"Tiefer Schweb" bei den Wiener Festwochen.

Foto: Thomas Aurin

Wien – Die Schauplätze in Christoph Marthalers Arbeiten waren immer schon die sonderbarsten. In Tiefer Schweb taucht der Schweizer Regisseur nun 243 Meter hinab in den Bodensee. Dort gluckst und blubbert es, aber vor allem tagt dort im Auftrag des "Sicherheitsrats der Vereinigten Bodenseeverwaltung" in einer Klausurdruckkammer ein achtköpfiger Fachausschuss im Zirbenstubenambiente. Man gibt vor, sich über die temporäre Unterbringung von Zugewanderten sachzuverständigen. Man untersucht Auswirkungen des Zuzugs auf die Biosphäre – und auch die "Biopolitik"!

Vor knapp einem Jahr hatte Tiefer Schweb Uraufführung an den Münchner Kammerspielen (der STANDARD berichtete), nun gastiert die Inszenierung dreimal bei den Festwochen im Theater an der Wien (4.–6. 6.). Die Premiere am Montag wurde bejubelt. Ein paar ratlose Novizen im Publikum gab es auch. Das ist eigentlich erfreulich, da es zeigt, dass sich Marthalers Kunst ihre nichtanbiedernde Eigensinnigkeit bewahrt hat. Selbst das Bontempiorgelduell behält sich eine Sprödigkeit vor, die in einen performativ grandiosen Kampf um die Liedguthoheit mündet.

Nuancen der Aussichtslosigkeit

Tiefer Schweb ist ein ziemlich guter Marthaler und einer, der eigentlich schon überfällig war. Denn in wessen Händen wäre die umständlich-prozedurale und ergebnislos mit sich selbst befasste Verwaltungssprache besser aufgehoben als in jenen fürsorglich auf jede Nuance der Aussichtslosigkeit bedachten des Christoph Marthaler?

Das Auf-der-Stelle-Treten feiert Triumphe, Strophe für Strophe. Die Hingabe an Ablenkung und Verzögerung ist jederzeit gegeben. Nach der Erörterung von Hygienestandards und "Integrations kompatibilität" bringen schließlich die Autonomieansprüche der Blumeninsel Mainau alles zum Erliegen. Das "Wesen des Ausschusses"? Es muss unergründlich bleiben. Talent für ein Urinalkonzert hat er aber allemal. (afze, 5.6.2018)