Sie ist Schätzungen zufolge die dritthäufigste Sucht in Österreich: Etwa 150.000 Menschen sind laut Michael Musalek, dem ärztlichen Leiter des Anton Proksch Instituts, von Medikamentensucht betroffen. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein, vermutet er. Dabei betonte er die Verantwortung der Ärzte und Ärztinnen, die diese Medikamente meist verschreiben und die Menschen in die Sucht führen.

Die Situation ist diffizil, denn "der Druck seitens der Patientinnen und Patienten ist enorm", räumt Musalek ein. Sie fragten die schnell und gut wirksamen Medikamente oft vehement nach, mitunter bei mehreren Ärztinnen und Ärzten gleichzeitig. Dieses so genannte Doctor Shopping sei oft ein Grund für Medikamentensucht, die durchgängige Information über die Medikation von Patientinnen und Patienten fehlt.

Erschwert wird das Problem durch den immer mehr zunehmenden, völlig unkontrollierten Bezug von Pharmazeutika über das Internet. Musalek: "Wenn man hier nachhaltig etwas verändern will, müssen alle – Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten, Apothekerinnen und Apotheker – über das Thema aufgeklärt werden."

Sucht ohne Rausch

Es sind in erster Linie Benzodiazepine (beruhigende Substanzen) und Schlafmittel, aber auch Schmerzmittel und Amphetamine (aufputschende Substanzen), die rasch – oft schon nach wenigen Wochen der Einnahme – in die Abhängigkeit führen.Ein besonderes Alarmzeichen ist laut Musalek das Verlangen nach der immer höheren Dosis: "Viele Betroffene glauben, dass sie mehr Medikamente brauchen, weil sich ihre Ausgangs-Erkrankung verstärkt hat – und nicht, weil sie ein Suchtproblem haben. Sie kommen daher viel zu spät zur Suchtbehandlung."

Und Medikamentenabhängige sind im Vergleich zu anderen Suchtkranken insofern oft unauffällig, als es keinen offensichtlichen Rauschzustand gibt. Auch das führt dazu, dass Warnsignale zu spät erkannt werden.

Einen Kompromiss finden

Eine zusätzliche Hürde: Betroffenen müssen oft auch weiterhin wegen ihrer Grunderkrankungen medikamentös behandelt werden. Musalek: "Die Patientinnen und Patienten nehmen die Präparate ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie ernstzunehmende psychische Erkrankungen wie etwa Angststörungen oder Depressionen haben. Da stellt es uns Fachleute vor besondere Herausforderungen, die richtigen Medikamente zu finden, die den Menschen helfen, sie aber nicht weiter in die Abhängigkeit treiben."

Wird jemand richtig – vorerst meist stationär und anschließend längerfristig ambulant – behandelt, ist die Chance auf ein dauerhaft selbstbestimmtes, suchtfreies Leben aber gut, wie Musalek betont. Denn im Gegensatz etwa zur Alkoholsucht bestehe bei der Medikamentenabhängigkeit in der Regel kaum sozialer Druck: "Mit Alkohol ist man ja dauernd konfrontiert, das fällt bei Medikamenten weg. Bei fachgerechter Behandlung ist die Prognose hervorragend."