Die letzten Meter hatten es in sich: ein künstlicher Rockgarden, der keine Fehler verzieh. Im Hintergrund pirscht sich bereits Wolverine an.

Foto: Gerhard Berger

Was für ein Sonntag. Ich bin beim Crankworx-Downhill-Rennen, das am Wochenende in Götzens bei Innsbruck stattgefunden hat, in die Top 30 gefahren. Nur 1:32 Minuten langsamer als Sieger und Doppelweltmeister Danny Hart. So weit die Prahlerei. Dass es Platz 25 von 29 Startern der Masters-Pro-Klasse war – zwei Mitbewerber sind ausgefallen –, ist vernachlässigbare Zusatzinformation.

Das waren die Highlights beim Crankworx-Downhill-Rennen am Sonntag in Götzens bei Innsbruck.
Pinkbike

Zu Verteidigung meiner Downhill-Ehre will ich anmerken, dass ich auf einem 26-Zoll-bereiften Kona Operator, Baujahr 2013 und dereinst gebraucht aus der Verleihflotte eines Tiroler Bikeparks erstanden, den Kampf gegen Hart, Blenkinsop und Co antrat. Mein erklärtes Ziel, nicht Letzter zu werden, habe ich als Vorvorletzter erreicht, um nicht zu sagen übererfüllt. Doch der Reihe nach.

Sich einmal mit den Großen matchen

Im Vorjahr machte Crankworx, das größte Mountainbike-Spektakel der Welt, erstmals in Tirol Station. In meinem früheren Job war ich in die Vorbereitungen zu dieser Premiere eingebunden. Schon damals entstand der Wunsch, einmal bei dieser Veranstaltung an den Start zu gehen. Doch als viel mehr passioniertem denn talentiertem Biker war mir nie eine Rennkarriere beschieden. Das Crankworx-Festival will Mountainbiken als Sportart mitsamt dazugehöriger Region bewerben, so auch in Innsbruck. Daher wird Amateuren hier die Möglichkeit geboten, sich in der Disziplin Downhill mit Profis zu messen, die ebenfalls am Start stehen.

Die Australierin Tracey Hannah (Polygon UR Team) auf ihrer Siegesfahrt in Götzens. Die Profis zeigten den Amateuren ihre Grenzen auf.
Foto: Fraser Britton / Crankworx

Voraussetzung ist eine UCI-Rennlizenz. Der Downhill-Verein Tirol, bei dem ich mich stolz Mitglied nennen darf, war mir freundlicherweise behilflich, an die Lizenz zu gelangen. Ein riesiges Danke an dieser Stelle an Obfrau, umsichtige Bikepark-Innsbruck-Managerin und Crankworx-Mastermind Sabine Oswald, ohne die dieser Versuch schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.

Fehlte nur noch die ärztlich bestätigte Renntauglichkeit, und schon war ich UCI-Lizenzfahrer der Mastersklasse Downhill und Crankworx-Starter. Auch aus der Wiener STANDARD-Redaktion kam Unterstützung, obwohl ich mich fürs Rennen eigens beurlauben ließ. Rainer Schüller, Spielertrainer der hauseigenen Fußballmannschaft STANDARD United, ließ mir per Post das Trikot mit der Nummer 46 als Rennjersey zukommen. Vielen Dank dafür! Somit hat die Tirol-Redaktion nun offiziell das STANDARD Factory Racing Team gegründet.

Trackwalk und Starterkit

Voller Vorfreude und etwas nervös ging es am Donnerstag zum Rennbüro nach Götzens, um das Starterpaket abzuholen. Nummer 389. Seit Donnerstag meine neue Lieblingszahl. Die schwarze Startplakette mit dem Crankworx-Logo wird in meiner Radlwerkstatt fortan denselben Status einnehmen wie die "Mona Lisa" im Pariser Louvre. Für den gewissen Coolness-Faktor sorgte das weiße Eintrittsarmband, das einen – im Gegensatz zum schwarz tragenden Fußvolk – als "Athlete" auswies.

Objekte der Amateur-Begierde: das Crankworx-Starter-Kit mit Startnummer und Wristband.
Foto: Steffen Arora

Wie man es von Weltcup-Wochenenden kennt, begann auch das Crankworx-Rennen mit der Streckenbegehung, dem Trackwalk. Den ganzen Donnerstagnachmittag lang war Zeit, zu Fuß erste Linien auszukundschaften. Da ich neben meiner Spätberufung zum Downhill-Racer väterliche Pflichten zu erfüllen hatte, nahm ich meine beiden Söhne, neun und elf Jahre alt, als Berater mit. Ein kurzweiliges Vergnügen. Beide teilen die väterliche Begeisterung fürs Radeln zwar nur bedingt. Doch ihre Expertisen als Fußballer ("Willst du da echt runterfahren?") und Skateboarder ("Da kann man sicher super drüberspringen.") erwiesen sich als interessanter Input.

Die Strecke sah in der Videovorschau (siehe weiter unten) weniger technisch herausfordernd aus. Beim Lokalaugenschein erwies sie sich als spaßiger, naturbelassener Trail, der aber stets volle Konzentration verlangt und seinem Namen "The rough one" (Der Raue) dank unzähliger Wurzeln alle Ehre macht. Ein gezähmtes Val di Sole nannten es die Kommentatoren. Neben langen und schnellen Holzbrücken sind es im unteren Teil vor allem sehr schwierig zu fahrende, weil im steilen und weichen Waldboden gelegene Kurven, die gute Bikebeherrschung voraussetzen. Der künstliche Rockgarden kurz vorm Zielsprung erwies sich als besonders tückisch. Schon kleine Fehler führten am rutschig-staubigen Fels zu unsanften Abflügen ins Gelände.

Hometrail ohne Heimvorteil

An dieser Stelle eine Anregung an die politisch Verantwortlichen hinter den lokalen Bergbahnen und den Tourismusverbänden: Eine wirklich großartige Downhill-Strecke zu bauen, die man nur zu Rennen öffnet, bringt die Einheimischen leider um ihren Heimvorteil. Die Strecke hat großes Potenzial und würde sicherlich viele Fahrer und somit zahlende Gondelbenutzer anlocken. Sie brachliegen zu lassen nützt niemandem.

Mangels der genannten Möglichkeit, den Trail als Einheimischer vorab zu befahren, hatten alle Teilnehmer beim ersten Training am Freitag dieselben Voraussetzungen. Ich war der (schwächeren) Trainingsgruppe B zugeordnet. Die bekannten Namen wie Danny Hart, Brook MacDonald und Tahnée Seagrave fuhren in Gruppe A. Sie waren zuerst dran und hinterließen uns eine teils zerbombte Strecke. Unglaublich, wie sehr ein Track unter Weltcup-Fahrern leiden muss. Doch das Team vom Innsbruck Trailbuilding Syndicate unter der Leitung von Headshaper Daniel Tulla leistete gewaltige Arbeit. Tag für Tag – oft auch bis spät in die Nacht – reparierten sie die Krater und sorgten für wirklich perfekte Rennbedingungen.

Das DILF Racing Team in voller Pracht. Die Innsbrucker Masters haben mit einer soliden Teamleistung aufgezeigt.
Foto: Steffen Arora

Als Einmannteam fehlte mir die Infrastruktur im Fahrerlager. Dankenswerterweise nahm mich das DILF Racing Team als Gast in seinem brandneuen Zelt auf. Die Herren gewährten mir schattiges Obdach, versorgten mich mit fahrtechnischem Rat und kühlem Bier. Hinter DILF (Downhill Innsbruck Liteville Force) verbirgt sich eine semiprofessionelle Truppe von erfahrenen lokalen Racern, die allesamt Rennen in der Mastersklasse bestreiten.

Am zweiten Trainingstag spürte ich den ersten noch mehr, als mir lieb war. Da machten sich meine 40 Lenze bemerkbar. Die Strecke teilte ordentlich aus, die Myriaden von Wurzeln verpassten einem bei jeder Fahrt ein Trommelfeuer an Schlägen. Trotzdem wuchs das Selbstvertrauen mit jedem Run. Und es kam, wie es kommen musste. Bei der "Einmal noch locker Durchrollen"-Fahrt mit Trainingspartner Harald Leitner vom DH-Verein Tirol wurde ich übermütig und versuchte eine engere Linie um den ersten großen Baum im unteren, weichen Teil der Strecke.

Der Brite Danny Hart (Team Madison Saracen) gewann auch die zweite Auflage des Crankworx Downhill in Innsbruck.
Foto: Fraser Britton / Crankworx

Dort wartete eine große Wurzel unter fingerdickem Staub. Bevor ich sie erkennen konnte, war mein Vorderrad schon weggerutscht und ich köpfelte über den Lenker ins weiche Moos. Der Aufprall war kein echter, ich landete wie auf einer Matratze. Leider kam wieder (derart zerdepperte ich mir schon einmal das Schienbein) das Radl hinterhergeflogen und erwischte mich unsanft am rechten Knöchel. Den Zusehern gereichte mein Unvermögen wenigstens zum Gaudium, weil ich beim Einschlag für eine ansehnliche Staubwolke sorgte.

Es war der heilsame Wink des Schicksal zur richtigen Zeit. Nicht übermütig werden, den Lauf sicher runterfahren. Angesichts der tückischen Strecke lagen meine Chancen, derart nicht Letzter zu werden, im realistischen Bereich, da es garantiert den einen oder anderen Sturz geben würde. Arithmetik eines Möchtegern-Racers.

Um den Kopf vorm Renntag freizubekommen, ging es nach dem Samstagtraining ins benachbarte Mutters, wo die anderen Disziplinen des Crankworx-Festivals tausende Fans unterhielten. Doch es hieß aufzupassen und nicht dem Ruf der Party zu erliegen, die nach dem Slopstyle-Finale stieg. Denn am Sonntagmorgen war das Abschlusstraining bereits um acht Uhr angesetzt. Kein schönes Erwachen. Ich fühlte mich wie nach einem leichten Autounfall. Linke Schulter, beide Arme, rechter Knöchel, rechtes Handgelenk und die Hüfte – alles war mittlerweile ein bisserl lädiert.

Die Trackpreview von Fabio Wibmer, Marius Neuffer und Elias Schwärzler. Das Video wird den Schwierigkeiten der Strecke nicht gerecht. Oder die Herren fahren einfach um Welten besser.
Fabio Wibmer

Egal, das STANDARD-Trikot war schließlich frisch gewaschen. Auch wenn mein treues grünes Ross nach zwei intensiven Trainingstagen bereits ebenfalls gehörig quietschte und klapperte. Doch außer ein bisschen Kettenöl konnte ich ihm nichts zur Linderung anbieten. Zum Glück ein Kona, der Traktor unter den Downhillern. Eher würde ich kaputtgehen als dieses Fahrrad.

Raceday – alles oder nichts

Renntag im Fahrerlager. Die Mechaniker der Profis polierten deren Carbon-Bikes auf Hochglanz. Ich erfuhr derweil, dass allein der Dämpfer von Lokalmatador und DILF-Primus Benedikt Purner gleich viel kostete wie mein gesamtes Bike. Die Angst, sich gänzlich zu blamieren, stieg mit jeder Minute. Es gab keinerlei Zeitnehmung im Training. Ich konnte daher nicht abschätzen, wie langsam ich war im Vergleich zur Konkurrenz. Alle sprachen immer davon, nur locker runtergerollt zu sein. Ich fuhr da bereits am Limit. War das nur Show der anderen, oder machte ich mich gerade zum Hubertus von Hohenlohe des Downhillsports?

Die Minuten vor dem Start. Man scherzt, wärmt sich auf und versucht die Nervosität zu genießen.
Foto: Steffen Arora

Doch die Nervosität wich bald einer freudigen Aufgeregtheit. Ich startete um 11.37 Uhr als einer der Ersten im Feld. Ausgerechnet hinter mir ging Wolverine ins Rennen, ein übermotivierter Brite, dem wir diesen Spitznamen ob seiner auffallenden Koteletten verliehen hatten. Fahrer aus aller Welt reisten eigens für dieses Rennen an, um einmal bei Crankworx am Start zu stehen. Wolverine nahm die Rennfahrerei offenbar auch sehr ernst, daher erklärte ich ihm kurz vorm Start noch, er müsse nur laut schreien, falls ich ihm im Weg sein sollte.

Die Chance, auf einer – für gute Fahrer – dreiminütigen Abfahrt bei einem Startintervall von einer Minute eingeholt zu werden, ist zwar denkbar gering. Ich und Wolverine schafften es dennoch justament beim finalen Sprung. Manch Zuseher wähnte sich bei unserem Seite-an-Seite-Zieleinlauf wohl beim Fourcross statt beim Downhill.

Meine Rennzeit habe ich bereits verdrängt – was sind schon Zahlen. Unvergessen bleibt hingegen das Gefühl, bei Crankworx am Start gewesen zu sein. Die großen Namen, mit denen man sich die Plätze auf der Starterliste teilt, waren ein Aspekt, der dieses Abenteuer interessant machte. Zu einem Erlebnis wurde es dank der Stimmung unter den Amateuren, die aus purer Leidenschaft ein Wochenende und 60 Euro Startgeld investierten, um drei, vier Mal mit hunderten anderen einen Berg herunterzufahren.

Tiroler drücken dem Bewerb ihren Stempel auf

Für die Kollegen vom DILF Racing Team hat sich der Aufwand auch sportlich gelohnt. Sie fuhren stark und sorgten für ein kräftiges Tiroler Lebenszeichen in der Mastersklasse: Purner fuhr als bester Österreicher in dieser Klasse auf Platz vier. Gerhard Senfter (9.), Martin Falkner (11.), Mathias Rauchegger (15.) und Andreas Pröller (17.) rundeten die solide Teamleistung ab.

Die 27-jährige Innsbruckerin Simone Wechselberger (Giant Austria, Alpinestars) sorgte mit dem fünften Platz bei den Elite-Damen für die Sensation des Tages.
Foto: Kniejski Christopher

Auch andere lokale Fahrerinnen und Fahrer nutzten Crankworx, um auf sich aufmerksam zu machen. So landete die 27-jährige Simone Wechselberger (Team Giant Austria, Alpinestars, DH-Verein Tirol) auf dem sensationellen fünften Platz bei den Elite-Damen. Sie habe sehr gezielt auf dieses Wochenende hintrainiert und sei überglücklich, vor heimischem Publikum dieses Ergebnis erreicht zu haben, erklärte Wechselberger.

Bei den Juniorinnen U19 sorgte Paula Zibasa vom DH-Verein Tirol für ein Topergebnis und wurde Zweite. Zibasa wäre mit dieser Zeit bei den Elite-Damen auf Rang zehn gelandet. Die Tirolerin Johanna Illmer erreichte bei den U17-Damen den starken zweiten Rang. Die besten heimischen Junioren kamen ebenfalls aus dem Tiroler Downhill-Rennstall: Jonas Göweil (sechster Platz U17) und Kilian Schnöller (zehnter Platz U19). (Hier die Ergebnisse als PDF).

Das STANDARD Factory Racing Team hat nach dem überraschend starken Abschneiden das Rennfieber gepackt. Ende Juli wird in Götzens wieder gegen die Uhr gefahren, die Staatsmeisterschaften stehen an und werden am selben Trail ausgetragen. Dort soll es eine Klasse Masters 40+ geben. Wie diese Überlegung weitergeht, lesen Sie vielleicht bald hier. (Steffen Arora, 19.6.2018)