Ein epigenetisch modifiziertes (methyliertes) DNA-Molekül. Fehlerhafte DNA-Methylierungen können Krebs verursachen.

Illustration: Christoph Bock

DNA auf einem Nukleosom. Die Epigenetik kontrolliert die dreidimensionale Verpackung der DNA in der Zelle.

Illustration: Christoph Bock

Eine Wissenschafterin im Labor untersucht epigenetische Veränderungen bei Krebs.

Foto: Wolfgang Däuble

Illustration der epigenetischen Landschaft des Blutes von der Stammzelle bis hin zu spezialisierten Blutzellen.

Illustration: Christoph Bock und Stefan Kubicek

Die Entstehung eines komplexen Organismus erfordert ein beeindruckendes Maß an Koordination und Kooperation der Zellen untereinander. Der menschliche Körper besteht aus etwa 30 bis 40 Billionen Zellen, die in vielfältiger Weise zusammenarbeiten, um die Körperfunktionen aufrechtzuerhalten. Diese Zellen folgen einem genetischen Programm der Spezialisierungen und Kooperation, welches kontrolliertes Wachstum ebenso vorsieht wie den geplanten Tod von Zellen, die nicht mehr gebraucht werden.

Diese Zusammenarbeit ist nur möglich, weil alle Zellen eines Körpers dasselbe Erbgut in sich tragen. Damit ist die Darwin'sche Selektion für einen evolutionären Moment außer Kraft gesetzt: Für das Überleben der gemeinsamen Gene spielt es keine Rolle mehr, ob eine Zelle sich selbst vermehrt oder ihre Schwesterzellen diese Aufgabe übernehmen. Daher konkurrieren die Zellen des Körpers nicht um knappe Ressourcen, sondern ergänzen und unterstützen sich gegenseitig. Ein komplexer Organismus mit hochspezialisierten Zellen kann so erst entstehen.

Verpackt, verdrillt und aufgewickelt

Wie spezialisieren sich Zellen, wenn sie allesamt dasselbe Erbgut tragen? Die Evolution hat den Weg in die dritte Dimension gewählt: Während die Buchstaben der DNA unverändert bleiben, werden die DNA-Moleküle in der Zelle aufwendig verpackt, verdrillt und aufgewickelt. Einerseits passt das Erbgut dadurch erst in die mikroskopisch kleinen Zellen, denn langgezogen wäre die DNA einer einzelnen Zelle etwa zwei Meter lang. Andererseits ist die Verpackung spezifisch für jeden Zelltyp, sodass eine Zelle nur die für sie relevanten Gene verwenden kann. Unwichtige oder gar schädliche Gene werden hingegen weggepackt und chemisch gesperrt.

Beispielsweise kann eine insulinproduzierende Zelle in der Bauchspeicheldrüse ihr Insulin-Gen jederzeit aktivieren, da es sich frei zugänglich mitten im Zellkern befindet. Jedoch ist ihr die Verwendung von gehirnspezifischen Genen strikt untersagt; sie liegen aufgerollt und weggesperrt an der inneren Wand des Zellkerns. Damit wird verhindert, dass die falschen Gene versehentlich aktiviert werden und den Zellzustand durcheinanderbringen.

Unkooperative Zellen

Doch diese Zugangskontrolle der Gene hat Schwächen und kann im schlimmsten Fall zu Krebs führen. Infolge von Umwelteinflüssen oder schlicht dem Zufall wird Zellen nämlich bisweilen der Zugang zu wichtigen Genen entzogen. Normalerweise sterben die betroffenen Zellen und richten keinen weiteren Schaden an. Manchmal trifft es aber wichtige Gene, die das Wachstum der Zelle regulieren. Dann kann es passieren, dass eine einzelne Zelle ihre Kooperation mit dem Organismus aufkündigt und mit unreguliertem Wachstum beginnt. Ein Tumor entsteht.

Allerdings hat dieser Tumor einen Schwachpunkt: Seine Zellen haben sich ihrer Regulationsgene nicht dauerhaft entledigt, wie es bei den genetischen Ursachen von Krebs der Fall ist, sondern diese Gene wurden nur zeitweise deaktiviert und weggepackt. Wenn es also gelänge, diese Gene gezielt wieder anzuschalten, dann würde der Tumor seine Grundlage verlieren. Grund genug, sich das Verpacken der Gene einmal näher anzuschauen.

Epigenetik – jung und unkonventionell

Diesem Thema widmet sich das noch recht junge Forschungsgebiet der Epigenetik – quasi als kleine, unkonventionelle Schwester der altehrwürdigen Genetik. Denise Barlow, die bekannte und viel zu früh verstorbene Epigenetikerin, definierte einmal augenzwinkernd: "Epigenetik, das waren schon immer all die sonderbaren und wundervollen Dinge, die sich die klassische Genetik einfach nicht erklären kann." All das also, was die Natur durch geschickte Verpackung der Gene anstellen kann, ohne die Gene selbst zu verändern.

In meinem Labor am CeMM-Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersuchen wir die Rolle von epigenetischen Veränderungen bei der Entstehung von Krebs. Dabei hilft uns der Blick auf Krebserkrankungen bei Kindern. Denn diese sind – im Gegensatz zu Krebs bei älteren Menschen – genetisch sehr homogen, der Epigenetik kommt daher eine besonders wichtige Rolle zu.

Spuren im Tumorprofil

Wir haben uns die epigenetischen Veränderungen beim Ewing-Sarkom, einem Knochenkrebs von Kindern und jungen Erwachsenen, genau angeschaut. In Kooperation mit der St.-Anna-Kinderkrebsforschung in Wien und dem Institut Curie in Paris ist uns dabei aufgefallen, dass jeder Tumor ein individuelles epigenetisches Profil hat. Und in diesem Profil konnten wir Spuren der Vorläuferzellen erkennen, aus denen sich die Tumore entwickelt haben. Mit diesem Wissen lassen sich Ewing-Sarkome hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft präziser behandeln.

Ein ähnliches Muster sehen wir auch bei Blutkrebs, genau gesagt bei der chronischen lymphatischen Leukämie. "Eine Analyse der DNA-Verpackung – im Fachjargon Chromatin-Struktur genannt – offenbarte verschiedene Typen dieser Krankheit: Wenn sich die Leukämie aus wenig spezialisierten Vorläuferzellen entwickelt und diesen epigenetisch ähnelt, dann benötigten die Patienten eine frühere Behandlung und verstarben im Durchschnitt auch eher. Im Gegensatz schritt die Krankheit nur sehr langsam voran, wenn die Chromatin-Struktur der Leukämie-Zellen jener von reiferen und stärker spezialisierten Blutzellen ähnelt.

Die Entwicklungswege einer Zelle

Es lohnt also, den Zusammenhang zwischen der Entwicklung beziehungsweise Spezialisierung der Zellen und der Entstehung von Krebs zu studieren. Dafür benötigen wir eine epigenetische Karte aller Wege, die eine Zelle bei ihrer Entwicklung beschreiten kann. Man kann sich das wie die Karte eines Skigebiets vorstellen: Die Stammzellen befinden sich auf der Bergspitze und haben noch alle Optionen, in welche Richtung sie sich spezialisieren werden. Im Laufe ihrer Entwicklung folgen die Zellen dann epigenetisch definierten Wegen bergab in Täler, die spezialisierten Zelltypen entsprechen und aus denen sie nicht mehr ohne Weiteres ausbrechen können.

Um eine vollständige Karte der epigenetischen Regulation menschlicher Zellen zu erstellen, kommt die – in der Wissenschaft so wichtige – internationale Zusammenarbeit zum Tragen. Wir arbeiten im Rahmen des International Human Epigenome Consortium mit Kolleginnen und Kollegen aus Europa, Amerika und Asien an der Erstellung dieser epigenetischen Karten und ihrer Nutzung für die Krebsforschung. Erste Ergebnisse deuten bereits darauf hin, dass wir den Krebs damit nicht nur besser verstehen, sondern auch gezielter behandeln können. Aber es gibt noch viel zu tun, und es bleibt spannend! (Christoph Bock, 6.6.2018)