Maximale Arbeitszeit pro Tag in Stunden in ausgewählten EU-Ländern.

Foto: APA

Werden die Koalitionspläne umgesetzt, kann der Arbeitstag künftig schon mal früher beginnen – oder später enden.

Wien – Es war reichlich bizarr, was sich am Sonntag und am Montag rund um das Thema Flexibilisierung der Arbeitszeit abspielte. Während die Arbeitnehmer geschlossene Abwehrreihen gegen die geplante Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden bilden, bröckelt die Front der Befürworter.

Ausgerechnet die Arbeitgebervertreter scherten Sonntagabend aus der gebetsmühlenartigen Argumentationslinie aus, dass die geplante Änderung des Arbeitszeitgesetzes zu keinem Wegfall von Überstundenzuschlägen führte. In der ORF-Sendung "Im Zentrum" bestätigten sowohl Industriellenpräsident Georg Kapsch als auch der designierte Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf, dass es im Falle von Gleitzeitregelungen zu Verlusten kommen könne.

Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung haben bestätigt, dass es für die elfte und zwölfte Stunde keine Überstundenzuschläge geben wird. Das Wirtschaftsministerium bestritt das am Montag.
ORF

"Lohnraub"

Das löste am Montag heftige Reaktionen aus, ziehen Gewerkschaft und Arbeiterkammer doch seit Tagen gegen den drohenden "Lohnraub" zu Felde. Und immerhin waren es die Arbeitgeber, die jahrelang auf eine Flexibilisierung der Arbeitszeit drängten, um nun – endlich – unter Türkis-Blau ans Ziel zu gelangen. Eine Nacht nach seinem TV-Auftritt sah sich Kapsch veranlasst, seine Äußerung zu relativieren.

"Wir sehen uns das ein zweites Mal an", sagte der Präsident der Industriellenvereinigung. Sollte sich herausstellen, dass bei Verträgen mit Gleitzeitregelung durch die Ausweitung der möglichen Arbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden pro Tag tatsächlich Nachteile für die Mitarbeiter entstehen, "werden wir mit der Regierung sprechen".

"Konzernkanzler"

Für die Opposition war der Auftritt der Arbeitgebervertreter ein aufgelegter Elfmeter, den die SPÖ dankend annahm: "Das Märchen des Konzernkanzlers von der Arbeitsflexibilisierung, von der angeblich alle profitieren, wurde nun selbst von der Arbeitgeberseite als Lüge entlarvt", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher.

Kapsch versuchte die offenen Fragen mit der jetzigen Rechtslage zu beantworten. Angeordnete Überstunden über die acht Stunden Normalarbeitszeit hinaus seien jetzt schon zuschlagspflichtig, freiwillig geleistete Überstunden zuschlagsfrei, so Kapsch. Diese würden durch Freizeit kompensiert. Daran solle sich nichts ändern. Doch die Sichtweise der Arbeitgeber auf die Gleitzeit – rund eine Million Beschäftigte sind davon betroffen – ist aus Perspektive der Arbeiterkammer eine höchst theoretische.

"Im Zentrum" zum Nachsehen.
ORF

Nicht angeordnet

Die Dienstnehmer orientieren sich meist am Arbeitsanfall – und machen demnach Überstunden, ohne dass diese angeordnet worden seien, sagt Christoph Klein. Der Arbeiterkammerdirektor untermauert diese Aussage mit Ergebnissen einer Umfrage. Unerledigte Aufgaben sind demnach mit 79 Prozent der wichtigste Faktor beim Gleiten. Private Interessen liegen mit großem Abstand an zweiter Stelle.

Das heißt konkret: Schon bisher wäre die neunte und zehnte Arbeitsstunde am Tag als Überstunde zu werten und damit zuschlagspflichtig gewesen, in der Praxis kommt das aber selten vor. Zumal sich schwer beweisen ließe, was angeordnet und was freiwillig sei, wie Experten betonen. Durch die Ausdehnung der Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden drohe dadurch eine echte finanzielle Einbuße, erläutert Klein.

Körberlgeld für Arbeitgeber?

Hier war es in jenen Bereichen, in denen es eine Sonderregelung für den Zwölfstundentag schon gibt, zwingend, dass Überstunden voll abgegolten werden. Künftig könnten sich das die Arbeitgeber ersparen, heißt es unisono von den Arbeitnehmervertretern. Dazu kommt, dass laut ÖGB-Mann Bernhard Achitz bisher schon rechtswidrig länger als zehn Stunden Dienst verrichtet wurde. Auch wenn die Mehrarbeit ungedeckt war, wurde sie mit Zuschlägen honoriert. Auch in diesem Fall würden Zuschläge künftig wegfallen, betont Achitz.

Die Koalition sah sich angesichts der wachsenden Kritik an ihrem Vorhaben veranlasst, Beruhigungspillen zu verabreichen. Die Klubobleute von ÖVP und FPÖ, August Wöginger und Walter Rosenkranz, versicherten in einer gemeinsamen Aussendung, dass Überstundenzuschläge nicht angetastet werden: "Abschläge bei der Gleitzeit gibt es nicht und wird es nicht geben. Überstundenzuschläge bei der Gleitzeit werden ausbezahlt oder mit Zuschlag in Freizeit ausgeglichen. Das war immer so geplant, und so wird es auch beschlossen."

Wirtschaftskammer "erklärt"

Die Wirtschaftskammer möchte der Bevölkerung den Zwölfstundentag unterdessen mit einem Video näherbringen – auf ihre eigene und etwas spezielle Weise. Zumindest der Zugang zum "Dinge erklären" entspricht irgendwie dem Zeitgeist.

Wirtschaftskammer Österreich

(Günther Oswald, Andreas Schnauder, Günther Strobl, 18.6.2018)