Shirin Neshat begibt sich "Auf die Suche nach Oum Kulthum", der ägyptischen Sängerin, deren Lieder den Vorderen Orient einten.

Foto: Rodolfo Martinez

Unnahbarer Star: Oum Kulthum (Najia Skalli) in Shirin Neshats Film.

Foto: Filmladen

Schon die junge Oum Kulthum begeisterte ihr Publikum.

Foto: Filmladen

Spiegelbilder einer Künstlerin: Nour Kamar als Oum Kulthum.

Foto: Filmladen

Die 1975 verstorbene ägyptische Sängerin Oum Kulthum zog mit ihrem einzigartigen Stil jahrzehntelang das Publikum in ihren Bann. Ihr Ruhm war dem eines westlichen Superstars ähnlich – allerdings ohne die medialen Verstärker der Gegenwart. Die iranische Künstlerin Shirin Neshat, die 2017 auch bei den Salzburger Festspielen inszenierte, geht in ihrem Film Auf der Suche nach Oum Kulthum nun dem Mythos dieser Künstlerin nach – es ist kein gängiges Biopic geworden, sondern das Porträt einer kreativen Aneignung, bei dem das Objekt immer wieder entwischt. In einem Grazer Hotel sprachen wir mit Neshat über die Hürden von Künstlerinnen in der arabischen Welt.

STANDARD: Oum Kulthum galt in der arabischen Welt als einer der größten Stars. Taugt sie auch als feministisches Vorbild?

Neshat: Zunächst ist sie eine der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts im Vorderen Orient – unabhängig von ihrem Geschlecht. Dass sie als nichttraditionelle Frau in einer männerdominierten Gesellschaft gearbeitet hat, macht die Beschäftigung mit ihr noch spannender. Manche haben sich darüber beschwert, warum ich keinen Film über die iranische Sängerin Googoosh oder die Poetin Forugh Farrochzad mache – die Wahrheit ist: Es gibt niemanden wie Oum. Als sie starb, kamen vier Millionen Leute zu ihrem Begräbnis. Im Westen gibt es dafür kein Äquivalent. Und sie war nicht einmal besonders attraktiv.

Trailer zu "Auf der Suche nach Oum Kulthum"
Filmladen Filmverleih

STANDARD: Sie war sowohl mit König Faruq wie auch mit Staatspräsident Nasser eng befreundet. Recht widersprüchlich, nicht?

Neshat: Es gibt viele, die sie für diese engen Beziehungen zur Elite kritisieren. Manche meinen, sie wäre ohne die Staatsmänner nicht so populär geblieben. Aber auch das Gegenteil stimmt. Sie halfen ihr, und sie half ihnen. Oum wurde zu einem nationalen Symbol, zu einer Königin. In vielerlei Hinsicht spielte sie mit ihrem Potenzial. In Ägypten hatte sie ein Radioprogramm, bei dem alle zu Hause blieben, um es anzuhören. Stellen Sie sich diese Macht vor, die alles still werden ließ!

STANDARD: Sie wollten ursprünglich ein Biopic drehen. Jetzt ist "Auf der Suche nach Oum Kulthum" mehr ein Film im Film geworden. Eine weibliche Künstlerin blickt auf eine andere. Sind Sie ihrer Faszination verfallen?

Neshat: Zu Beginn dachte ich etwas egoistisch, ich widme ihr ein Tribute, damit ich sie der Welt zeigen kann. Die Liebe zu ihr ist das Einzige, worauf sich die arabische Welt, ja die Muslime einigen können. Wahrscheinlich liebt sie sogar der IS. Je mehr ich mich ihr annäherte, desto dringlicher wurde für mich aber meine eigene Obsession. Für mich stellt sie dar, was es als Frau bedeutet, mit Leidenschaft seiner Berufung nachzugehen.

STANDARD: Erkennen Sie sich darin selbst?

Neshat: Ja, denn ich bin etwa auch eine alleinerziehende Mutter. Ich fühlte mich schuldig, als ich meinen Sohn früher länger in der Schule ließ. Und mein Leben war nie vom Politischen zu trennen. Ich habe mich immer meiner Arbeit verpflichtet – ich weiß bis heute nicht, wie man kocht! Frauen, die Karrieren verfolgen – Oum Kulthum oder Forugh Farrochzad, auch Marina Abramovic oder Cindy Sherman -, alle leben in dysfunktionalen Familiensituationen. Man ist hin- und hergerissen zwischen dem, was man tun will, und dem, was gemeinhin als normales Leben gilt.

STANDARD: Über Oum Kulthum als Privatperson erfährt man letztlich gar nicht so viel. Ihr Mythos bleibt im Film übermächtig. Auch ihre lesbischen Neigungen spielen keine Rolle. Hat Sie das am Ende nicht so sehr interessiert?

Neshat: Mir ging es wie Mitra, der Regisseurin im Film. Ich bekam den Eindruck, dass Oum Kulthum ihr ganzes Leben nur um eines gekämpft hat: darum, ein Bild zu bleiben. Sie weigerte sich, ihr Privatleben verschlingen zu lassen. Selbst ihre Sexualität blieb dubios – man findet nichts darüber. Für mich lag der wichtigste Punkt aber darin: Wenn diese Frau so viele Menschen im Herzen traf, wann hat sie dann selbst diese Emotionen gefühlt?

Die Filmemacherin mit ihrem Objekt, das sie am Ende heimsucht: Neda Rahmanian als Regisseurin Mitra trifft auf Oum Kulthum.
Foto: Filmladen

STANDARD: Haben Sie eine Antwort gefunden?

Neshat: Ihr Cousin sagte mir, dass sie einen Keller hatte, in dem sie tagelang verschwunden ist. Wir wissen, dass sie gelitten hat, weil sie wie ein Mann agieren musste. Sie konnte richtig fies sein. Doch sie hat sich mit einem Schutzschild umgeben, um in die Geschichte als Mythos eingehen zu können. Sie hat nie enttäuscht. Oder versagt. Als Frau in der Öffentlichkeit habe ich auch Angst davor. Nicht Oum – sie war wie ein Felsen.

STANDARD: Wenn Sie heute auf Frauen im Nahen Osten, etwa im Iran, blicken, eint deren Tun noch viel mit Oum Kulthum?

Neshat: Vor allem Frauen aus der jüngeren Generation werden immer ambitionierter und mutiger: Sie drehen Dokumentationen über Afghanistan. Oder sie schreiben provokante Bücher. Das bringt sie oft in brenzlige Situationen. Mitra sagt im Film zu ihrer Schauspielerin: "Um richtig groß zu sein, musst du dich gegen alles stellen, was hinter dir steht." Aber sie schafft das selbst nicht. Die iranische Gegenwart für Frauen beschreibt das sehr gut. Wir spielen immer mit dem Feuer.

STANDARD: Gibt es denn so etwas wie eine gemeinsame feministische Auflehnung?

Neshat: Ich denke immer, aus der Tiefe meines Herzens, wenn es irgendjemanden gibt, der das iranische Regime stürzen kann, dann ist es die iranische Frau. Schauen Sie sich an, was sie Anfang dieses Jahres riskiert haben, als sie ihre Schleier abgelegt haben; es gibt keine größeren Sturschädel als diese Frauen. Sie sind so furchtlos. Eine Freundin auf der Uni von Teheran hat mir unlängst gesagt, sie habe Schwierigkeiten, die Studentinnen zurückzuhalten. Sie akzeptieren kein Nein.

STANDARD: Kann es auch eine Revolution mit Schleier geben?

Neshat: Da geht es gar nicht mehr so sehr um Religion. Diese Frauen wollen keinen Krieg, sie kämpfen für ihre Freiheit, privat und öffentlich. Das ist das Gegenteil von dem, was der Westen über diese Frauen denkt. Stellen sie sich vor, sie stellen sich überall im Land auf und nehmen die Schleier ab! Es gibt nicht genug Polizei, um sie zu stoppen. (Dominik Kamalzadeh, 14.6.2018)