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Bis zu 6.000 Jahre alt sind die ältesten Gletschereise in Österreich. Forscher hoffen, anhand von Bohrkernen mehr über historische Klimaveränderungen zu erfahren.

Foto: Getty Images/Olga Niekrasova

Es ist einer der entlegensten und kältesten Orte Österreichs, an dem An drea Fischer den kostbaren Rohstoff für ihre Forschung findet: die Weißsee spitze in den Ötztaler Alpen. An diesem höchsten Punkt des zweitgrößten österreichischen Gletschers, dem Gepatschferner, gibt es nämlich jahrtausendealtes Eis, aus dem die Glaziologin neue Informationen über die Klimageschichte des Alpenraums gewinnen möchte. In diesem besonders alten und kalten Gletschereis wurden im Lauf der Jahrtausende immer wieder Pollen, Insekten, Blattreste und anderes organisches Material eingeschlossen, das radioaktiven und stabilen Kohlenstoff enthält.

Die Verhältnisse der Kohlenstoff-Isotope zeigen das Alter des Eises an. Die Altersstruktur der Eisschichten zusammen mit der Präsenz von Saharastaub zeugen von gewissen Wetterereignissen, aus denen sich letztlich Klima-Informationen ableiten lassen. "Man bekommt zwar immer nur winzige Bausteine, aus denen man die Klima geschichte erschließen kann", betont die Gletscherforscherin vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Akademie der Wissenschaften. "Aber wir wollen das Eis so weit verstehen lernen, dass es andere indirekte Klimaanzeiger ergänzen kann." Da die ersten kontinuierlichen Wetter messungen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts durchgeführt wurden, ist man bei der Suche nach älteren Daten unter anderem auf die uralten Klimaarchive der heimischen Gletscher angewiesen.

Bohrungen bis an den Gletschergrund

Im Rahmen ihres vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts "Cold Ice" steigen Andrea Fischer und ihr fünfköpfiges Team regelmäßig auf die Weißsee spitze, um möglichst viele Seiten aus dem Klimatagebuch des Gletschers zu bergen. Zu diesem Zweck wird das Gletschereis bis zum festen Grund in einer Tiefe von etwa 15 Metern durchbohrt. Das zutage geförderte Eis schicken die Forscher zur Analyse ans Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg. "Welches Altersspektrum wir bei diesen Bohrungen erwischen, ist ganz offen", sagt die Glaziologin. "Natürlich hoffen wir darauf, dass wir auf unserem Gletscher die ältesten Eise Österreichs, also bis zu 6000 Jahre alte Eisbohrkerne finden."

Ebenso aufwendig wie die Bohrungen, für die schweres Gerät mit dem Helikopter auf den Gletscher transportiert werden muss, ist die Suche nach geeigneten Bohrstellen. Ein Jahr lang hat das Forscherteam die Eisstruktur auf verschiedenen Gipfeln der Ostalpen mit dem Georadar untersucht, bis man schließlich im Tiroler Kaunertal die optimale Stelle fand.

Wetterstation auf der Weißseespitze

"Eis wird nur dann sehr alt und sehr kalt, wenn es nie bewegt worden ist", erklärt Fischer. "Deshalb wird an sehr exponierten Stellen gebohrt, wo das Eis – wie auf Berggraten – auf allen Seiten hinunterfließt." Denn in diesen Lagen gebe es einen Punkt, an dem das Eis auf Dauer unbewegt bleibt und nur etwas ausdünnt. "Genau solche Stellen suchen wir, weil sich dort das älteste Eis befindet."

In dieser speziellen mikroklimatischen Lage ist das Eis fest mit dem Untergrund verbunden und wird um einige Grade kälter als an anderen Stellen des Gletschers. Man spricht hier von "kaltem Eis", das in den Ostalpen auf bis zu minus fünf, sechs Grad abkühlt. Um genau zu verstehen, wie sich das Eis an diesem Ort aufbaut, wie es auf das Wetter reagiert und unter welchen Bedingungen der Schnee liegen bleibt, haben die Forscher auf der Weißseespitze auch eine Wetterstation installiert. Während sie selbst aufgrund des schwierigen Geländes und der beträchtlichen Lawinengefahr nur bei gutem Wetter auf den Gletscher steigen und messen können, liefert diese Station kontinuierlich Wetterdaten.

Epochale Veränderungen

Und wie geht es der Glaziologin mit dem rasanten Wegschmelzen ihres Unter suchungsobjekts durch die globale Klimaerwärmung? "Möglicherweise sind unsere Klimaarchive in einigen Jahren schon verschwunden", meint die Forscherin nüchtern. "Deshalb wollen wir jetzt noch so viel wie möglich davon retten." Für sie als Glaziologin sei die Gegenwart dennoch eine spannende Zeit: "Es gibt epochale Veränderungen zu beobachten, und momentan überwiegt bei mir die Neugier, ob solche Vorgänge auch früher schon einmal stattgefunden haben."

Möglicherweise sei das Eis in den Alpen ja schon vor einigen tausend Jahren einmal aufgrund anderer Ursachen verschwunden. "Uns interessieren hier vor allem die kleinräumigen und kurzfristigeren Phänomene, die das Leben von Tieren und Menschen oder auch den Wasserhaushalt an konkreten Standorten prägen."

Durch die kurzfristigen Schwankungen und kleinräumigen Änderungen der Zirkulationsmuster könne der globale Klima wandel lokal durchaus schwächer, stärker oder einfach ganz anders ausfallen. "Im Klima system gibt es noch viele Unbekannte, und auch unsere Messreihen reichen nicht besonders weit in die Vergangenheit." Zwar gebe es viele Klimamodelle, die globale Szenarien gut berechnen können. "Aber die Umsetzung auf kleine, lokale Skalen macht noch Probleme." Um auch diese lokalen Prozesse in Verbindung mit der globalen Klimaänderung zu verstehen, müsse man eben zunächst die lokale Klima geschichte kennen. Sie zu bergen und zu interpretieren ist zwar sehr aufwendig, aber auch lohnend, gilt doch die noch recht neue Methode der Eis-Analyse als eines der genauesten Verfahren zur Klimadaten erfassung vergangener Zeitalter. (Doris Griesser, 26.5.2018)