Nicht die allgemeine Klimaerwärmung macht auf Arte den verfrühten Sommer, sondern die Erfahrung aus den vergangenen Jahren: Wann immer der deutsch-französische Kultursender den Summer-of-Schwerpunkt ausruft, schnellen die Zuschauerzahlen in die Höhe: Im Vergleich zum Jahresdurchschnitt der betroffenen Sendezeiten verzeichne man einen um 20 Prozent höheren Marktanteil, sagt Kulturredakteur Oliver Schwehm.

Doku über Tokio Hotel am 22.7.
Foto: Arte

Dieses Jahr heißt es bereits ab 1. Juli freitags und sonntags Summer of Lovers und serviert Dokus und Filme über und mit Cary Grant (1.7.), Barbra Streisand (6.7.), Steve McQueen (13.7.), Prince (20.7.), Ryan Gosling (22.7.), Tokio Hotel (22.7.) und John Travolta (27.7.). "Leicht größenwahnsinnig", begründet Kulturredakteur Oliver Schwehm die Entscheidung, erstmals auf acht Wochen zu verlängern und damit gegen die Fußball-WM anzutreten.

Durchschnittlich 60

Jährlich senke man mit diesem Angebot in dieser Zeit den Altersschnitt, sagt Schwehm. Der liege dann bei 49 Jahren und rund zehn Jahre niedriger als sonst. "Jünger zu werden, ist nicht Ziel von Arte", sagt Kulturchefin Claire Isambert. Mit dem Altersdurchschnitt ihrer Zuschauer, bei dem TV-Manager für gewöhnlich Ohrensausen bekommen, ist sie zufrieden: Durchschnittlich 60 Jahre alt sind die Zuschauer von Arte in Deutschland, in Frankreich noch ein Jahr älter. Bei Sendungen mit klassischer Musik und Oper erhöht sich der Schnitt noch einmal um zehn Jahre.

Gut möglich, dass das Publikum heuer jünger wird: Zum Sommer setzt Arte erstmals einen Winter-of-Schwerpunkt, passend zur Mondlandung 1969. Für solches Vordringen in niedrigschwellige Unterhaltung muss sich der Kultursender immer wieder Kritik gefallen lassen. Nicht jeder kann mit dem auf Kommerz abzielenden Konzept etwas anfangen und wittert schnöde Anbiederung ans Privatfernsehen. Aber allen kann man es sowieso nie Recht machen, denn genauso hartnäckig hält sich Häme, wonach der Sender viel gelobt, aber wenig gesehen sei.

Ryan Gosling am 22.7. im "Summer of Lovers".
Foto: Arte

"Arte hat einen guten Lauf", sagt Präsident Peter Boudgoust im Arte-Haus am Quai du Chanonine Winterer in Straßburg mit Blick auf Ill und europäischen Gerichtshof. Wer auch immer das Projekt Europa in der Krise sieht – hier wird er dafür keine Zustimmung finden. "Als ich bei Arte angefangen habe, gab es die Überzeugung, ja, Europa ist wichtig, aber Europa ist auch das Thema, mit dem wir das Publikum vertreiben", sagt Programmchef Bernd Mütter. "Das ist vorbei." Dank Brexit, Migrationsbewegungen und schwelenden Problemen Europas in den internationalen Beziehungen hätten die Inhalte des Senders an Wirkmächtigkeit gewonnen.

Porträt John Travoltas am 27.7.
Foto: Arte

Mütter nennt als Beispiel eine Ausgabe der Reportagereihe Re: über die christdemokratische Abgeordnete Róża Thun und ihren Einsatz gegen die nationalkonservative Regierung. Die Reportage hatte eine Hetzkampagne in Polen zur Folge und führte schließlich dazu, dass der Vizepräsident des EU-Parlaments, Ryszard Czarnecki, nach Beleidigungen an dessen Ende schließlich die Abwahl stand. In Zahlen zeigt sich zumindest beim traditionellen Fernsehen ein Aufwärtstrend, wenn auch auf niedrigem Niveau: In Deutschland konnte man mit dem Konzept den Marktanteil von 0,6 Prozent auf 1,1 Prozent seit 2008 fast verdoppeln. In Österreich hält man bei einem Prozent.

Onlinezuwächse

Online hingegen zählt man rasante Zuwächse. Die Zahl der der monatlichen Video-Views erhöhte sich innerhalb eines Jahres um 66 Prozent auf derzeit 40 Millionen Euro, sagt Mütter. Als deutsch-französischer öffentlich-rechtlicher Versuch gegründet, sendet Arte seit inzwischen seit 26 Jahren, finanziert sich zu je 40 Prozent aus den Beitragsländern. Zwanzig Prozent steuert der europäische Arm Arte G.E.I.E. – mit Sitz in Straßburg – bei. 70 Millionen Euro pumpt die Dachsektion in Programm, und das wird seit geraumer Zeit nicht allein im traditionellen Fernsehen ausgespielt.

Lauren Bacall, am 15. Juli auf Arte.
Foto: Arte

Mit transmedialen Projekten forciert man den Anspruch, "europäischer Kultursender" zu sein:

Über Arte Europe sind rund 500 Programmstunden in sechs Sprachen untertitelt online abrufbar, finanziert vom EU-Parlament mit 1,6 Millionen Euro.

Educ’Arte stellt Filme und Dokus Schülern zur Verwendung und Bearbeitung günstig zur Verfügung.

24 h Europa porträtiert am 4. Mai 2019 in 24 Stunden Programm Europäer zwischen Ukraine und Süditalien.

Eden ist eine länderübergreifende Serie über Flüchtlingsschicksale. Geplanter Sendetermin: Ende 2018. In einer Hauptrolle spielt Sylvie Testud.

Krieg der Träume erzählt ab 11. September in acht Folgen über Zeit und Ideologie zwischen 1918 und 1938. 30 Partner sind an Bord, mehr als hundert Hauptdarsteller wurden in ihren Heimatländern gecastet.

Äquator 360° Grad verfolgt "Linien des Lebens". Am 22. September, dem Tag der Tag-und-Nacht-Gleiche steht ein multimedialer Thementag mit einer 12-teiligen Dokumentation über Land und Leben am Äquator am Programm.

Zu Regierungsplänen, den ORF aus dem Budget zu finanzieren und österreichische Identität zu stärken, will sich der Arte-Präsident nicht äußern, "solange es interessante Projekte gibt zwischen ORF und Arte arbeiten wir auch gut zusammen, und wenn es das nicht mehr gibt, dann war es das halt. Ich hoffe aber nicht, dass es so weit kommt."

Einer unter vielen "Lovers": Prince, am 20.7. im Porträt auf Arte.
Foto: Arte

Vorschläge einer paneuropäischen Mediathek, wie zuletzt von verschiedenen Seiten gefordert, kommentiert Boudgoust zurückhaltend: "Ich halte die Idee für nicht schlecht, aber eine solche Mediathek ersetzt nicht das, was Arte macht. Wir sind weitaus mehr als eine Bibliothek".

Ungefährdet sieht Boudgoust das Projekt Arte aber nicht: 2020 steht in Deutschland die Entscheidung an, Rundfunkbeiträge zu erhöhen. "Wenn das nicht passiert, dann wird die Qualität der Sendungen sinken", sagt Boudgoust. (Doris Priesching, 12.6.2018)