Gottfried Helnweins Ringturmverhüllung thematisiert den Krieg.

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Das durchdringende Grau im Nachkriegswien zwang den kleinen Gottfried Helnwein zu besonderen Maßnahmen. Seine Kindheit beschrieb der Sohn eines Beamten der Postdirektion als überwiegend unfroh. Die katholische Erziehung schärfte obendrein seinen Sinn für das Vorhandensein gesellschaftlicher Gewalt.

Als der Kunstbesessene 1965 die Graphische Bundeslehr- und Versuchsanstalt besuchte, soll er sich die Hand aufgeschnitten haben. Als er daraufhin ein HitlerPorträt malte, tauchte Helnwein kurzerhand den Pinsel ins eigene Blut. Gar nicht wahr, dementierte der Kunststar die schauerliche Anekdote später.

Geglaubt hatte sie dennoch jeder. Als Helnwein in den 1990ern das Christuskind in den Händen der Jungfrau Maria hauchzart pinselte, änderte er die biblische Überlieferung radikal. Wo sonst Weise aus dem Morgenland Weihrauch und Myrrhe darbringen, da sah man jetzt fünf hochrangige SS-Schergen, die den Heiland in spe mit sachlicher Zuversicht beäugen.

Der österreicherische Maler Gottfried Helnwein am Freitag, 8. Juni 2018, im Rahmen eines Rundgangs anlässlich seiner Ringturmverhüllung in Wien.

Man wird Helnwein, der abwechselnd in Irland und in Los Angeles lebt, keinen Hang zur Idyllik nachsagen. Eher schon sticht die altmeisterliche Handhabung von Stift und Pinsel, die er bei Rudolf Hausner erlernt hat, grell von der Themenpalette ab. Helnwein, der heuer 70 wird, beschäftigt sich obsessiv mit Schmerz und Verletzung. Hat man Glück, so dienen Figuren aus dem Kosmos von Walt Disney als Vorlage. Doch unter Helnweins Blick mutiert sogar Mickey Mouse zu einem potenziellen Schlächter. Die ganze Empathie des Mannes mit dem charakteristischen Kopftuch gehört den Kindern. Sie bannte er, indem er Spuren sadistischer Gewalt in ihren Konterfeis verewigte. Das Gut kindlicher Unversehrtheit wurde mit Spangen und Narben radikal infrage gestellt.

Sich selbst porträtierte Helnwein als bandagierten Schreier mit Wundklammern vor den Augen. Rockkünstler wie die Scorpions griffen für ein Cover zu. Kein Wunder, dass die aktuelle Verhüllung des Wiener Ringturms (Mädchen mit Maschinengewehr) Helnweins Generalthema CNN-gerecht adaptiert.

Vier Sprösslinge hat der Mann mit den dunklen Gläsern. Auf seinem Schloss in Tipperary studiert er nicht nur Donald Duck, sondern züchtet auch Enten. Ob er Österreich heimlich doch gewogen ist? Zumindest bemalt er – für einen guten Zweck – Sachertortenboxen. Kalt muss die Torte halt sein. Motiv für den Schachteldeckel ist das Eismeer von C. D. Friedrich.(Ronald Pohl, 11.6.2018)