Die Lifeline im Einsatz.

Foto: APA/AFP/Mission Lifeline/HERMINE POSCHMANN

Valletta/Berlin – Nach fast einer Woche Blockade auf dem Mittelmeer hat das Rettungsschiff Lifeline der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation in einem Hafen von Malta angelegt. Das Schiff hatte am Donnerstag rund 230 Migranten vor Libyen gerettet und wartete seither auf eine Erlaubnis, in einen Hafen einlaufen zu dürfen. Nach einem sechs Tage langen diplomatischen Hin und Her kamen die rund 230 Migranten und die deutsche Besatzung am Mittwoch in einem Hafen vor Valletta an.

Das Schiff werde aber beschlagnahmt, sagte Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat. "Dieses Schiff war staatenlos, es wird festgesetzt." Gegen die Besatzung der deutschen Hilfsorganisation werde ermittelt.

Acht EU-Länder hätten sich bereiterklärt, Flüchtlinge von dem Schiff zu übernehmen, Deutschland war nicht darunter: "Das ist keine Blaupause für die Rettung von Migranten", sagte Muscat. Vielmehr sei ein System notwendig, um Wirtschaftsflüchtlinge so schnell wie möglich zurückschicken zu können.

Kapitän von Polizei befragt

Der deutsche Kapitän der Lifeline wurde mittlerweile zwei Mal von der Polizei verhört. Während die anderen Crewmitglieder Mittwochabend das Schiff verlassen durften, werde Claus-Peter Reisch danach wieder an Bord gebracht, teilte die maltesische Regierung am Mittwochabend mit.

Dem Kapitän wird vorgeworfen, die Anweisungen der italienischen Behörden bei der Rettung der Migranten vor Libyen ignoriert zu haben. Italien hatte nach eigenen Angaben die Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline angewiesen, dass die libysche Küstenwache die Bergung übernehmen soll. Das Schiff fährt laut Mission Lifeline unter niederländischer Flagge, was die dortigen Behörden aber bestreiten. Es ist nur im Register des Wassersportverbandes eingetragen.

"Wir haben uns an alle Anweisungen der Behörden gehalten – außer an die, die Leute zurück nach Libyen zu bringen", sagte "Lifeline"-Mitgründer Axel Steier. Die Organisation verweist auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung in der Genfer Flüchtlingskonvention. Steier berichtete, bisher lägen ihm noch keine Beschlagnahmungspapiere für das Schiff vor.

Scharfe Kritik der Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen fanden deutliche Worte nach den jüngsten Dramen im Mittelmeer: Weil die EU politisch gelähmt sei, müssten Unschuldige leiden, monierten das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwochabend. "In den vergangenen zehn Tagen konnten Schiffe mit Flüchtlingen im Mittelmeer wegen der politischen Lähmung in Europa nicht anlegen", kritisierte Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi. "Es ist unabdingbar, dass die EU-Mitgliedsländer das Recht auf Asyl aufrechterhalten. Rettung zu verweigern oder die Verantwortung für Asyl auf andere abzuwälzen ist völlig inakzeptabel."

Die EU müsse dafür sorgen, dass auf See gerettete Menschen an Land gehen könnten, "in der EU oder möglicherweise anderswo", hieß es in der Stellungnahme. Das könnte darauf hindeuten, dass die UN-Organisationen möglicherweise auch Auffangeinrichtungen außerhalb der EU mittragen würden. Es müssten mehr Aufnahmeplätze für schutzbedürftige Menschen geschaffen werden, so die Forderung. IOM-Generaldirektor William Lacy Swing erinnerte daran, dass in diesem Jahr im Mittelmeer schon fast 1.000 Menschen ertrunken seien.

Migranten sollen verteilt werden

Malta hatte vor der Genehmigung zum Anlegen der Lifeline sicherstellen wollen, dass die Migranten auf EU-Länder verteilt werden. Italien, Frankreich, Irland, Luxemburg, Malta, Belgien, Portugal und die Niederlande erklärten sich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. In Deutschland boten mehrere Bundesländer Hilfe an.

Der deutsche Innenminister nannte in Berlin Bedingungen für eine mögliche Aufnahme. Eine Voraussetzung sei, dass das Schiff festgesetzt werde, sagte er am Rande einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestags. "Wir müssen verhindern, dass es zu einem Präzedenzfall wird." Das habe er auch Außenminister Heiko Maas (SPD) gesagt, der sich nun um die Details kümmern werde.

Für Seehofer kommt die ganze Angelegenheit zur Unzeit. Wo er sich doch gerade bemüht, eine Botschaft an Migranten und bayerische Wähler zu senden. Diese Botschaft lautet: In Deutschland haben sie den Schalter in der Asylpolitik umgelegt. Die sogenannte Willkommenspolitik ist beendet.

Seehofer will Crew zur Rechenschaft ziehen

Zwischen Libyen und Südeuropa dürfe es keinen "Shuttle" geben, sagte Seehofer. Nach Angaben von Mitgliedern des Innenausschusses erklärte er außerdem, dass die deutsche Crew zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Damit stieß er in das gleiche Horn wie der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega, der die Blockade von NGOs im Mittelmeer kurz nach seiner Amtsübernahme angeordnet hatte.

Es gebe "offenkundige Elemente von Illegalität beim Verhalten der Nichtregierungsorganisation", hieß es auch in Frankreich. Regierungssprecher Benjamin Griveaux kritisierte eine "Gefährdung und die Verletzung des Seerechts" durch Lifeline.

Die Organisation sieht sich dagegen im Recht, sie habe die Migranten konform mit internationalem Recht aus Seenot gerettet. Das Schiff sei korrekt angemeldet gewesen, die juristische Verfolgung sei "Teil der Kriminalisierungskampagne gegen NGOs", sagte Ruben Neugebauer von der Hilfsorganisation Sea-Watch, die die Lifeline bei der Pressearbeit unterstützt. Falls der Kapitän oder Besatzungsmitglieder festgenommen werden sollte, sei das ein Skandal.

Bei der Einfahrt in den Hafen winkten die Menschen an Bord. Ärzte und Polizisten warteten hinter Absperrungen am Festland. Vier Menschen, darunter drei Babys, sollen sofort ins Krankenhaus gebracht werden.

Deutsche Bundesländer bieten Hilfe an

In Deutschland haben die Bundesländer Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein Hilfe angeboten. "Voraussetzung ist, dass der Innenminister dafür den Weg frei macht. Wir appellieren an ihn, dies zu tun", sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) in Hannover.

Die NGO kritisierte, dass der unionsinterne Asylstreit zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Seehofer auf dem Rücken der Menschen an Bord der Lifeline ausgetragen werde. "Es fühlt sich beschämend an, dass die Bundesregierung durch die Behinderung der Seenotrettung dazu beiträgt, dass mehr Menschen im Mittelmeer sterben", schreibt die Mission in einem offenen Brief an Seehofer. "Welcher Straftatbestand soll uns vorgeworfen werden? Ist es Ihrer Meinung nach ein Verbrechen, Menschen aus Lebensgefahr zu retten?"

Die Grünen kritisierten die Haltung der deutschen Bundesregierung. "Wir bedanken uns bei den sieben aufnehmenden EU-Staaten, für die Sicherheit der Menschen an Bord der Lifeline zu sorgen und somit auch der 17 deutschen Crewmitglieder", erklärten Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik, und Manuel Sarrazin, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. "Das Verhalten der Bundesregierung im Umgang mit der Lifeline war und ist ein unwürdiges Trauerspiel."

In der aktuellen Asyldebatte ging eine Nachricht dagegen fast unter: Seit Anfang des Jahres kamen deutlich weniger Migranten an Europas Außengrenzen als in den Vorjahren. "Um es klar zu sagen: Es gibt keine Migrationskrise in 2018", erklärte IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo, "es gibt ein ernsthaftes Kommunikationsproblem, was wir sehen ist, dass die Zahlen ziemlich bescheiden sind." (red, APA, dpa, 27.6.2018)