Der Österreich-Pavillon mit der Spiegelfläche des Büros LAAC. Sie soll als Teil einer riesigen Kugel gesehen werden.


Foto: Martin Mischkulnig

"Thoughts Form Matter": Ausstellungsansicht mit "Layers of Atmosphere" (Henke Schreieck).

Foto: Martin Mischkulnig

Die dunkel verspiegelte Brille entpuppte sich als beste Freundin des Podiums und des Publikums. Nachdem sich der Himmel endlich gelichtet hatte, kam am Donnerstagnachmittag die Kraft der Sonne nämlich nicht nur von oben, sondern auch von unten. "Wir stehen hier auf einer gewölbten Spiegelfläche, die wir in den österreichischen Pavillon mit seiner charakteristischen kreisrunden Gartenmauer eingeschrieben haben", erklärten Kathrin Aste und Frank Ludin bei der Pressekonferenz in Anwesenheit von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP). "Man kann die Spiegelfläche entweder als Kuppel lesen oder aber als oberste Kappe einer ziemlich großen Kugel, auf der wir uns gerade befinden."

Außenansicht des Österreich-Pavillons.
Foto: Martin Mischkulnig

Letzteres freilich entsprach der Wunschdefinition des Innsbrucker Architekturbüros LAAC, das den österreichischen Pavillon gemeinsam mit den Wiener Architekten Henke Schreieck und dem New Yorker Designbüro Sagmeister & Walsh gestaltete und darin ein fröhlich fußirritierendes, weil buckeliges Erlebnis konstruierte. "Es ist eine fiktive Kugel mit einem Durchmesser von 256 Metern, also ein Modell der Erde im Maßstab 1:50.000. Es ist eine Kugel, die nicht immer bequem ist, die mal kalt ist und mal heiß – und die manchmal auch ziemlich blendet so wie heute." Applaus.

Großzügigkeit des Geistes

Die 16. Architektur-Biennale in Venedig, die morgen, Samstag, offiziell eröffnet wird, steht heuer unter dem Generalmotto "Free space". Die vermeintlich großzügige Freiheit des Themas ist bewusst gewählt und versteht sich nicht zuletzt als Gegengewicht zu jener schwindenden Freiheit, die seit einiger Zeit auf dem globalpolitischen Parkett zu beobachten ist. "Freespace beschreibt eine Großzügigkeit des Geistes und ein Gefühl der Menschlichkeit", sagen die beiden Biennale-Direktorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara. "Freespace kann ein Raum für Möglichkeiten sein, ein demokratischer Raum, ein unprogrammierter Raum, ein Raum, der gänzlich frei ist für noch nicht festgelegte Nutzungen."

Der Österreich-Beitrag, kuratiert von Verena Konrad (Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts Vai), beweist wie viele andere Länderbeiträge auch, wie schwierig sich Planer und Architektinnen mit dem heuer ausgesprochenen Motto tun. Jeder, möchte man meinen, sehnt sich nach dem Überfluss an geistigen als auch räumlichen Ressourcen, nach dem Paradies, in dem Milch in Form von nichts und Honig in Form von allem fließen. So konzeptionell schön und ästhetisch fesselnd der österreichische Pavillon sein mag ... räumlich leer und frei im Geiste ist er nicht.

Das liegt allein schon daran, dass Konrad die Idee des Freiraums auf ihre Weise weiterinterpretierte und den Pavillon nicht zuletzt auch als Kommentar auf die österreichische Kulturpolitik verstanden wissen will: "Nicht das Absolute steht im Vordergrund, sondern die Koexistenz. Ich setze mich dafür ein, dass wir eine Kultur der Kooperation pflegen. Dieses räumliche Experiment ist ein Zeichen dafür. Man muss den Raum spüren und erleben. Mit einer allzu großen Distanz zueinander funktioniert das nicht. Es braucht Körper und Geist zugleich." Die in elegante Kuratorinnenworte eingepackte Kritik sitzt.

Ausstellungsansicht mit "Sphäre 1:50.000" (LAAC).
Foto: Martin Mischkulnig

Jenseits von Österreich zeigt sich die Architektur-Biennale in großen Teilen auch diesmal wieder als Leistungsschau kuratorischer Ansätze, die den eigenen nationalen Beitrag weniger als geistige Installation denn als baulich manifeste XXL-Museumsschau in streberhafter, weil verbal, grafisch und statistisch komplett überladener Manier interpretieren.

Brasilien analysiert sich selbst und stellt geografisch aufbereitete Statistiken mit Verkehr, Kaufkraft, Migrantenströmen, Materialtransporten und Immobilieninvestments aus. Eh ganz nett. Die USA untersuchen sieben unterschiedliche Koexistenzmaßstäbe vom einzelnen Individuum bis hin zum Kosmos und verfehlen dabei das eigene Konzept, indem sie den Pavillon in eine technologische Installationsorgie mit Pads, Monitoren und Projektionen transformieren. Sehr anstrengend. Und die Niederlande wollen ihren Pavillon, in den sie 256 orange Schließkästchen mit 256 Ausstellungsinnenleben gepackt haben, als Tribüne verstehen. An den Eröffnungstagen werden internationale Gastredner zu unterschiedlichen Themen wie etwa Baukultur, Digitalisierung und der Automatisierung und Robotisierung unserer gebauten Umwelt vortragen. Eine wunderbare Idee für die allerersten Wochenendbesucher. Und dann?

Die vielleicht spannendsten und auch im Stress der Biennale gut und gerne konsumierbaren Länderbeiträge sind Israel, Irland, Indonesien, Deutschland, die Schweiz sowie der Kooperationspavillon von Tschechien und der Slowakei, die mit Gänsehaut, surrealem Humor oder einfach nur poetischem Tiefgang punkten.

Das sich in Architekturbelangen sonst so säkular präsentierende Israel wagt sich diesmal an die heilige Kuh Religion heran und untersucht Glaubensstätten wie etwa die Grabeskirche, die Klagemauer und die Ibrahimi-Moschee in Hebron – und überprüft dabei, wie jene Räume, die unter Hochspannung stehen, dennoch gut geteilt und im Miteinander genutzt werden können.

"Wir Architektinnen aus Tel Aviv schauen so gerne von den religiösen Konfliktherden weg", sagt Kuratorin Ifat Finkelman im Gespräch. "Aber tatsächlich können wir, wenn es um das Verhandeln der Nutzungen städtischer Freiräume geht, von genau diesen Konfliktherden lernen. Denn es sind Orte, die sich im Laufe eines Tages oft komplett verändern, um für unterschiedliche Personengruppen Platz zu machen. Es sind Orte, die permanent neu verhandelt werden müssen. In einer Welt mit einer stetig wachsenden Bevölkerung kann uns dieses Verhandeln als Vorbild dienen."

Rückbau von Mauern

Gänzlich verändert hat sich auch der längste Wald Europas. Oder, um mit den Worten des deutschen Kurators und Graft-Architekten Wolfram Putz zu sprechen, "das längste freie und unbebaute Grundstück auf diesem Kontinent". Die Rede ist von der innerdeutschen Grenze, die nach dem Fall der Mauer und des Todesstreifens zu einem immer noch dramatisch aufgeladenen Freiraum mutierte. "Mauern sind schnell errichtet", so Putz, "aber ihr Rückbau dauert ewig. Manche Wunden heilen auch nie."

Gezeigt werden nicht nur 28 Projekte, die in diesem Freiraum entstanden sind, sondern auch Dokumentarvideos, in denen 72 Menschen aus bestehenden oder künftigen Mauerregionen vor die Kamera treten: Zypern, Israel/Palästina, Irland/Nordirland, Mexiko/Kalifornien, Nord- und Südkorea sowie Spanien/Gibraltar/Marokko. Unbuilding Walls, ein Beitrag für alle Rechten, Republikaner und Nationalisten. Gänsehaut.

Oder man macht es so wie die Briten, die den radikalsten Beitrag dieser Biennale geschaffen haben. Über dem Pavillon errichteten sie eine temporäre Aussichtsplattform mit Sitz- und Lümmelmöglichkeiten und Blick auf die gesamte Lagune. Neue Perspektiven tun sich auf. Die Innenräume sind, man kann es kaum glauben, leer. (Wojciech Czaja, 24.5.2018)