Zu Beginn dieses Jahres trat der neue Bildungsminister Heinz Faßmann mit seinen ersten Vorhaben an die Öffentlichkeit. Er kündigte eine Verwaltungsvereinfachung und Entlastung von bürokratischen Strukturen an. Ein bescheidenes, aber dennoch sehr vernünftiges Ziel in einem durch und durch bürokratischen System, das im internationalen Vergleich seinesgleichen sucht. Vernünftig auch, dass ein neuer Minister, der bislang mit dem Schulbereich wenig zu tun hatte, sich ein wenig Zeit lassen will, um sich mit der Materie vertraut zu machen, um in Folge seine Maßnahmen nach Dringlichkeit zu gewichten. Schließlich enthält das Regierungsprogramm neben einer Reihe von problematischen Plänen auch durchaus positiv zu bewertende Vorhaben wie die "Bildungspflicht" für Schüler, die am Ende der Pflichtschulzeit die Kernkompetenzen nicht beherrschen. Diese Bildungspflicht steht neben "Deutsch vor Schuleintritt" an erster Stelle auf Seite eins im Kapitel "Zukunft und Gesellschaft" des Regierungsprogramms.

Minister Faßmann
Foto: APA/Georg Hochmuth

Neue Maßnahmen

Von der so genannten Bildungspflicht hat man seither wenig gehört. Stattdessen folgten in rascher Folge Ankündigungen und Gesetzesentwürfe, denen eines gemeinsam ist: Sie sollen signalisieren, dass eine Trendwende eingeleitet wurde, die auf Leistung und Ordnung setzt. Nun sind sowohl Leistung als auch Ordnung Qualitäten, die in einem guten Schulsystem einen zentralen Stellenwert einnehmen sollen. Die bereits beschlossenen sowie die geplanten Maßnahmen allerdings halten einer Qualitätsüberprüfung nicht stand.

Eltern werden künftig für ihre schulschwänzenden Kinder zur Kasse gebeten, Transferleistungen sollen gekürzt werden, wenn Kinder oder auch nur deren Eltern ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Nicht schulpflichtige Schüler werden ab kommendem Herbst bei fünf nicht entschuldigten Fehltage vom Schulbesuch ausgeschlossen. Ziffernnoten ab der ersten Klasse Volksschule sollen ab Herbst 2019 wieder an allen Schulen verpflichtend eingeführt werden. Ein neues Testverfahren in der dritten Klasse Volksschule soll ebenfalls ab dem Schuljahr 2019/20 dafür sorgen, dass die Schulwahl im Alter von zehn Jahren gezielter getroffen wird, wohl mit dem erhofften Nebeneffekt, den ständig steigenden Zulauf zur AHS einzudämmen. Angekündigt, aber noch nicht konkretisiert wurde eine "Aufwertung" der neuen Mittelschulen. Vor kurzem beschlossen wurden die im Vorfeld heftig debattierten Deutschförderklassen, die bereits im September anlaufen.     

Problemkind Deutschförderklassen

Was diese Deutschförderklassen betrifft, so ist zu ziemlich alles schief gelaufen, was man sich nur vorstellen kann. Vorausgeschickt sei, dass die Ausgangssituation alles andere als zufriedenstellend ist, denn viel zu viele Schüler scheitern aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse und verlassen die Schule am Ende der Schulpflicht ohne Abschluss und/oder ohne über die elementaren Kernkompetenzen zu verfügen. Dass auf diesem Hintergrund dem Erlernen der deutschen Sprache künftig ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, ist begrüßenswert. Dass die geplanten Deutschförderklassen zu besseren Ergebnissen führen werden, muss bezweifelt werden. Schon bei der Präsentation des Regierungsprogramms Ende 2017 meldeten sich Stimmen aus Wissenschaft und Forschung, die das Vorhaben eigener Deutschklassen für Schüler, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, heftig kritisierten.

Ebenso wenig Zustimmung fand der Plan, Deutschkenntnisse als Kriterium für Schulreife festzulegen. Die Bedenken verhallten ungehört, in kurzer Zeit wurde ein Gesetzesentwurf vorgelegt und in Begutachtung geschickt. Kinder, die die deutsche Sprache nicht oder nicht ausreichend beherrschen, werden als nicht schulreif betrachtet und können ab Herbst bis zu zwei Jahren vom Schulbesuch zurückgestellt werden. All diejenigen, die schon unsere Schulen besuchen und deren Deutschkenntnisse noch nicht ausreichend sind, sollten nach dem ersten Entwurf ebenfalls ab dem nächsten Schuljahr in eigene Deutschklassen kommen. Das wurde nach Protesten wieder zurückgenommen, die eigenen Deutschklassen sind jetzt nur mehr für neu hinzukommende Schüler vorgesehen. Nach Möglichkeit sollen sie im Musik- und Sportunterricht mit den Gleichaltrigen zusammen unterrichtet werden.

Die geplanten Deutschförderklassen werden nicht automatisch zu besseren Ergebnissen führen.
Foto: APA/dpa/Armin Weigel

Versuchskaninchen?

Von den mehr als 60 Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf waren fast alle kritisch bis ablehnend. Separierende Klassen seien nachweislich kein zielführender Weg zum Erlernen der Zweitsprache und vor allem dürfe die Zweit- oder Drittsprache kein Kriterium für die Schulreife sein, da diese sich nur von Kenntnissen in der Erstsprache definieren könne, so die einschlägige Forschung. Zu den zahlreichen weiteren wissenschaftlichen Bedenken kamen Bedenken die Durchführbarkeit betreffend. Vor allem in den Großstädten sei die Maßnahme kaum bis gar nicht umzusetzen, es fehlten Räume, ausgebildete Lehrpersonen, es gäbe keine Curricula, keine Tests. Die Stellungnahmen beim von der Opposition einberufenen Expertenhearing im Unterrichtsausschuss des Nationalrats waren überwiegend kritisch, und selbst der von der ÖVP nominierte Experte aus Deutschland befürwortete nur Teile des Entwurfs, und das nur implizit.

Das alles half nichts, die Klassen laufen, wie geplant, im neuen Schuljahr an. Lehrpläne gibt es ebenso wenig wie Testverfahren, denn beides soll erst im Lauf des Schuljahres entwickelt werden. Wer die neuen Klassen unterrichten wird und ob überhaupt ausreichend qualifizierte Lehrer zur Verfügung stehen, steht ebenso in den Sternen wie die Größe dieser Klassen. Diese Entscheidung sollen nämlich die Direktoren treffen. Konkret heißt das, dass im Bedarfsfall auch Klassen über 25 möglich sein werden, und das, obwohl der von der ÖVP nominierte Experte die Zahl 15 nannte, die keineswegs überschritten werden sollte. Strafverschärfend kommt hinzu, dass Ressourcen aus dem so genannten "Integrationstopf", die erstmals eine gezielte Förderung für betroffene Schüler möglich machten, mit diesem Schuljahr auslaufen. Somit werden Fördermaßnahmen für all diejenigen gestrichen, die sie auch weiterhin dringend brauchen würden. Auch die Deutschförderung für Schüler mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen wurde von elf Stunden auf künftig sechs Stunden gekürzt. Von einer gerechten Schulfinanzierung, die besonders Schulen im urbanen Raum mehr Ressourcen zur Verfügung stellen würde, hört man nichts.

Wenig Sachpolitik

Erstaunlich, und natürlich enttäuschend, dass der Bildungsminister, ein Wissenschafter und mit der Materie Integration aufgrund seiner früheren Funktion bestens vertraut, unbeirrt diese Linie fährt. Wissenschaftliche Bedenken zählen nichts, organisatorisch ist mehr offen als geklärt, das erste Jahr muss ohne Curricula und Testverfahren auskommen. Und dass man gerade in diesem Bereich, in dem es von Standort zu Standort so unterschiedliche Voraussetzungen gibt, eine zentrale Maßnahme für ganz Österreich setzt, ist ein schwerer Schlag für das zarte Pflänzchen Schulautonomie. Last, not least, und das weiß genau dieser Bildungsminister, ist Integration natürlich weit mehr als das Erlernen der deutschen Sprache. Dass wir diesbezüglich einen großen Nachholbedarf in unserem Schulsystem haben, ist bekannt. Dass ein sinnvolles Gesamtkonzept in noch weitere Ferne gerückt ist als bisher, muss man bedauernd zur Kenntnis nehmen.

Fazit: Kurz vor Schulschluss fällt die Bilanz ernüchternd aus. Eines der größten Probleme in unserem Schulsystem wurde bislang nicht einmal thematisiert – die große soziale Ungerechtigkeit. Sie kommt hoffentlich im nächsten Schuljahr auf die Agenda. Für dieses neue Schuljahr wünschen wir uns statt Symbolpolitik mehr Sachpolitik und, kaum wagt man es mehr auszusprechen, den Mut zu einer Vision. (Heidi Schrodt, 5.6.2018)                 

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