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Susanne Kennedy ist die erste Hausregisseurin an der Volksbühne Berlin und gastiert bei den Wiener Festwochen nun erstmals in Österreich.

Foto: dpa/Silas Stein/picutredesk

Wien – Ist das jetzt das Theater der Zukunft? Zumindest fühlt es sich so an. Räume und agierende Figuren in Inszenierungen von Susanne Kennedy befinden sich im Würgegriff eines betörenden Posthumanismus: synthetisch-sterile Oberflächen, Stimmen vom Tonband, maskenhafte Gesichter wie aus einer Zeit des Klonens. Das ist keineswegs dystopisch gemeint, sondern rein Mittel zum Zweck. Denn die 41-jährige Deutsche mit schottischem Vater, aufgewachsen in der badischen Kleinstadt Tuttlingen nahe dem Bodensee, hat mit dem Theater tatsächlich anderes vor als die meisten. Sie will keiner Aufklärung dienen, keine Botschaften verkünden oder mit konkreten Miseren unserer Zeit konfrontieren.

Kennedy glaubt nicht mehr an das Theater als moralische Anstalt, sie begreift es wieder als Ritual. Als kultische Veranstaltung, in der das Publikum mit "Zuständen" konfrontiert wird bzw. in einen Erfahrungsraum hineingezogen wird. Stichwort: Immersion. "Zentral ist nicht, was gesagt wird, sondern eher eine Form von Gefühl, die transportiert wird. Ich will die kritische Distanz unterbinden", sagt Kennedy im Standard-Gespräch. Sie bezieht sich damit auf ein Theater im Sinne Antonin Artauds, der ja, so sagt sie, "immer wollte, dass man Theater ,erlebt'".

Meditationsvorgänge

Die installativen Kunsträume Kennedys lösen Meditationsvorgänge aus und damit ein ganz eigenes Rezeptionsverhalten. Dass sie sich als Regisseurin für die trancehaften Stimmungen beim Beten des Rosenkranzes interessiert, ist nicht nur das Symptom einer säkularen, nach Gebetsersatz Ausschau haltenden Gesellschaft, sondern auch der Wegweiser für Kennedys hypnotische Absichten. Weder liegen in den Inszenierungen Schlussfolgerungen auf der Hand, noch gibt es für alles sinnfällige Zusammenhänge. Vieles bleibt dem Publikum überlassen. Das verstört mitunter. Auch bei den Selbstmord-Schwestern, mit denen Kennedy nun ihr verspätetes Österreich-Debüt gibt. Aus dem bereits für das Vorjahr geplanten Festwochen-Gastspiel Medea.Matrix mit Birgit Minichmayr wurde – angeblich aus finanziellen Gründen – ja nichts.

Die Selbstmord-Schwestern sind denn auch keine Nacherzählung des berühmten und von Sofia Coppola verfilmten Romans von Jeffrey Eugenides. Vielmehr begleitet der Abend die fünf Mädchenseelen nach den Regeln des Tibetanischen Totenbuches ins Jenseits, arrangiert rund um einen popkulturell staffierten Altar. Auch Psychedelic-Star Timothy Leary darf seinen Senf dazugeben.

Nur kein lauwarmes Stadttheater

In den Niederlanden, wo Susanne Kennedy nach einem Theaterwissenschaftsstudium in Mainz und Paris im Regiefach ausgebildet wurde, gilt diese Art von Theater als "deutsch". Das konnte ihr bei ihrer Rückkehr nach Deutschland allerdings nicht bestätigt werden. Ihre Arbeiten werden eifrig abgelehnt, die Kritiken sind durchwegs gepfeffert. Das ist bei einer Theatermacherin, die sich so radikal von gewohnten Praktiken verabschiedet, erwartbar. Auch Castorf hatte und hat seine Gegner. Von seiner Volksbühne und den assoziierten Regisseuren wie Christoph Schlingensief, Vegard Vinge und René Pollesch ist Kennedy auch am meisten geprägt worden.

Es war aber Johan Simons, der die Regisseurin nach 13 Jahren in den Niederlanden zurück nach Deutschland holte und an den Münchner Kammerspielen auf die große Bühne ließ. Mit dem Marieluise-Fleißer-Stück Fegefeuer in Ingolstadt ging es für Kennedy dann 2013 auch gleich zum Berliner Theatertreffen. Im Jahr darauf schon wieder, mit Warum läuft Herr R. Amok?. Seither ist der Weg gebahnt. Und nunmehr ist Susanne Kennedy mit ihrer jüngsten Inszenierung Women in Trouble die erste Hausregisseurin an der heiß umkämpften und bisher männlich geprägten Volksbühne. Als Mitglied im künstlerischen Leitungsteam ist ihr daran gelegen, dass ob des gescheiterten Projekts jetzt nicht panikartig zurückgerudert wird. "Ein "lauwarmes Stadttheater wäre das Schlimmste. Die Mischung der Künste ist so wichtig!"

Eigene Wirklichkeit kreieren

Spartengrenzen wurden an der Volksbühne von jeher fröhlich überschritten. Kennedys Modus steht ganz in dieser Tradition – mit dem wesentlichen Detail, dass sie ohne individuelle Schauspielerpower arbeitet. Diese ist für Kennedy irrelevant. Erklärung: Je weniger eine Mimik oder eine Bewegung "hergezeigt" wird, umso mehr kann – im Sinne der eigenen "Trance" – hineingelesen werden.

Ähnlich wie Ersan Mondtag möchte auch Kennedy, die mit ihrem Mann Markus Selg, einem bildenden Künstler, und der gemeinsamen Tochter in Berlin lebt, keine "echten" Menschen inszenieren, sondern anstelle der Repräsentation einer bestehenden Wirklichkeit eine eigene kreieren, die im besten Fall befremdet. Einen hohen Grad an Künstlichkeit erreicht Kennedy allein durch das Playback der Sprechstimmen. Das verschafft ihren Arbeiten becketthafte bis lynchhafte Züge. (Margarete Affenzeller, 28.5.2018)