Alex Jürgen wollte beim Geschlechtseintrag weder "weiblich" noch "männlich" stehen haben. Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass jeder das Recht auf eine individuelle Geschlechtsidentität hat.

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Frage: Was hat der Verfassungsgerichtshof genau entschieden?

Antwort: Laut dem Höchstgericht hat jede und jeder das Recht darauf, sich seiner oder ihrer Geschlechtsidentität entsprechend in Urkunden und im Personenstandsregister repräsentiert zu fühlen. Das Gesetz verpflichtet zwar zur Eintragung des Geschlechts im Zentralen Personenstandsregister und in Urkunden – der Begriff "Geschlecht" wird jedoch nicht näher definiert und ist somit nicht ausschließlich auf weiblich oder männlich beschränkt, urteilt der VfGH. Deshalb ist lediglich eine verfassungskonforme Interpretation des bereits bestehenden Gesetzes und keine Aufhebung von einzelnen Bestimmungen notwendig.

Frage: Wer darf diese dritte Option nützen?

Antwort: Jeder, der nicht weiblich oder männlich ist, sagt Rechtsanwalt Helmut Graupner, der die beschwerdeführende Person vertrat. Dabei gebiete die Judikatur ausdrücklich, dass es dabei nicht auf körperliche Merkmale, sondern nur auf die Geschlechtsidentität – also auf die Selbsteinschätzung – ankommen darf. Medizinische Attests zu verlangen sei nicht zulässig. Das schätzt auch die Juristin Marija Petricevic so ein. Bereits 2009 habe der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass körperliche Merkmale auch bei der Personenstandsänderung von Mann zu Frau (und umgekehrt) keine Rolle spielen dürfen.

Frage: Hat das dritte Geschlecht Auswirkungen auf Pensionsantrittsalter oder Wehrpflicht?

Antwort: Wehrpflichtig sind nur Männer, diese Regelung könnte also einfach bestehen bleiben. Die unterschiedlichen Pensionsantrittsalter sind ohnehin bald Geschichte, meinen Experten. Welches Alter für intergeschlechtliche Personen in der Übergangszeit gelte, müsse gegebenenfalls festgelegt werden, sagt Petricevic. Regelungen zum Mutterschutz würden sowieso nur darauf abzielen, ob eine Person ein Kind bekommt, also auf die konkrete Lebenssituation, meint die Juristin. Und selbst wenn gegebenenfalls gesetzliche Adaptierungen notwendig seien, dürfe dies kein Problem darstellen: "Das Recht auf individuelle Geschlechtsidentität, das durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt ist, darf nur unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden", sagt die Expertin. Dazu würde etwa die Bedrohung der nationalen Sicherheit zählen, aber nicht notwendige gesetzliche Anpassungen.

Frage: Besteht die Gefahr von Missbrauch, etwa wenn Männer sich vor der Wehrpflicht drücken wollen?

Antwort: Experten rechnen nicht damit. Volksanwalt Günther Kräuter bezeichnet diese Idee im STANDARD-Gespräch als "exotisch". Auch Graupner hält das für "ziemlich ausgeschlossen": Man müsse den Geschlechtseintrag vor der Behörde schließlich ausreichend begründen und diese müsse die Geschlechtsidentität feststellen. Außerdem bestehe die Möglichkeit zur Missbrauchskontrolle.

Frage: Welche Begrifflichkeiten im Amtsdeutsch stehen zur Diskussion?

Antwort: Der Verfassungsgerichtshof schreibt nicht vor, welche neuen Bezeichnungen für Geschlechtsidentitäten zum Tragen kommen sollen. Die Kategorie muss jedoch einen Bezugspunkt zum realen Leben haben – Fantasiebegriffe sind somit nicht zulässig. Im Raum stehen Begriffe wie "divers", "inter" oder "offen." Der Gesetzgeber wird aller Wahrscheinlichkeit nach einen Begriff schaffen, der möglichst viele Geschlechtsidentitäten umfasst. Denn der VfGH hielt ebenfalls fest, dass niemand Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelungen akzeptieren muss, die der eigenen Geschlechtsidentität nicht entsprechen. Möglich sein muss allerdings auch, das Feld "Geschlecht" freizulassen.

Frage: Warum wird auch das Ende der geschlechtszuweisenden Operationen nach der Geburt gefordert?

Antwort: Vereine und die Volksanwaltschaft fordern seit Jahren, dass keine entsprechenden medizinischen Eingriffe bei Babys und Kindern durchgeführt werden. Diese werden oft auf sozialen Druck hin gemacht, Betroffene berichten als Erwachsene von schweren Traumatisierungen. Im Gesundheitsministerium wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Empfehlungen ausarbeitet. Im Vordergrund soll dabei stehen, dass Eingriffe nur dann durchgeführt werden sollen, wenn sie entweder medizinisch notwendig sind oder mit der Einwilligung der betroffenen Person stattfinden können, was ein bestimmtes Alter voraussetzt. Volksanwalt Günther Kräuter zeigt sich optimistisch, dass durch die jetzige Entscheidung auch von medizinischen Eingriffen künftig "die Finger gelassen werden".

Frage: Gibt es eine Option abseits von männlich und weiblich auch in anderen Ländern?

Antwort: Ja, ähnliche Regelungen gibt es etwa in Australien, Neuseeland, Malta oder Indien. Auch in Deutschland wird nach einem Entscheid des Verfassungsgerichts gerade über ein passendes Personenstandsrecht debattiert. (Vanessa Gaigg, 3.7.2018)