Matteo Salvini mit Luigi Di Maio bei der Angelobung der neuen italienischen Regierung.

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Für viele europäische Partner hat sich mit der Bildung einer Regierung aus der postideologischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsradikalen Lega in Rom das Worst-Case-Szenario eingestellt: Europa ist seit Freitag mit einer Regierung konfrontiert, die mit ebendiesem Europa wenig am Hut hat und mit einer womöglich halsbrecherischen Haushaltpolitik die gesamte Eurozone in den Abgrund reißen könnte. Es gibt aber auch Leute, die sich freuen: Donald Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon zum Beispiel oder auch Marine Le Pen vom französischen Front National. Auch das sagt viel aus über die neue italienische Regierung.

Aber Jammern hilft nichts: Die Regierung in Rom ist demokratisch einwandfrei legitimiert. Cinque Stelle und Lega haben bei der Parlamentswahl am 4. März zusammen 50 Prozent der Stimmen und im Parlament eine absolute Mehrheit der Sitze erhalten. Die neue "Regierung des Wandels" der beiden Studienabbrecher Matteo Salvini und Luigi Di Maio ist nichts anderes als eine Folge und ein Abbild der totalen Entfremdung großer Bevölkerungsteile vom "System" und den traditionellen Parteien, die dieses System vertreten.

Leichtes Spiel für Protestparteien

Misstrauen gegenüber den "Systemparteien" gibt es nicht nur Italien: In einer Welt, in der einige wenige immer reicher werden, während die Mehrheit der Menschen arm ist und Zukunftsängste hat, haben Protestparteien und Rechtsradikale ein leichtes Spiel. Italien ist lediglich das erste Land, in dem die Antisystemparteien nun alleine eine Regierung bilden können. Mit seiner "Regierung des Wandels" ist das EU-Gründungsmitglied Italien zu einem politischen Labor geworden, das über das Schicksal der Union entscheiden könnte.

Ein Versuchslabor war Italien schon vor einem Vierteljahrhundert, als mit Silvio Berlusconi erstmals ein Multimilliardär und Medientycoon an die Spitze eines EU-Landes gewählt wurde. Der US-Publizist und Italien-Kenner Alexander Stille schrieb damals: "Auf den ersten Blick mag Berlusconi als bizarres und sehr italienisches Phänomen erscheinen – aber auf den zweiten Blick entpuppt er sich als eine Figur der Avantgarde, die viele der zentralen Tendenzen der Gesellschaft und der Politik unserer Zeit vorweggenommen hat."

Neues Politikmodell

Das gilt auch heute wieder – man muss nur den Namen Berlusconis mit jenen der neuen Machthaber in Rom, Salvini und Di Maio, ersetzen. Es wäre töricht und kontraproduktiv, nun mit dem Finger auf Italien zu zeigen und alte Vorurteile und Stereotype über die angeblich faulen Italiener zu wiederholen, wie es am Donnerstagabend EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker getan hat und wie es einzelne deutsche Medien seit Wochen tun. Was in Italien – und vor eineinhalb Jahren in den USA mit der Wahl Trumps – passiert ist, kann sich auch in anderen Ländern wiederholen.

Wie das römische Experiment ausgehen wird, vermag derzeit niemand vorauszusagen. Es wird davon abhängen, ob die beiden Regierungspartner ihre Wahlversprechen tatsächlich einlösen werden – was das Land auf direktem Weg in den Staatskonkurs führen würde. Das ist nicht auszuschließen, aber es ist ebenso gut möglich, dass sie davor zurückschrecken – oder dass die Regierung an ihren inneren Widersprüchen vorzeitig zerbrechen wird. Eines steht fest: In Italien ist am Freitag ein völlig neues Politikmodell eingeführt worden, das Europa noch lange beschäftigen wird – und endlich aufrütteln müsste. (Dominik Straub, 1.6.2018)