2017 wurde fast ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche von 23.000 Betrieben biologisch bewirtschaftet.

Foto: APA / Arno Burgi

Die Österreicher könnten nur von Biolebensmitteln leben. Das zeigt eine neue Studie vom Zentrum für Globalen Wandel der Universität für Bodenkultur (Boku) und vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) im Auftrag der Initiative "Mutter Erde". Dafür müssten die Menschen aber ihren Lebensstil anpassen, sagt Studien-Co-Autor Martin Schlatzer.

Standard: Wie groß wären die errechneten Unterschiede zwischen dem Status quo und einer rein biologischen Landwirtschaft?

Schlatzer: Mit der aktuell überwiegend konventionellen Landwirtschaft werden etwa 10.827 Milliarden Kilokalorien pro Jahr produziert. Der Bedarf der 8,77 Millionen Österreicher liegt bei 6816 Milliarden Kilokalorien, wird also aktuell mehr als gedeckt.

Standard: Und bei einem 100-Prozent-Bio-Szenario?

Schlatzer: Reiner Biolandbau in ganz Österreich würde nach heutigem Wissensstand eine Energiemenge von 6600 Milliarden Kilokalorien pro Jahr liefern. Damit könnte eine flächendeckende biologische Landwirtschaft – mit dem gegenwärtigen Ernährungsstil – knapp nicht erfüllt werden.

Standard: Was müsste man umstellen, damit der Kalorienbedarf von allen Österreichern auch mit Bio weiterhin gedeckt wird?

Schlatzer: Es gibt zwei Räder, an denen man drehen kann. Bereits eine geringfügige Verringerung des Fleischkonsums um zehn Prozent oder die Reduktion der Lebensmittelabfälle um ein Viertel könnte den Bedarf auch mit 100 Prozent biologischer Landwirtschaft decken.

Standard: Die Bevölkerung wächst jedoch. Im Jahr 2080 sollen es laut Prognose der Statistik Austria bereits zehn Millionen sein. Wie stark verschieben sich die Voraussetzungen für 100 Prozent Biolandbau?

Schlatzer: Dann müsste die Hälfte der Lebensmittelabfälle vermieden werden und um ein Viertel weniger Fleisch gegessen werden. Aber das muss man ganz klar betonen: Durch Klimawandel, Bodenerosion und -versiegelung wird das Ertragspotenzial künftig gedrückt werden. Daher wäre es wichtig, eine größere Reduktion des Fleischkonsums anzustreben.

Standard: Wieso sollten die Menschen sich umstellen? Was haben sie davon?

Schlatzer: Nach den Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung bzw. des aktuellen Österreichischen Ernährungsberichtes im Auftrag des Gesundheitsministeriums müssten wir aus gesundheitlichen Gründen auf durchschnittlich zwei Drittel Fleisch weniger pro Jahr und Person umstellen. Dadurch wären die Flächen in Österreich für eine Bioernährung der Bevölkerung wieder mehr als ausreichend. Eine wesentliche Erkenntnis war auch, dass die Hälfte der Ackerflächen für den Anbau von Kraftfuttermitteln verwendet wird. Dadurch würde Fläche für den Anbau von Nahrungsmitteln frei, die direkt dem menschlichen Verzehr dienen können. Das ist eine Win-win-Situation: Es nimmt den Druck von den Flächen und hat positive Auswirkungen auf die Volksgesundheit.

Standard: Der Bürger entscheidet schon jetzt mit seinem Kaufverhalten – es wird längst nicht nur Bio gekauft, sondern vor allem nach dem Preis entschieden. Wie kommt man aus diesem "Billig ist gut"-Dilemma heraus?

Schlatzer: Es gibt Kosten, die die jetzige Landwirtschaft verursacht. Diese sogenannten externen Kosten entstehen etwa durch negative Folgen von Pestiziden oder Klimawandel. Dazu gehört auch das Sterben der Bienen. Wenn man auf rein biologische Landwirtschaft umstellt, selbst konservativ gerechnet, sparen wir ein Drittel der verursachten Kosten, sprich 425 Millionen Euro pro Jahr.

Standard: Lebensmittelverschwendung und zu viel Fleisch: Wie ändert man etwas an der Wertschätzung der Lebensmittel?

Schlatzer: Im Moment werden circa zwölf Prozent der Haushaltsausgaben für Lebensmittel budgetiert. Klar kann man hier einfacher sparen als etwa bei der Miete. Aber man sieht, dass die Leute gerade hier zu den billigsten Produkten greifen und in anderen Sektoren vielleicht weniger sparen. Das ist ihnen natürlich völlig freigestellt. Eine Möglichkeit wäre, dass die Politik die Rahmenbedingungen dementsprechend anpasst, dass es den Leuten leichter fällt, sich gesund und nachhaltig zu ernähren.

Standard: Also müssen die Preise für Bioprodukte an jene von konventionellen Lebensmitteln angepasst werden?

Schlatzer: Bei manchen Gemüsesorten, Milch, Brot und Nudeln sind die Preisunterschiede gar nicht mehr so stark ausgeprägt. Bei Fleisch ist die Differenz noch höher. Bei Schweinefleisch, wir essen 38 Kilogramm pro Kopf und Jahr, ist erst ein Prozent bio.

Standard: Welche Inspirationen gibt es weltweit?

Schlatzer: Sikkim war der erste Bundesstaat weltweit, der 2003 deklarierte, auf 100 Prozent Bio umstellen zu wollen, und das 2016 umsetzte. In den 600.000-Einwohner-Staat kommen heute jährlich 1,2 Millionen Touristen.

Standard: Wie sieht es in Europa aus?

Schlatzer: Dänemark hat sich, ausgehend von 2007, zum Ziel gesetzt, bis 2020 den biologisch bewirtschafteten Anteil zu verdoppeln. Daran könnte sich Österreich orientieren. Auch der Bioanteil in Kantinen soll auf 60 Prozent erhöht werden. (Julia Schilly, 10.6.2018)