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Die Welt in einer Seifenblase: Rezepte, wie man den Planeten retten könnte, gibt es viele.

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Es gibt Menschen, die wissen genau, was zu tun ist. Franz Radermacher gehört zu ihnen. Der Mathematiker, Wirtschaftswissenschafter und emeritierte Professor von der Universität Ulm hat eine ziemlich exakte Vorstellung davon, was passieren muss, um die Welt zu retten.

Radermacher, Mitbegründer der Global-Marshall-Plan-Initiative, tingelt seit vielen Jahren zu Tagungen aller Art, um seine Thesen über die Zukunft des Planeten kundzutun. Gestern, Montag, tat er das beim Kolloquium "Welt mit Zukunft" in Tulln. Im brechend vollen Stadtsaal referierte er ohne jegliche Notiz oder Folie über Bevölkerungsexplosion, den Klimawandel und darüber, was uns blüht, wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher.

Massive Verschlechterung

Denn wenn sich die Gesellschaft nicht durch Atomwaffen, unaufhaltsame Pandemien oder "absolut ungeeignete Staatslenker wie Trump" selbst ins Eck stelle, gibt es für Rademacher nur drei Optionen: Sollte sich nichts ändern, laufen wir geradewegs auf einen totalen Kollaps zu.

Eine massive Verschlechterung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Lage hätte dann Massenverarmung, chaotische Zustände, Hunger und Kriege mit möglicherweise Milliarden von Toten zur Folge. Das Schlimme daran sei: "Eine Katastrophe ist nicht das Ende. Es geht auch danach weiter. Aber das Leben auf der Erde kann richtig hässlich werden, wenn wir viele unserer kulturellen und zivilisatorischen Leistungen verlieren." Die Wahrscheinlichkeit, dass es bis 2050 zum Kollaps kommen könnte, beziffert Radermacher mit immerhin 15 Prozent.

Für weitaus wahrscheinlicher hält Radermacher jedoch die "Brasilianisierung" der Welt. Dieses zweite Szenario, das er entwirft, könnte sich seinen Berechnungen zufolge mit einer mit 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit durchsetzen. "Das bedeutet eine globale Zweiklassengesellschaft", sagt Radermacher und meint damit eine elitäre Oberschicht, die ähnlich wie in Brasilien feudalen Reichtum ansammelt, und eine große Masse, die mehr oder weniger in Armut lebt.

Das Ende der Mittelschicht

Das "Ausbluten der Mittelschicht" und das "Wegspülen einer demokratischen Mehrheit in der Mitte" seien längst im Gange, was auch populistische Politiker wie Donald Trump oder den Brexit befördert habe. Durch das Wegbrechen der ökonomischen Grundlage des Mittelstands müssten sich die Menschen gezwungenermaßen mit weniger zufriedengeben, was den Ressourcenverbrauch und die CO2-Emissionen deutlich senken würde. "Armut löst das Klimaproblem", bringt Radermacher dieses unbehagliche Szenario auf den Punkt.

Die dritte Option sei die einer "Welt in Balance", in der das Klimaproblem gelöst ist und sich die ganze Welt an ein europäisches Wohlstandsniveau annähert. Die Welt wäre also gerettet. Dieses Szenario einer "ökosozialen Marktwirtschaft" habe eine Umsetzungswahrscheinlichkeit von 35 Prozent, meint Radermacher.

Anspruch auf Wirtschaftswachstum

Doch wie soll das erreicht werden? Als Hauptprobleme des Planeten macht Radermacher den Klimawandel und die Bevölkerungsexplosion insbesondere auf dem indischen Subkontinent und in Afrika aus. Um Armut zu überwinden, was auch den Bevölkerungszuwachs eindämme, müsse es einen Anspruch dieser Länder auf Wirtschaftswachstum geben. Mithilfe eines "Marshallplans für Afrika" müssten in den nächsten 30 Jahren 600 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, rechnet Radermacher vor.

Damit der damit einhergehende Wohlstandszuwachs nicht auf Kosten der Umwelt erkauft wird, so wie dies in China der Fall sei, brauche es internationale Kooperationsprojekte, etwa zur Aufforstung und Bewirtschaftung von semiariden Gebieten am Rande von Wüsten und großangelegte Solarkraftwerke.

Mit derartigen Investitionen könnten westliche Unternehmen klimaneutral werden, ohne ihre eigenen Emissionen einzuschränken – alle würden profitieren, so, kurz gesagt, Radermachers Vision. 500 Billionen Euro jährlich müssten dafür lockergemacht werden.

Einflussreiche Mitstreiter

Auch wenn sich der Mathematiker ungern als konservativ abstempeln lässt, die Theorien von der Ökosozialen Marktwirtschaft haben ihren Nährboden durchaus im christlich-sozialen Lager. Insbesondere die österreichische Volkspartei hat den Begriff in den 1980ern geprägt, als sich im Zuge der Zwentendorf-Abstimmung eine sehr österreichspezifische Nähe zwischen Grünen und Konservativen entwickelte.

Verbreitet wird das Konzept auch vom Club of Rome, der 1972 mit der berühmten Studie "Die Grenzen des Wachstums" bereits ähnlich horrende Zukunftsszenarien entwarf.

Der Club of Rome, der heuer sein 50-jähriges Bestehen feiert und in dessen deutschem Ableger Radermacher federführend engagiert ist, unterstützt auch die Idee eines globalen Marshallplans.

Die wurde in den 1990er-Jahren erstmals von Al Gore, US-Vizepräsident unter Bill Clinton, ins Spiel gebracht, 2003 wurde die Global Marshall Plan Initiative unter anderem von Radermacher und Josef Riegler, dem ehemaligen ÖVP-Parteiobmann und Präsident des Ökosozialen Forums, gegründet und hat viele einflussreiche Mitstreiter.

Strittiger Fokus auf Afrika

Die Message von Radermacher ist klar: Von einem Überdenken des Wachstumsparadigmas hält er nichts. "Ich frage mich, was für ein Gehirn die Leute haben, die sagen: Weniger ist mehr", sagt er etwa und erklärt seine Aussage damit, dass niemand freiwillig auf materielle Dinge, die sich bewährt hätten, verzichten wolle.

Das Klimaproblem liege außerhalb Europas, macht er deutlich. Dekarbonisierung, also ein Verzicht auf fossile Energie, sei vollkommen unrealistisch, Elektromobilität keine Alternative, energetische Sanierung von Gebäuden Geldverbrennung. Leute, die seine Vorschläge zur CO2-Kompensation als Greenwashing bezeichnen, würden die Bemühungen für eine bessere Welt unterlaufen.

Das stößt auch im Publikum auf geteilte Reaktionen, Radermacher polarisiert. "Seine Thesen gehen am Problem vorbei", quittiert Verena Winiwarter vom Institut für Soziale Ökologie der Wiener Universität für Bodenkultur dessen Weltrettungsprogramm. "Er verspricht sich viel von Investitionen in Afrika, es ist aber keine Lösung, nur die Koppelung von Klima und Bevölkerung herauszugreifen."

In ihrem Kurzvortrag präsentierte Winiwarter ihre Rezepte, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Ihr wichtigstes: "Friede ist der effektivste Umweltschutz, weil wir nicht absichtlich etwas zerstören." Das US-Verteidigungsministerium sei selbst in Friedenszeit der größte einzelne Verbraucher von fossiler Energie des Landes. Darüber hinaus plädiert sie für neue Lebens- und Arbeitsmodelle: "Menschen organisieren sich schon heute in Impact-Hubs, entwickeln Sozialunternehmen und kommen dabei mit viel weniger aus."

Unabhängige Medien müssten dafür sorgen, dass "Status nicht über Zeug, sondern über Zeit definiert" werde. "Das Zauberwort heißt Mußepräferenz", sagt Winiwarter. "Nachhaltigkeit muss Spaß machen", sie dürfe nicht auf Verzichtsforderungen basieren. Letzteres würde wohl auch Franz Radermacher unterschreiben, der zum Schluss appellierte: "Gucken Sie in die Mathematik. Sie war für mich die größte Glücksquelle im Leben." (Karin Krichmayr, 20.6.2018)