Der Blick auf Wolkenstein: ein Gemeinschaftsraum im Dachgeschoß der "Villa A", gestaltet von Perathoner Architects, mit Dorf- und Bergpanorama.

Foto: Perathoner Architects/Arik Oberrauch

Ohne Dämmschicht: "Wohnhaus MG" von Mahlknecht Comploi.

Foto: Alois Pumhösel

Das Grödnertal in Südtirol bietet eine Tourismusidylle, wie sie nur die Alpen hervorbringen: Unter schroffen Bilderbuchfelsen drängen sich herausgeputzte Hotels, Liftanlagen reichen bis in die Ortszentren hinein. Die Zahl der Gästebetten übersteigt die Zahl der Bewohner um ein Vielfaches. Weniger idyllisch ist es, wenn man hier als Einheimischer eine Wohnung sucht. Im Hauptort St. Ulrich kommt ein 100-Quadratmeter-Eigentum auf eine Million Euro, berichtet Bürgermeister Tobia Moroder. Um Spekulationen zu verhindern, dürfen nur noch Menschen, die hier seit drei Jahren ansässig sind, Wohneigentum erwerben. "Ein Ort lebt nur, wenn Einheimische darin wohnen", sagt Moroder.

Schnell und mit Satteldach

Wer hier baut, baut schnell. Alles muss fertig sein, bevor die nächste Tourismussaison und das damit einhergehende Bauverbot beginnen. Wer hier baut, setzt zudem ein Satteldach aufs Gebäude. Lange wurden Flachdächer gar nicht bewilligt, heute benötigt man zumindest einen guten Grund.Der Tourismusboom hat dem Tal mit seiner langen Holzschnitztradition nicht viele alte Häuser gelassen – im Gegensatz etwa zum nördlicheren Villnöss-Tal. "Klassisch sind hier das verputzte weiße Haus aus Stein und der Holzstadl mit gemauertem Sockel", erklärt Igor Comploi, der hier ein Architekturbüro führt.

Dass viele Neubauten, egal ob Gemeindehaus oder Autowerkstatt, zur Neuinterpretation eines Stadls werden – und das nicht einmal in lokaler Anmutung -, findet er nicht richtig. "Man gibt dem Alten auch dann großen Wert, wenn man am Neuen ablesen kann, dass es neu ist", sagt Comploi.

Zeitgemäße Architektur

Bei Einfamilienhäusern zeige das Grödnertal seit etwa 15 Jahren durchaus Beispiele für zeitgemäße Architektur, betont der Architekt. Im Rahmen der Südtiroler "Tage der Architektur" stellte Comploi einige von ihnen vor. Darunter befand sich das "Wohnhaus MG" in St. Christina, geplant von Complois Büro – ein elegantes, selbstbewusstes, aber nicht marktschreierisches Bauwerk mit 140 Quadratmetern Wohnfläche, großen Fensterflächen und kleinen, in Halbstöcken angeordneten Räumen.

Die Radikalität des Baus verbirgt sich in Mauern, Dach und Fundament: Es kommt vollkommen ohne Dämmschicht, Folien und Armierung aus. Der Beton, ein mit geschäumtem Glas und Hochofenbeton versetztes, sehr schwer zu verarbeitendes Spezialprodukt, bringt Dämmwirkung und Tragfähigkeit mit und wurde in bis zu 60 Zentimetern Wandstärke "monolithisch" gegossen. Wenige Kilometer weiter, in Wolkenstein, lehnt sich die "Villa A", ein Gebäude des hier ansässigen Büros Perathoner Architects, gegen einen Wiesenhang. Mit der holzverkleideten, sich Richtung Berge öffnenden Fassade passt es sich harmonisch in die Umgebung ein. Das allgegenwärtige Satteldach wurde neu interpretiert und geht in schrägen Flächen in die Hauswände über.

Untergeschoße im Erdreich

Auch hier gibt es besondere innere Werte: Drei Untergeschoße reichen weit ins Erdreich und geben neben den Wohnungen einer Wellnessoase und einer per Autolift erreichbaren Garage Raum. Eine Herausforderung war die Hangsicherung, sagt Architekt Rudi Perathoner. Das in einer Rutschzone gelegene Haus war aufwendig mit Pfahlwänden zu sichern. In drei Monaten war das erledigt, der restliche Hausbau in weiteren drei.

Ein paar Schritte unterhalb der "Villa A" kann gleich ein großer Vorläufer einer fortschrittlichen Baukultur in Norditalien betrachtet werden: ein Ferienhaus, erbaut von Architekt Armando Ronca in den 1930er-Jahren. Mit dem bis zum Boden gezogenen Pultdach wurde es einst als Seilbahnstation verspottet, dabei ist es mit seiner reduzierten, funktionalen Gestaltung ein frühes Zeugnis der baulichen Moderne in der Gegend. (Alois Pumhösel, 9.6.2018)

Die Reise nach Gröden wurde von IDM Südtirol unterstützt.