Dass ein Nachruf auf Anthony Bourdain mit den heute medial üblichen Hilfsangeboten für Suizidgefährdete erscheinen würde, das können seine Fans auch drei Tage nach der Todesnachricht nicht fassen: Ein Koch und Gastronom, aus dem ein Schriftsteller und berühmter Gourmetreisender und kultiger TV-Star wurde, brillant-witzig, cool, engagiert, mit einer elfjährigen Tochter und einer neuen Liebe im Leben, starb in einem Hotel in Frankreich in der Nähe von Straßburg. Dort sollten die Dreharbeiten zu einer neuen Episode der zwölften Staffel von Parts Unknown stattfinden.

Anthony – Tony, wie ihn seine Freunde nannten – Bourdain wäre Ende Juni 62 Jahre alt geworden. Begonnen hatte seine TV-Karriere 2002 mit A Cook's Tour. Er wurde Mitbegründer und ungekrönter König einer kulinarischen Erzählform, die heute selbstverständlich ist: das Leben der Menschen dadurch zu verstehen und zu erklären, dass man in ihre Töpfe, auf ihre Teller und Tische und Tischgesellschaft schaut. Die politische Komponente dabei war anfangs nicht intendiert: Sie kam dazu, als 2006, während seines Aufenthalts in Beirut, die durch eine Hisbollah-Aktion hervorgerufenen israelischen Angriffe begannen und er sich plötzlich im Krieg wiederfand.

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Anthony Bourdain, der berühmteste Gastrojournalist der USA (hier auf einem Foto von September 2015), starb am Freitag in Kaysersberg in Frankreich.
Foto: Reuters/Moloshok

Wendepunkt Beirut

Bourdain bezeichnete das später als einen Wendepunkt. Seine Geschichten wurden "komplizierter", weg von einer gewissen Beliebigkeit zur Darstellung der Humanität – ausgedrückt durch die Kultur des Essens und Kochens und der sozialen Bindungen -, auch unter extremen Bedingungen und in schwierigen politischen Umständen. Das ist hochpolitisch. Entsprechend verübelt wurde ihm deshalb in Israel etwa seine Gaza-Episode oder seine Reise in den Iran. Aber er berichtete auch aus Asien, Afrika, Europa – ja, Wien war ebenfalls dabei.

Von ihm haben manche Amerikaner wohl mehr über die Welt erfahren als aus ihrer Auslandsberichterstattung. Bourdain mit Barack Obama beim Sechs-Dollar-Nudelessen in Hanoi: Der ehemalige US-Präsident gedachte am Samstag Bourdains mit einem Foto auf Twitter. Und es wäre nicht Bourdain, hätte er in seiner Vietnam-Episode nicht an die Entmenschlichung der "Feinde" während des Vietnamkriegs erinnert.

"I'm a fuckin' feminist."

In einer Beziehung war jedoch auch er unbarmherzig: Den Vegetarismus hielt er für Schnickschnack der ersten Welt. Der ältere Bourdain fand zuletzt aber auch noch zu einem Aktivismus, der in seinem exzessiven Macho-Küchen-Leben, das er besonders in seinem Buch Kitchen Confidential beschrieb, bestimmt nicht angelegt war: Seine letzte Lebensgefährtin, die Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento, war eine der ersten Frauen, die den Vergewaltiger Harvey Weinstein anprangerte.

Bourdain warf sich mit aller Kraft für die #MeToo-Bewegung in die Schlacht. Helen Rosner erzählt in ihrem Nachruf im New Yorker davon, wie sich Bourdain vor nicht allzu langer Zeit noch angesichts der Frage wand, ob er ein Feminist sei. Um beim letzten Treffen zu ihr zu sagen: "Write this down: I'm a fuckin' feminist."

Der New Yorker hatte Bourdain den Weg in seine zweite Karriere geöffnet. Dort erschien 1999 der Artikel "Don't Eat Before Reading This", aus dem später der bereits erwähnte erste Buchbestseller wurde: eine Erzählung all dessen, was man eigentlich nicht über Restaurantküchen wissen will (wird schon nicht überall so wild zugehen ...). Es ist der Bourdain der Exzesse, der in seiner Jugend heroinsüchtig war, der zu viel trank und bis vor zehn Jahren – als er seiner Tochter zuliebe aufhörte – zu viel rauchte. Die selbstzerstörerische Ader hatte der Sohn eines Franzosen und einer Amerikanerin vor jenen, die ihn nicht so gut kannten, offenbar gut versteckt. Wenn man das große Porträt liest, das Patrick Radden Keefe 2017 für den New Yorker schrieb, bekommt man jedoch zumindest eine Ahnung, dass es sehr dunkle Momente gab. (Gudrun Harrer, 10.6.2018)

Nachlese:

Starkoch Anthony Bourdain 61-jährig gestorben