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Andreas Gabalier ist lyrisch auf der Höhe der Zeit: "Tradition leben, mit der Zeit gehen."

Foto: AP/Michael Sohn

Der große bayerische Filmregisseur und noch größere Grantler Herbert Achternbusch (Der Neger Erwin, I Know the Way to the Hofbräuhaus, Der Depp ...) prägte einmal bezüglich seiner Heimat den schönen Satz: "Diese Gegend hat mich kaputtgemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt." In gewisser Weise – und unter anderen politischen Vorzeichen – ist dies dem steirischen Musiker Andreas Gabalier spätestens mit seinem ab sofort erhältlichen neuen Album Vergiss Mein Nicht gelungen. Man merkt es unserem Land mittlerweile tatsächlich an.

Der Mann, der sich Volks-Rock-'n'-Roller nennt, hat seit gut zehn Jahren sämtliche alpenländischen Klischees derart zum Erfolg im deutschsprachigen Raum verdichtet, dass den Fans von Hansi Hinterseer mittlerweile biologisch gesehen der Rollator ins Schleudern kommt, weil dessen Reifen zuwenig Profil haben. Der "Achttausender unter den Musikern", der aus einer Region kommt, in der der Dachstein mit 2995 Metern Höhe nur knapp darunter liegt, ist ja laut Plattenfirma "mit megaerfolgreichen Alben, ausverkauften Live-Tourneen und Millionen Fans längst am Gipfel des Erfolgs angekommen". Sprich, der Berg muss nicht zum Propheten kommen, weil der Berg selbst der Prophet ist (o. k., zugegeben, der war jetzt etwas knifflig). Der Mittdreißiger ist obendrein "Bewahrer des Schnäuztücherls, Träger der Arnie-Gedächtnis-Muckis, Erfinder der Gabalier-Tolle und des Hirschgeweihmikros!"

"Die Macht der Tracht"

Andreas Gabalier hat die Volksmusik entstaubt und aus dem "Stammtisch-Exil" befreit und mit ganz viel Rock 'n' Roll gepaart – "Volksmusik reloaded". Wir befinden uns immer noch im Thinktank der Marketingabteilung: "Er hat es sogar geschafft, Dirndl und Lederhosn über die Grenzen von Österreich oder Bayern hinaus in 'Entwicklungsgebiete' wie Hamburg zu bringen. Die Macht der Tracht eben!"

Achtung, jetzt wird es politisch: Das passt wunderbar in die heutige Zeit eines gesellschaftlichen Umdenkens. Dieses mehr gefühlige als argumentierte Behagen im Unbehagen weist zurück in jene Zeiten, in denen früher alles so sehr unglaublich besser war, dass sich heute aber eigentlich eh niemand gern daran zurückerinnert. Immerhin wurde im 19. Jahrhundert die älplerische Tracht unter Maximilian II. von Bayern oder unter unserem hiesigen Kaiser Franz-Joseph I. hoffähig, damit das damals jeweils schwächelnde Nationalgefühl gehoben und gestärkt werde. Die Grenzen dicht und: Mia san mia. Tolle Sache, solange sie uns nicht die Pizzabuden zudrehen. Das Essen ist ja mit Zuzüglern eindeutig besser geworden. Keine Frage.

Nun aber, nachdem das Land bald mit Zäunen zur Alpenfestung werden wird, auf den Skipisten wegen Kunstschnees kein Kräuterl mehr wächst und Rindviecher nur deshalb sterben, damit die Kloifeln und Klacheln alle auf der Wiener Wiesn im Prater Lederhosen tragen können, ist es Zeit, die Ernte einzufahren. Sprechen wir doch ein wenig über das neue Album Vergiss Mein Nicht und dessen Reinheitsgebot: "Volksmusik und viel Rock 'n' Roll!"

AndreasGabalierVEVO

Andreas Gabalier startet die zwölfteilige Songsammlung verdammt rockig mit der Eigenkomposition Verdammt lang her, einer autobiografischen Ode an den Mopedrock von 16-Jährigen, die sich zünftig auf das Original Summer of '69 von Bryan Adams beruft. Danach folgt die heitere, ins Flamencofach weisende Bagatelle Hallihallo mit einer schönen, die Sprache der heutigen Jugend paraphrasierenden Textzeile "Lipstick Lady, i bin heut' für di ready!"

"Sagt sie Nein, gehst du heim"

Doch Vorsicht ist geboten, neben der aus Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer bekannten Freiheitshymne Eine Insel mit zwei Bergen (Das Lummerlandlied), in der Kinder aus den Klauen eines bösen Drachen befreit werden müssen, geht es nicht nur um die Liebe zu süßen Kellnerinnen: "Und du lachst immer wieder an der Schank gegenüber ..." Auch die #MeToo-Debatte findet Eingang in das lyrische Schaffen: "Sagt sie Nein, gehst du heim."

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Zum zentralen Liedgut zukünftiger Heimatliebe im Zeichen des Wehrchristentums dürfte sich als Höhepunkt des Albums allerdings vor allem der Bekenntnisschlager Kleine heile steile Welt mausern. Wir wollen ihm abschließend genügend Raum gewähren. Er muss wirken. Man wird dem Land das Lied einmal anmerken:

"I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzel aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / So wie's früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben wie sie sind / In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand ... I glaub an den Petrus an der Himmelstür / Der sagt, komm her zu mir, Bua i muss reden mit dir / Vaterunser beten, Holzscheitelknien / Nach einem Zeltfest im Rausch am Heuboden die Unschuld riskieren ..."

Vorgetragen wird dies mit einer Stimme, für die die derzeitige Bundesregierung das Rauchverbot aufgehoben hat. Aber für einen bärigen Lungenhuster haben wir ja ein Schnäuztücherl. Vergelt's Gott. (Christian Schachinger, 2.6.2018)