

Foto: APA/Fohringer

Wien – Zuletzt rückte der Kriminalfall rund um eine zerstückelte Leiche im Neusiedler See den Maßnahmenvollzug, also die Behandlung von psychisch kranken oder gefährlichen Straftätern, in den Fokus. Der Tatverdächtige, der auch angegeben hatte, er habe Teile der ermordeten Frau "kosten" wollen, hatte viele Jahre in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verbracht. Wurde er zu früh entlassen? Ist das Rückfallrisiko bei Straftätern nicht gefährlich hoch?

Das Problem seien die fehlerhaften Grundlagen für valide Antworten auf diese Fragen, meint dazu die Menschenrechtsexpertin und Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper. Diese seien "unzureichende Gutachten über die Straftäter, unzureichende Nachbetreuung Entlassener – und beides vor dem Hintergrund eines zeitlich unbegrenzten und daher menschenrechtswidrigen Freiheitsentzugs". Um das zu ändern, sei Justizminister Josef Moser (ÖVP) dringend aufgefordert, die Ergebnisse der Taskforce Maßnahmenvollzug seines Vorgängers Wolfgang Brandstetter umzusetzen.

Grafik: der Standard

Auf unbestimmte Zeit

Tatsächlich wird eine Maßnahme – eine vom Gericht verfügte Wegsperrung – immer auf unbestimmte Zeit verhängt. Laut Gesetz ist sie "so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert". Zurechnungsunfähige Täter werden in die Psychiatrie eingewiesen, statt in Haft genommen zu werden, wenn eine entsprechende Gefährlichkeitsprognose vorliegt.

Bei Tätern, die allgemein als zurechnungsfähig, aber zur Tatzeit als zurechnungsunfähig gelten, wird die psychiatrische Maßnahme zusätzlich zur Strafe verhängt (siehe Wissen). Vor allem letztere Gruppe hat sich seit 2000 stark vergrößert (siehe Grafik), im Schnitt bleiben sie 3,5 Jahre länger im Maßnahmenvollzug, als die reine Haftstrafe ausgemacht hätte.

Erste Warnung im Jahr 2013

2013 hatte Krisper, damals Mitarbeiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, mit dessen damaligem Leiter, Manfred Nowak, vor Verurteilungen Österreichs vor dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg wegen des Maßnahmenvollzugs gewarnt. Für den Ende 2013 zum Justizminister ernannten Wolfgang Brandstetter (ÖVP) war ihre Expertise mit ein Anlass für seine tiefgreifenden Reformpläne für den Umgang mit geistig abnormen Tätern.

Doch Brandstetter konnte die Änderungen nur in Ansätzen realisieren. Also behielten Nowak und Krisper recht: Seit 2013 wurden Österreich vom EGMR wegen des Maßnahmenvollzugs zweimal Menschenrechtsbrüche attestiert, 2015 und 2017.

Gegen das Recht auf Freiheit

Im ersten Fall, jenem eines von 2005 bis 2009 in Garsten einsitzenden Gewalttäters, bezeichnete das Straßburger Gericht die Verschleppung der mehrfachen Verlegungsanträge des Häftlings in ein normales Gefängnis als Verstoß gegen dessen Recht auf Freiheit und Sicherheit.

Im zweiten Fall, jenem eines 1983 wegen mehrfachen Mordes verurteilten Mannes, beurteilte es dessen Verbleib im Gefängnis Stein trotz fünf Anträgen auf Verlegung in die Sonderanstalt Wien-Mittersteig als "unrechtmäßige Haft". Mitgliedstaaten des Europarats sind verpflichtet, Urteile des EGMR in ihr Recht einzubringen, um die monierten Missstände für künftige Fälle zu beseitigen.

Umstrittene Gutachten

Eine wichtige Rolle in den EGMR-Urteilen spielt die Gutachterkritik. Um deren unzureichende Honorare ging es auch 2015 im Journal für Strafrecht. Die Justiz zahle nur rund 200 Euro pro Gutachten. Für sechs- bis achtstündige Begutachtungen, die für die Bewertung des Geisteszustandes einer Person eigentlich notwendig seien, ist das zu wenig, schreiben der Kriminalsoziologe Wolfgang Stangl und andere. (Irene Brickner, Michael Simoner, 25.5.2018)