Schon 2016, nach der Wahl von Donald Trump, schrieb der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer: "Ohne die Führungsrolle der USA wird der Westen in seiner bisherigen Form nicht überdauern." Und: "Das große China macht sich auf, in die Schuhe der ermüdeten Weltmacht zu schlüpfen, während im alten Europa ein weiteres Mal das Gespenst des Nationalismus aus der Gruft steigt."

"Der Westen" – das war seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Bündnis der Demokratien von den USA über West- und Südeuropa bis Australien und Neuseeland. Ein paar autoritär regierte Länder waren auch darunter, aber sie wurden im Lauf der Zeit demokratisch.

Die größte Umwälzung kam vor über einem Vierteljahrhundert, als die scheinbar aus Eisenbeton geformten kommunistischen Diktaturen Osteuropas eine nach der anderen in sich zusammensanken: "Mit einem Wimmern, nicht einem Knall", wie es in einem berühmten Gedicht von T. S. Eliot heißt. Die Sowjetunion war plötzlich weg, und ihre früheren osteuropäischen Vasallen traten der Nato und der EU bei. Aber: Heute sind es die Osteuropäer, die im Nationalismus versinken.

Vor allem aber sind die USA in die Hände eines zugleich lächerlichen und brandgefährlichen Egomanen gefallen. Beim G7-Gipfel der Industrienationen in Kanada werden die Europäer vermutlich endgültig zu der Erkenntnis kommen müssen, dass das alte Konzept des Westens tot ist: Die USA sorgten für Sicherheit, und die Europäer unterstützten die gemeinsamen Werte: Demokratie, Marktwirtschaft mit Freihandel, Rechtsstaat. Das war kein schlechtes Geschäft für die USA, denn wären die Europäer ins andere Lager übergegangen, gäbe es vielleicht das sowjetische Imperium noch, und es könnte auf viel bessere Ressourcen zurückgreifen.

Trump, der instinktiv spürt, dass die USA im Abstieg sind und das auf Kosten der Freunde aufhalten will, hat diesen großen Vertrag zerrissen.

Die bitterste Schlussfolgerung daraus: Europa kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die USA eingreifen, wenn sich Wladimir Putin ein Stück sowjetisches Imperium wiederholt. Der Ukraine hat er soeben wieder gedroht. Werden die USA wirklich reagieren, wenn sich Russland die baltischen (Nato-)Staaten wiederholt, so wie die Krim? Und was ist mit dem vielfältigen Einfluss der Russen in aufstrebenden westeuropäischen Parteien? Zwei Regierungsparteien, die österreichische FPÖ und die italienische Lega haben Abkommen mit der Putin-Partei geschlossen.

Putin soll bei seinem Wien-Besuch Sebastian Kurz gebeten haben, ein Gipfeltreffen mit Trump auszurichten. Das ist wohl der Grund, warum sich der Bundeskanzler bei seinem Berlin-Besuch demnächst mit dem in Deutschland wegen seiner eklatanten Einmischung bereits verhassten US-Botschafter Richard Grenell treffen wird.

Was soll aber bei einem solchen Treffen in Wien zwischen Trump und Putin, die sich so seltsam gut verstehen, herauskommen? Vielleicht die neuerliche Aufteilung Europas? (Hans Rauscher, 8.6.2018)