Die Initianten des Volksbegehrens demonstrieren vor der Nationalbank in Bern.

Bei der sogenannten Vollgeldinitiative entscheidet das Stimmvolk über eine geldpolitisch komplexe Materie, deren Folgen selbst für Experten schwer abzuschätzen sind. Die Neue Zürcher Zeitung nannte die Initiative "eine der radikalsten Vorlagen, die es hierzulande je an die Urne geschafft haben" .

  • Worüber wird abgestimmt? Geschäftsbanken drucken schon lange keine Banknoten mehr. Dieses Privileg der Bargeldschöpfung hat in der Schweiz, so wie fast überall auf der Welt, die Nationalbank. Der Großteil der Franken, Euro und Dollar im Umlauf sind aber keine Scheine und Münzen, sondern digitale Nullen und Einser.
    Dieses sogenannte Buchgeld wird sehr wohl von Geschäftsbanken geschaffen, indem sie etwa einen Kredit vergeben und die entsprechende Summe auf einem Konto eintragen. Bei der Vollgeldinitiative wird darüber abgestimmt, den Geschäftsbanken das Privileg der Buchgeldschöpfung wegzunehmen und allein der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zu übertragen. Was spricht dafür?
  • Sicheres Geld: Die Initianten erwarten sich in erster Linie, dass das Geld sicherer würde. Denn das Vollgeld "gehört dem Geldbesitzer wie das Bargeld im Portemonnaie oder im Tresor", wie die Initianten erklären. Eine Bank in Schieflage würde keinen Ansturm der Kunden auslösen, die versuchen, rechtzeitig ihre Konten zu leeren. "Too big to fail" gäbe es nicht mehr.
  • Weniger Finanzkrisen: Außerdem wäre das Finanzsystem dank Vollgeld stabiler, behaupten die Befürworter. Denn das Privileg der Geldschöpfung habe Finanzinstitute verleitet, übermäßig Kredite zu erteilen. Dadurch würden sie Preisblasen verstärken, etwa bei Immobilien. Die würden wiederum der Besicherung neuer Kredite dienen, bis der Teufelskreis wie 2008 in den USA im Kollaps endet. Mit Vollgeld würde zusätzliches Geld nicht mehr aus Schulden entstehen, sondern die Nationalbank würde es an Bund, Kantone oder Bürger direkt verteilen. Was sagen die Kritiker?
  • Kreditvergabe erschwert: Skeptische Stimmen warnen vor dem großen Experiment. Die Risiken seien zu hoch. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fürchtet, dass die Kreditvergabe durch Banken ins Stocken geriete. Die Unternehmensfinanzierung wäre erschwert, das Wachstum gefährdet.
    Von vielen Ökonomen wird bezweifelt, ob eine Umstellung auf Vollgeld überhaupt notwendig wäre, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Seit der Krise gelten höhere Eigenkapitalvorschriften für Banken. Die SNB hat außerdem die Banken in schwierigen Zeiten erfolgreich mit Liquidität ausgestattet. Zu einem Sturm auf die Bank kam es nicht.
  • Kein Krisenschutz: Auch dass zu freizügige Kreditvergabe die Wurzel allen Übels sei, ist nicht die gängige Lehrmeinung. Schließlich waren es gefinkelte Finanzderivate, die Risiken vertuschten, ein Schattenbankensystem, und die großzügige staatliche Förderung von Hypotheken in den USA, die das Finanzsystem destabilisierten. Vollgeld adressiert diese Probleme nicht.
  • Notenbank verpolitisiert: Schließlich fürchtet die Nationalbank selbst die Verantwortung, Geld zu verteilen. Der politische Druck wäre hoch und Verteilungskämpfe wahrscheinlich. Daher lehnt die SNB die Initiative ab. Damit ist sie nicht allein. Sämtliche Parteien, das Parlament sowie Arbeitnehmer- und -geberverbände haben sich dagegen ausgesprochen. Für viele Stimmbürger, die mit der Materie eventuell überfordert sind, ist die breite Front dagegen ein starkes Signal.

Der Antrag dürfte scheitern. Aber was die direkte Demokratie ausmacht, sind der öffentliche Diskurs über ein Privileg der Banken und die vielen Vorschläge zur Stabilisierung des Finanzsystems. (Leopold Stefan, 9.6.2018)