Immer mehr Flüge in Europa verspäten sich oder fallen aus. Experten warnen vor einem Zusammenbruch des Systems.

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Wien – Die Anzahl der Verspätungen und Annullierungen bei europäischen Flügen steigt weiter und wird langsam, aber sicher zum ernsthaften Problem. Europas größte Airline-Gruppe Lufthansa hat die meisten Verspätungen angehäuft, gefolgt von Ryanair und Eurowings, der Billigtochter der Lufthansa. Die Lage ist so prekär, dass die Lufthansa und Eurowings sich vergangene Woche mit einer schriftlichen Entschuldigung an ihre Kunden wandten. Im Lufthansa-Schreiben heißt es, die Pünktlichkeit der Fluggesellschaft sei auf ein "inakzeptables Niveau gesunken". Allein im ersten Halbjahr habe man mehr Flüge streichen müssen als im gesamten Vorjahr.

Das Fluggastrechteportal "EU-Claim" legte im April eine Analyse vor, wonach allein zwischen 5. März und 13. April 4.166 Flüge annulliert wurden oder mehr als drei Stunden zu spät landeten. Reisende innerhalb der Osterferien wurden mit etwa 104 Problemflügen pro Tag belastet, insgesamt 3.545 Flüge wurden gestrichen. Besonders hart traf es Fluggäste am 10. April. Warnstreiks der deutschen Gewerkschaft Verdi und schlechtes Wetter brauten sich zum Chaos zusammen.

Zahl der Flüge steigt um mehr als 50 Prozent

Doch dies könnte erst der Anfang sein. Laut einem Bericht von Eurocontrol, einer zwischenstaatlichen Organisation, die sich für einen sicheren, effizienten und umweltfreundlichen Luftfahrtverkehr in Europa einsetzt, wird die Anzahl der Flüge in Europa bis 2040 um 53 Prozent ansteigen. Eamonn Brennan, Generaldirektor bei Eurocontrol, gab angesichts des von erheblichen Herausforderungen geprägten ersten Halbjahrs 2018 unmissverständliche Warnungen ab. Europas Luftfahrtgemeinschaft müsse sich "dringend anschauen, wie wir Kapazitäten bereitstellen werden für die Passagiere, die fliegen wollen".

Die Gründe für die steigenden Ausfälle sind vielfältig. Schlechte Wetterbedingungen wie Kälteeinbrüche und starker Wind, Wartungsarbeiten und Streiks machen Flughäfen und Reisenden das Leben schwer, aber auch die stetig steigende Anzahl der Flüge: Der Verkehr im europäischen Luftraum stieg im letzten Jahr um 3,4 Prozent. Damit wuchsen auch die Probleme. Verspätungen von in der Luft befindlichen Flugzeugen stiegen im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 128 Prozent pro Flug. 28 Prozent dieser Verspätungen wurden durch "Störereignisse" wie Streiks verursacht, 27 Prozent durch schlechtes Wetter. Ganze 45 Prozent der Verspätungen gingen jedoch auf Kapazitätsprobleme und mangelndes Personal zurück, vor allem in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.

Europaweites Chaos bis 2040

"In dem wahrscheinlichsten Szenario wird es für schätzungsweise 1,5 Millionen Flüge im Jahr 2040 nicht genug Kapazitäten geben," so Brennan. Die Eurocontrol-Studie warnt, dass bis dahin 16 Flughäfen in Europa die meiste Zeit des Tages an ihren Kapazitätsgrenzen operieren werden. Die Folge? Statt 50.000 Passagieren, die derzeit pro Tag mit Verspätungen von ein bis zwei Stunden leben müssen, werden 2040 pro Tag 470.000 Passagiere betroffen sein. Eurocontrol geht davon aus, dass bis zu 160 Millionen Passagiere ihre Flüge im Jahr 2040 nicht werden antreten können. Die wirtschaftlichen Folgeschäden eines solchen Szenarios schätzt die Studie auf jährlich über 88 Milliarden Euro.

So besorgniserregend diese Zahlen bereits sind, Großbritanniens EU-Austritt könnte die Situation noch diffiziler machen. In Heathrow, Europas geschäftigstem Flughafen, werden EU-Passagiere derzeit noch mit wenigen Ausnahmen innerhalb der angestrebten Zeit von 25 Minuten bei der Passkontrolle abgefertigt. Nach dem Brexit würden europäische Reisende jedoch aller Voraussicht nach ihre Reisefreizügigkeit verlieren – und müssten sich, wie Nichteuropäer, bei der Ankunft in Heathrow auf Interviews mit Grenzbeamten einstellen. Die angestrebten Abfertigungszeiten für solche Passagiere werden jetzt schon regelmäßig verfehlt. So dauerte es im Mai bei im Schnitt über zwölf Prozent der nichteuropäischen Einreisenden in Heathrow länger als 45 Minuten, um die Passkontrolle zu passieren, im Terminal 3 des Flughafens lag diese Zahl sogar bei über 18 Prozent.

Warteschlangen werden länger

Die durch verzögerte Passkontrollen immer länger werden Warteschlangen stellen die räumlichen Kapazitäten von Heathrow bereits jetzt auf die Probe. Welche Auswirkungen diese Probleme auf den Rest des europäischen Flugverkehrs haben werden, dürfte höchst spannend werden. (Jedidajah Otte, 26.6.2018)