Sie bekommen alles mit dank Web 2.0: vor allem, dass sich die Starken auf der Welt oft so benehmen, wie sich Kinder nicht benehmen dürfen.

Foto: imago / iStock

Eine ganz normale Autofahrt an einem Wochentag-Nachmittag mit dem Kind, das müde aus dem Fenster blickt und, abgekämpft von Schule und Fußballspielen, einmal nicht reden mag. Also Autoradio an. Nachrichten.

Donald Trump hat die Verordnung, nach der Flüchtlingskinder von ihren Eltern getrennt werden, wieder zurückgenommen. Die Kinder dürfen wieder zu ihren Eltern, bleiben aber eingesperrt, sagt die Radiosprecherstimme. Das Kind richtet sich auf, wird hellhörig: Was haben die Kinder getan, warum sind sie eingesperrt? Warum waren sie ohne Eltern?

Man versucht zu erklären – und merkt, man kann es nicht erklären. Es ist nicht richtig, so einfach ist das. Der Präsident von Amerika hat etwas Falsches getan. Das Kind fragt weiter: Warum darf er dann Präsident sein? Wieder eine gute Frage, auf die es nur schlechte Antworten gibt.

Sie bekommen alles mit

Das Kind bekommt, wie alle Kinder, die in der Web 2.0-Welt aufwachsen, alles mit. Wenn es "iPad darf", googelt es Dinge, die es wissen will, selbst – mit fragwürdiger Rechtschreibung, aber immerhin. Wenn es nicht "iPad darf" – irgendein anderes Kind darf immer. Sie tauschen sich aus, und schon weiß jeder allerlei. Dass in der Türkei Kinder Krieg spielen dürfen, zum Beispiel. Dass es Kindersoldaten gibt, die auf ihre besten Freunde schießen müssen, weil ein Erwachsener das verlangt. Dass der russische Präsident nicht leiden kann, wenn Männer Männer heiraten und Frauen Frauen.

Warum das denn, ist doch wurscht, meint das Kind. Es versteht nicht alles, was auf der Welt vor sich geht, was man im Fernsehen sieht, was Medien aller Art transportieren. Aber es glaubt, eines bereits verstanden zu haben: Es ist gut, wenn man stark ist, und es ist besser, wenn man seine Schwächen nicht zeigt. Die Starken gewinnen, die Schwachen bleiben auf der Strecke.

Kälter und brutaler

Das ist es, was nicht nur Politiker wie Trump und seinesgleichen vorzeigen – sie sind das Symptom, nicht die Krankheit. Auch viele Erwachsene haben zunehmend den Eindruck, dass es brutaler zugeht, rücksichtsloser und kälter – nicht nur auf der Welt, auch in Österreich. "Funktionieren" lautet die Devise, nicht negativ auffallen – auch für Kinder. Der Spielraum für persönliche Entfaltung ist für jene groß, deren Eltern es sich leisten können. Für alle anderen regiert die Norm, die zu erreichen ist – und die regiert mitunter brutal.

Wie wir leben, uns benehmen und als Erwachsene agieren, steht oft im krassen Gegensatz zu dem, was wir unseren Kindern eigentlich beibringen wollen – die sogenannten "Werte", ob nun christlich oder westlich oder einfach menschlich: Rücksicht nehmen, den Schwachen helfen, nicht draufhauen, sondern nachdenken, auch mal ein guter Verlierer sein.

Erziehungswiderspruch

Das lernen Kinder in der Schule, das wünschen sich ihre Eltern von ihnen – das bekommen sie sogar in jedem zweitklassigen Disney-Kinderfilm vorgespielt. Man weiß, dass "Soft Skills" dem eigenen Kind vielleicht im Erwachsenenleben nicht immer helfen werden. Man versucht sie trotzdem zu vermitteln und hofft, dass aus dem umhegten Kind ein Erwachsener wird, der einmal selbst umhegt – und nicht seinen Egoismus und seine Rücksichtslosigkeit auslebt.

Eine Garantie gibt es dafür nicht. Gab es nie. Als der kürzlich aus der Politik ausgeschiedene Neos-Chef Matthias Strolz in seiner Abschiedsrede die Politik des Bundeskanzlers beklagte, schwang auch ein wenig die Fassungslosigkeit eines Vaters mit, der nicht verstehen kann, dass Kinder, die selbst jede Form von Offenheit genossen haben (sei es durch liebevolle, "bewusste" Eltern, sei es durch Bildungsprogramme wie Erasmus), als Erwachsene Grenzen schließen wollen und Härte gegenüber Schwachen propagieren.

Die Welt, wie sie sich jetzt – dank der Erwachsenen, die sie regieren – den Kindern präsentiert, ist leider nicht dazu angetan, das Weiche, Freundliche in kleinen Menschen zu fördern. Darüber sollten wir alle einmal sommerferienlang gründlich nachdenken. (Petra Stuiber, 29.6.2018)