"Es braucht einen Putsch weg vom verkopften!" findet Lehrer Erich Gusenbauer.

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Wer kann das schon von sich sagen: "Ich bin Ernährungsberater, ausgebildet in Gewalt- und Drogenprävention, im Umgang mit Mobbing, Cyberkriminalität, kompetent in medizinischen Angelegenheiten, ich leiste Erste Hilfe, unterstütze bei Familienangelegenheiten, mache Medien- und Sexualerziehung, biete Verkehrserziehung, Bewegungserziehung, politische Bildung, Umwelterziehung und interkulturelles Lernen." Doch damit ist Erich Gusenbauer mit seiner Job-Description noch nicht am Ende: "Wirtschaftliche Kompetenzen und VerbraucherInnenbildung gibt es natürlich auch noch", schreibt er in einer Mail an den Standard.

Einer für alles

Seit 25 Jahren unterrichtet Herr Gusenbauer Mathematik, Informatik und Geschichte am Landesschulzentrum für Hör- und Sehbildung in Linz. Auf Nachfrage erklärt der Lehrer, weshalb er so vieles unter einen Hut bringen müsse: Schuld daran sei die Erfindung des "Unterrichtsprinzips", welches man – so die politische Idee dahinter – als Lehrkraft selbstverständlich in den Bildungsalltag miteinfließen lassen solle. Für Herrn Gusenbauer ist das nichts anderes als eine geplante, aber kostengünstige Lehrer- wie Schülerüberforderung.

Er fragt sich, wann er denn all das, was sich der Gesetzgeber an wichtigen Unterrichtsbestandteilen ausgedacht hat, unterbringen soll. "Während der paar Minuten am Tag, in denen ich tatsächlich als Lehrer tätig bin? In der Zeit, wenn ich als Elternberater, Sozialarbeiter, Psychologe, Mediator oder Familientherapeut arbeite? Oder dazwischen, wenn ich die Funktion des Alleinunterhalters oder Animators wahrnehme?"

Ständiges Herumwurschteln

Herr Gusenbauer vermisst Regenerationsphasen. Er fordert gar: "Es braucht einen Putsch weg vom Verkopften!" Der aktuelle Fächerkanon gehöre überdacht, die 50-Minuten-Einheiten abgeschafft und die Vorgaben des Lehrplanes gelockert. Stattdessen werde "ständig herumgewurschtelt" – bei der Benotung, bei den Lehrplänen, bei der Zentralmatura, bei den Rahmenbedingungen für die Neue Mittelschule. Erich Gusenbauer will einen regelrechten "Reformwahn" ausmachen. Dabei, findet der Experte aus der Praxis, sei schon jetzt "die Summe der Aufgaben gepaart mit administrativen Anforderungen der Schulaufsicht und dem Druck der Eltern einfach zu viel".

Und da rede er noch gar nicht von anderen Herausforderungen, etwa Sprach- oder Integrationsschwierigkeiten. "Von Problemen mancher Wiener Stadtschulen sind wir hier in unserer Spezialschule noch weit weg."

Was er jedoch auch einmahnt, ist, dass Eltern und Gesellschaft "ihre Erzieherrolle wieder wahrnehmen müssen". Da werde vieles einfach an die Schulen delegiert, worunter der Lehrer zwar leidet, wofür er teilweise aber auch Verständnis hat. "Den Eltern fehlen oft Zeit und Energie", weiß Gusenbauer und findet: "Da wäre eine flächendeckende Ganztagsschule sicher hilfreich." (Karin Riss, 8.6.2018)