Österreich hat aufgrund der Beteiligung vieler seiner Bewohner an der Schoah zweifelsohne eine historische Verantwortung gegenüber dem Staat Israel. Bei seinem Israel-Besuch hat Bundeskanzler Kurz diese Verantwortung auch deutlich angesprochen. Die Unterstützung Israels sei österreichische "Staatsräson".

Sebastian Kurz beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
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Konterkariert wird das Bekenntnis des Kanzlers zum Schutz Israels allerdings von der Tatsache, dass auch weiterhin kein Kontakt zwischen der israelischen Regierung und FPÖ-Regierungsmitgliedern auf politischer Ebene besteht.

Noch wesentlicher für die Beziehungen der beiden Länder aber ist, dass Österreich in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Vereinten Nationen eine relativ israelkritische Linie an den Tag gelegt hat. Die Grafik unten zeigt das Abstimmungsverhalten in der UN-Generalversammlung bei Nahostkonflikt-Materien seit 1990.

Mitgliedsstaaten können mit Ja oder Nein stimmen oder sich ihrer Stimme enthalten. Als Übereinstimmung wird gezählt, wenn zwei Staaten genau gleich abstimmen (also bei zwei Jas, zwei Neins oder zwei Enthaltungen).

Die Übereinstimmungsrate zwischen Österreich und Israel bei den rund 580 Abstimmungen zum Nahostkonflikt seit 1990 liegt bei nur fünf Prozent. Bei einer von zwanzig Abstimmungen zu dieser Materie stimmen Österreich und Israel also genau gleich ab.

Von den dargestellten Ländern liegen nur die USA (die meist die Linie Israels unterstützen) und der Iran ähnlich weit von der österreichischen Position entfernt – allerdings an entgegengesetzten Enden des ideologischen Spektrums. Mit Ländern wie China, Venezuela und Russland hingegen gibt es in mindestens drei Vierteln aller Abstimmungen Übereinstimmung – ganz zu schweigen von EU-Partnern wie Deutschland und Großbritannien, wo fast immer Einigkeit herrscht.

Österreichs geringe Übereinstimmung mit Israel ist eine simple Konsequenz aus der Tatsache, dass in Fragen des Nahostkonflikts die USA und Israel in der UN-Generalversammlung meist allein auf weiter Flur stehen. Das zeigen auch Längsschnittanalysen, die aus den Abstimmungsdaten ideologische Positionen der einzelnen Länder und Ländergruppen im Nahostkonflikt errechnen.

Natürlich ist der Einwand berechtigt, dass Abstimmungen in der UN-Generalversammlung oft ohne unmittelbare realpolitische Konsequenzen bleiben. Ihre Bedeutung ist oft eher symbolisch denn materiell. Sie sind aber dennoch ein guter Indikator dafür, dass Österreichs außenpolitische Linie bei den Vereinten Nationen kritischer gegenüber Israel ist, als es die freundlichen Töne beim Staatsbesuch des Bundeskanzlers nahelegen würden. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 12.6.2018)