Der Bauer wollte die Straße zu seinem Hof begradigen. Dabei stand ihm ein Baum im Weg. Die Nachbarn warnten: Rühr ihn nicht an, er steht seit Menschengedenken da, nimm den kleinen Umweg in Kauf. Der Bauer fällte den Baum. Der Baum erschlug den Bauern. In der Südoststeiermark erzählen sich die Menschen diese wahre Geschichte, wenn sie vor den unberechenbaren Kräften der Natur warnen wollen.

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Riesengleich, böse und aggressiv: Der Basaltfelsen Hvítserkur ähnelt einem Troll. In Island, wo an die Existenz von Trollen geglaubt wird, werden Orte, an denen man starke Naturkräfte vermutet, lieber umfahren.
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In Island werden Orte, an denen man starke Naturkräfte vermutet, umfahren oder überbrückt. Und diese Kräfte haben Namen: Elfen, Zwerge – und Trolle. Viele Isländer, wenn nicht die allermeisten, glauben an ihre Existenz oder zumindest an die Kräfte, die sie entfalten. In Norwegen wiederum gehören Trolle zum touristischen Vermarktungsbild wie die Lipizzaner zu Österreich. An der spektakulären Gebirgsstraße Trollstigen steht ein Gefahrenschild mit dem Schattenriss eines nicht besonders attraktiven Wesens. Der ironische Unterton bestärkt den Mythos eher, als ihn abzuschwächen.

Fest steht, dass die Heimat der Trolle im Norden liegt. Gemessen an ihrer Wirkmächtigkeit sind sie ziemlich jung. Erstmals erwähnt werden sie in den mittelalterlichen isländischen Sagas. Der international renommierte österreichische Experte Rudolf Simek zählt die altskandinavischen Trolle zu den "humanoiden Wesen der niederen altnordischen Mythologie". Simek, Professor für Ältere Germanistik unter Einschluss des Nordischen an der Universität Bonn, hat soeben sein 34. Buch veröffentlicht: Trolle. Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum Internet (Böhlau). Dass Trolle etwas Unheimliches, Bedrohliches, aber auch Reizvolles an sich haben, diese Typisierung stammt aus den nordischen Überlieferungen: riesengleich, böse, zauberisch, mitunter tödlich aggressiv. Dabei frönen sie ungehemmt einem makabren Spieltrieb und haben trotz ihrer Hässlichkeit ausgesprochen aparte, sexuell zuvorkommende Töchter. Trollfrauen sind oft Ziehmütter späterer Helden. Klar ist: Wer einen Troll reizt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Dass sie dummdreist sind, macht sie nur noch unberechenbarer.

Grenzenlose Kommerzialisierung

Was genau die Wende ausgelöst hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls erfuhren die Trolle in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung. Aus den furchterregenden Unholden wurden kauzige, niedliche Wesen. Zwar etwas unansehnlich, aber durchaus liebenswert – Helden und Heldinnen unzähliger Kinderbücher. Beispielhaft dafür mag Der kleine Troll von Mira Lobe gelten. In Norwegen mündete die Verniedlichung der Trolle in eine Kommerzialisierung mit schier grenzenlosem Potenzial.

Ein weltweiter Verkaufserfolg wurden die kleinen Dam-Trolle aus Kunststoff, die auf den dänischen Holzschnitzer Thomas Dam (1909-1986) zurückgehen. Wie lässt sich dieser Wandel erklären? Simek billigt den meisten Kinderbüchern eine implizit pädagogische Absicht zu, etwa "Kindern die Angst vor dem Fremden zu nehmen oder auf dem Umweg über eine andere Spezies zu einer Verhaltensänderung anzuregen". Man kann diesen Wandel aber auch als Folge eines öffentlichen Diskurses sehen, der von Friedensbewegungen und Visionen einer besseren Welt beherrscht war. Oder aber, aus geradezu konträrer Perspektive, als Ausdruck der Fähigkeit des Menschen, die Natur zu zähmen und nach seinen Vorstellungen zu formen.

Einen weiteren enormen Popularitätsschub erfuhren die Trolle durch die dreiteilige Verfilmung des Romans Der Herr der Ringe von J. R. R. Tolkien Anfang des 21. Jahrhunderts. Im zweiten Kapitel des Hobbit werden die drei Trolle William, Tom und Bert durch List unschädlich gemacht. Der Zauberer Gandalf hält sie mit verstellter Stimme so lange hin, bis sie durch die aufgehende Sonne versteinert werden. Laut Simek ist Gandalfs Trick einem Lied der altnordischen Edda-Dichtung entlehnt, in dem der Gott Thor diese List zur Überwindung des allzu schlauen Zwergs anwendet. Auch das lässt sich als unterschwellige Botschaft interpretieren, dass der Mensch quasi gottgleich praktisch alles vermag, wenn er es nur richtig anstellt.

Unter diesem Aspekt werden Trolle zu personifizierten Urkräften, mit denen der Mensch irgendwie zurechtkommen muss. Als menschenähnliche Wesen werden diese Kräfte greifbar, leichter verständlich. Zugleich aber liefern die Trolle, wie Simek es sieht, die "ironische Darstellung einer menschlichen Gegenwelt". In dieser Gegenwelt geschehen viele schreckliche Dinge, die freilich auch in der realen menschlichen Welt stattfinden – und welche die Menschen deshalb gerne auslagern möchten. Manchmal handelt es sich auch um Dinge, die sie selbst gerne auskosten würden, aber wissen, dass es verbotene Früchte sind. Trolle als höchst wirksame Instrumente der Psychohygiene also, oder, wiederum in den Worten Simeks: "Menschen brauchen Monster."

Instrumente der Psychohygiene

Womit wir bei den Trollen im Internet wären. Boshaft, manchmal auch bösartig, zweifellos auch einem Spieltrieb verfallen, geltungssüchtig: Viele Charakteristika der mittelalterlichen Trolle treffen auch auf die aktuellste Spielart zu. Sie gieren nach Beachtung. Je heftiger die Antworten auf ihre Provokationen ausfallen, desto besser fühlen sie sich. Dass sie reales Unheil anrichten und wir ihrer dennoch nicht habhaft werden können, haben sie gleichfalls mit ihren nordischen Vorfahren gemein.

Kann es aber sein, dass sie trotz allem durchaus nützlich sind? Dass sie eine quasi natürliche Antwort auf die unnatürlichen Auswüchse der digitalen Welt darstellen, eine Art Abstoßreaktion? Was aber ist unnatürlich? Wie die Trolle stellt auch das Internet eine menschliche und somit "natürliche" Erfindung dar – wenn man den Menschen als Teil der Natur betrachtet. Und als solcher hat er offensichtlich auch Bedarf an Monstern. Ganz natürlichen. (Josef Kirchengast, 26.5.2018)