Der Spruch ist so alt, dass es fast wehtut, ihn nur zu denken. "Der Schmerz vergeht – aber der Stolz bleibt." Blöderweise stimmt er aber. Denn schon am nächsten Morgen, beim Aufwachen und dann beim Frühstück war da nur das große, ungläubige Staunen: "Haben wir das gestern wirklich getan?"

Sicher: Die Beine waren ein wenig schwer. Statt die Stiegen zu nehmen, stiegen wir in den Lift. Da war Sonnenbrand. Aufgescheuerte Stellen. Durchgeschwitztes, achtlos rasch auf den Balkon geworfenes Sportzeug. Und Hunger. Riesenhunger.

"Haben wir das gestern wirklich getan?", fragten wir einander – und lachten haltlos los: Ja, haben wir. 226 Kilometer. Ohne Motor. Ohne Pause. Am Stück. 3,8 km im Wasser, 180 km auf dem Rad – und 42,2 km zu Fuß. Freiwillig. Aber: Danke, sonst geht es uns gut.

Foto: thomas rottenberg

"You are an Ironman!"-Menschen sind seltsam: Natürlich weiß man, dass der Platzsprecher diesen Satz an diesem Tag an diesem Ort schon 5.000-Mal gerufen hat. Dass die Cheerleader seit Stunden tanzen. Dass Party, Konzept und Choreografie auf der ganzen Welt gleich sind. Dass man auf der Rampe mit dem Triumphbogen, einer von Zigtausenden ist, die ihre 1,5 "Seconds of fame" abholen. Nur: Das ist jetzt egal. So egal, wie Schmerzen und Zweifel unterwegs. Wie Ringen mit sich selbst und der Frage, wieso man sich das antut: Dass es nicht wirklich gesund ist, sich acht, zwölf oder 17 Stunden zu schinden? Jo eh.

Dass die Welt dadurch keinen Deut besser wird, wissen wir auch. Und dass es keinen Sinn oder Nutzen hat, zu beweisen, was schon Tausende bewiesen haben – nämlich dass man diesen Stunt bewältigen kann – auch.

Denn es geht hier nicht um die Welt. Sondern um jeden und jede, die oder der hier jetzt um die Kurve kommt und an den Cheerleadern vorbei die Rampe hinaufrennt, als hätte es die 225 Kilometer davor nie gegeben – und diesen einen Satz hört. Es geht um genau diesen Moment: "You are an Ironman!"

Foto: Distlberger

Natürlich ist das pathetisch. Na und? Andere Menschen macht es glücklich, wenn sie nach Jahren minutiöser Arbeit an einem Schiffsmodell in einer Flasche den Korken in diese reinstecken. Auch wenn ich das keinen Millimeter verstehen oder nachvollziehen kann, gratuliere ich dem Schiffsbauer von Herzen: Er fügt niemandem Schaden zu – und tut mit Hingabe, Leidenschaft und langem Atem, was ihn glücklich macht. Wie viele Menschen können das sonst noch von sich behaupten? Eben.

"You are an Ironman!" – das ist dieser Moment. Der Korken, der die Flasche mit dem Schiff verschließt: Alles, was davor war, alles was auf dem Weg dorthin zäh oder schieflief, alle Planänderungen, weil irgendetwas doch nicht ganz so aufging, wie es sollte oder angedacht war, ist dann egal. Vergessen. Es spielt keine Rolle mehr: Das Flaschenschiff wandert ins Regal, und die Finishermedaille auf die Finishermedaillen-Hakenleiste – um von nun an Staub zu fangen. Die Erinnerung an das Gefühl in diesem Moment verstaubt aber nicht. Dem Rest der Welt ist das egal. Vollkommen und zu Recht. Aber darum geht es jetzt nicht.

Foto: Distlberger

Meinen Weg nach Klagenfurt zu diesem Moment habe ich in den vergangenen Wochen hier immer wieder beschrieben. Zugegeben: Nicht ganz von Anfang an. Aber wer zwischen den Zeilen lesen wollte, erkannte rasch, wohin diese Reise gehen könnte. Vielleicht bevor ich es selbst sah: Ein bisserl Triathlon-Schnuppern ist das eine – sich an eine Volldistanz zu wagen ein bisserl mehr. Nicht weil die kürzeren Bewerbe weniger wert oder Spaziergänge wären, sondern weil es bei Hobbysportlerinnen und -sportlern in der Regel nicht um Spitzenplätze, sondern ums grundsätzliche Durchkommen geht. Da korrelieren Distanzen und Trainingsvolumina irgendwann.

Das ist beim ersten Marathon ähnlich: Dass das geht, ist bekannt – aber ob man es selbst schafft, ist eine andere Frage. Einen Halbmarathon packt man irgendwie in einen normalen Arbeitsalltag. Beim Marathon wird es schon schwieriger. Da muss nämlich auch die Familie und das Umfeld mitspielen. Kommen dann aber noch Radfahren und Schwimmen dazu, wird die Luft sehr rasch dünn. Nicht nur, was Wollen und verfügbare Zeit angeht.

Foto: Team Sportordination

Denn billig ist der Spaß wahrlich nicht: Als ich mit meinen Teamkolleginnen und -kollegen im Mai in St. Pölten zur Generalprobe angetreten bin, standen wir in der Wechselzone – dem riesigen Fahrradparkplatz – und rechneten: 1.600 Räder zu je 4.500 bis 5.000 Euro. Konservativ geschätzt. 4.500 mal 1.600 ergibt … In Klagenfurt, beim "Hauptevent" sind es doppelt so viele Räder. tendenziell nochmal gepimpt. Da fallen Neoprenanzug (400–600 Euro), Uhr (400 Euro) und sonstige Ausrüstung nicht mehr ins Gewicht.

Genauso wenig wie die Startgebühren: Der Startplatz in St. Pölten kostet für 2019 (das Rennen ist am 26. Mai) 235 Euro. Um am 7. Juli 2019 in Klagenfurt dabei sein zu dürfen, muss man 545 Euro hinlegen – wobei die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass dann, wenn Sie das lesen, alle Plätze weg sind. Hotels in günstiger Lage sind für 2019 mittlerweile so gut wie ausgebucht – und die Gastronomen lassen sich das Geschäft auch nicht entgehen: Wer glaubt, dass da wirklich die Portionsgrößen kurzfristig angepasst werden, glaubt wohl auch ans Christkind.

Foto: thomas rottenberg

Dass dort, wo "Ironman" draufsteht, Geld drin ist, ist kein Geheimnis: Was 1978 mit einem Wortspiel anlässlich des ersten Langdistanzrennens auf Hawaii ("Whoever finishes first, we’ll call him the Ironman", Zitat John Collins, einer der Gründerväter des Bewerbes) und einem 1981 um angeblich 75 Dollar entworfenen Logo begann, ist heute, 40 Jahre später, zu einer Serie von 154 markenrechtlich geschützten Rennen in 53 Ländern geworden.

Die Marke "Ironman" wurde 2015 um 650 Millionen US-Dollar an die chinesischen Wanda-Gruppe, einen etliche Milliarden schweren börsennotierten Mischkonzern verkauft: Im Grunde ist "Ironman" also nur ein Markenname. Der Sport heißt "Triathlon". Tatsächlich gehen aber auch sportlich Ahnungslose ehrfürchtig in die Knie, sobald sie das I-Wort hören, während man "Tri" dann erklären muss. Kein Wunder, dass andere Veranstalter in ihren Wordings mit "Iron-" und "-Man" spielen, so gut es rechtlich eben geht.

Kein Wunder auch, dass da neben der eigentlichen Veranstaltungen die Marketingmaschine auf Hochtouren läuft: Wer je auf einer Ironman-Veranstaltung war, weiß, wofür der Begriff "Exit through the Giftstore" steht.

Foto: thomas rottenberg

Ob ich mit alledem ein Problem habe? Nein, keine Sekunde. Denn zum einen handelt es sich hier nicht um Grundnahrungsmittel, Trinkwasser, das Recht auf Bildung oder Gesundheitsversorgung: Niemand wird gezwungen, dabei zu sein – wem es zu kommerziell und systematisiert ist, der findet Alternativen.

Zum anderen funktioniert so eine Kiste nicht nur deshalb, weil das Marketing gut ist: Im Gegensatz zu manchen liebevoll-amateurhaft aufgezogenen Kleinstevents, ist hier jedes Detail durchgeplant, erprobt – und funktioniert. Wenn man etwa – so wie ich – als "Rookie" ein grünes Armband bekommt, sieht das nicht nur jeder Steward sofort und ist gleich doppelt hilfsbereit und freundlich: Auch im Bewerb selbst schauen die Platzsprecher auf die Bänder – und feuern "Iron-Virgins" doppelt an. Das kann was.

Drittens geht es – für mich – immer auch um Werbung für Bewegung: Alles, was Menschen motiviert, ihren Hintern vom Sofa zu hieven, hilft dabei. Und ein Mega-Event wie der Ironman am Wörthersee erreicht sehr viele Menschen.

Foto: Stefan Distlberger

Nicht zuletzt in der Region: Der Event ist ein Volksfest, das in und um Klagenfurt schon ab dem frühen Morgen Massen in Bewegung setzt: Start des Schwimmbewerbes ist kurz vor sieben Uhr. Wer da einen guten Zuschauerplatz will, tut gut daran, deutlich früher im Strandbad aufzuschlagen.

Oder sich mit einem Tretboot, SUP-Board oder sonstigem Teil im Wasser zu platzieren, um die rund 3.000 Verrückten, die da gleich baden gehen werden, anzufeuern und zu feiern. Freilich ohne den zahllosen "offiziellen" Rettungsschwimmkörpern im Weg zu sein.

Foto: Stefan Distlberger

Es mag grotesk scheinen, aber es gab auch heuer Menschen, die keine 50 Meter schwammen – und dann aus dem Wasser gefischt werden mussten. Das muss gar nicht an schlechter Vorbereitung liegen: Aufregung, Kälteschock und der Stress, im Pulk "gefangen" zu sein, können genügen. Ich weiß, wovon ich rede – im Trainingslager in Cesenatico hat es mich auch einmal kalt erwischt. Und zwar aus dem Nichts.

Foto: Stefan Distlberger

Seither bin ich beim Schwimmen vorsichtig: Ich schwimme lieber hinten los und außen am Rand, als mich im Pulk zu prügeln: Die paar Meter und Minuten mehr tun mir nicht weh.

In Klagenfurt ging das nach hinten los: Da startete ich im letzten Block (aka "Treibholz") und schwamm rechts und außen fröhlich vor mich hin, hatte viel Platz und kaum Stress und war – für meine Verhältnisse – schnell. Es war großartig.

Blöderweise schwimmt man den letzten Kilometer dann den Lendkanal hinauf. Der ist weder breit noch tief: Wenn da vor einem 2.000 Schwimmer sind, hat sich im an sich schon trüben Wasser noch ein schöner, satter Brei aus vom Grund heraufgewirbeltem Schlamm gebildet.

Außerdem wird es eng. Richtig eng: Das Bild stammt vom ersten Viertel des Rennens. Der Pulk kam später – und ich steckte dann inmitten von langsamen Kollegen, die in ihrer Panik zum Teil dann sogar auf Brustschwimmen umstiegen: Wer das erleben will, soll in ein Lachs- oder Karpfenzuchtbecken steigen, das Tierschützer in Weißglut versetzt. Nur: Karpfen treten und schlagen nicht wild und unkoordiniert um sich.

Foto: Stefan Distlberger

Der Weg vom Wasser zum Rad ist in Klagenfurt relativ weit – und mit Zusehern gesäumt. Gebrüll und Jubel sind laut. Das ist motivierend, aber auch gefährlich: Wenn man aus dem Wasser kommt und aufsteht, schnalzt es einem den Puls ohnehin in die Höhe. Laufen und dabei den Neo halb ausziehen ist noch ein Stressfaktor.

Wenn man dann auch noch vom Publikum gepusht wird, kann man sich ganz leicht "abschießen" – dabei braucht man jetzt nichts dringender als Ruhe und Gelassenheit: 180 Kilometer auf dem Rad sind kein Sprint.

Foto: Stefan Distlberger

Ich ließ mir Zeit. Auch beim Wechsel: Das hier war mein erster Ironman. Gewinnen würde ich eher nicht – was sprach also dagegen, das Ganze zu genießen?

Bis vor zwei, drei Wochen war ich noch nervös. Hatte schlecht geschlafen und an mir und dem, was ich ein Jahr lang aufgebaut hatte, gezweifelt. Dann kam die Radtour von Linz nach Wien – und mit ihr die Erkenntnis, dass es weder an Kraft noch Ausdauer liegen würde, wenn ich nicht durchkommen sollte: Ich hatte vorbereitet, was ich vorbereiten konnte: "Inschallah" – würden Menschen sagen, die an Götter glauben. Ich genoss es, fokussiert zu sein, aber nicht der sogenannten "Taperingparanoia" zum Opfer zu fallen: Aus der Ruhe kommt die Kraft.

Foto: rastl

Beides braucht man am Rad: Die Runde von Klagenfurt nach Faak und zurück ist wunderschön – aber nicht ohne Tücken. Und man muss sie zweimal fahren. Die größte Hürde ist der Rupertiberg. Den bin ich bei einer Proberunde im Mai schon gefahren – und fand ihn eigentlich nicht so zach, wie die Legende besagt.

(Nebenbei: Das Bild stammt von ebendort und aus dem Beitrag über diese Proberunde. Der österreichische Triathlonverband verbietet trotz der Befürwortung durch den Veranstalter auch akkreditierten Journalisten das Mitführen von fix verbauten Kameras im Rennen. Der deutsche Triathlonverband sieht das anders.)

Foto: thomas rottenberg

Als ich nach 90 Kilometern wieder in Klagenfurt war, war ich zufrieden: Ich war bis jetzt knapp drei Stunden auf dem Rad unterwegs, hatte genau keine Probleme und fühlte mich fantastisch. "Die Mädels sind knapp vor dir!", rief mir Harald Fritz, unser Teamchef und Coach, vom Straßenrand zu. Das überraschte mich nicht: Moni und Nina waren weit vor mir ins Wasser gegangen und sind zumindest im Wettkampf die deutlich besseren, weil selbstbewussteren Schwimmerinnen: Wo, wenn nicht vorn sollten sie also sein? Aber "knapp"? War ich so schnell?

Ich legte es nicht drauf an, aber ich holte meine beiden Teamkolleginnen vor der zweiten Ruperti-Steigung ein: Ihnen ging es ebenso großartig wie mir.

Blöderweise war der Rupertiberg aber in der Zwischenzeit gewachsen. Oder aufgekantet worden: Was uns beim ersten Überfahren wie ein Hügelchen vorgekommen war, war jetzt ein Gebirge: richtig tough.

Ich schaffte es – im Gegensatz zu etlichen anderen – ohne abzusteigen, sah meinen soliden Puffer auf Sub-Sechs-Stunden auf dem Bike aber schmelzen.

Foto: Stefan Distlberger

Eigentlich hätte mir das ja wurscht sein sollen. Hatte der Trainer gesagt. Am liebsten, hatte Harald beim Briefing am Tag vor dem Bewerb und dann noch einmal knapp vor dem Start erklärt, wäre es ihm ja, wenn wir "Rookies" ohne Uhr unterwegs wären. Damit wir stressfrei, ohne uns abzuschießen oder zu taktieren, einen schönen "Ironman" hinlegen könnten.

Beim Laufen war er dann aber doch uneins mit sich selbst: "Die größte Gefahr beim Laufen besteht darin, dass es einem nach dem Radfahren am Anfang unendlich langsam vorkommt. Man gibt unwillkürlich Gas – eine hervorragende Methode, sich abzuschießen."

Warum er hier einen Anzug trägt? Ganz einfach: "Wenn Fußballer das können, schaffe ich das auch."

Foto: Stefan Distlberger

Einschub: Den Luxus, den Coach mit beim Bewerb zu haben, kann ich jedem nur empfehlen. Ebenso wie – der Spaß ist eh teuer genug, da ist das dann schon egal – bei der Wahl der Unterkunft mehr auf Lage und Komfort als den Preis zu achten.

Foto: Stefan Distlberger

Ein Hotel wie unseres mit direktem und privatem Zugang zum See, um in der Früh "open water" plantschen zu können, ist da perfekt: "Viel Geld" ist aber manchmal etwas anderes als "teuer". Wir waren als Gruppe, mit Anhang und Freunden, nach Kärnten gereist – und das eine Paar, das sich zunächst für eine "günstige" Klagenfurter Airbnb-Unterkunft entschieden hatte, zeigte uns nach der ersten Nacht Fotos von fleckigen Decken und Matratzen, fremden Haaren im Bett, Knochen (!) auf dem Esstisch, Dreck – und einer Kaffeemaschine mit zentimeterdicker Grindschicht.

Die Vermieterin hatte nicht einmal ihre Wäsche aus dem Kasten geholt: Der Markt gibt derlei eben her – zum Glück fand sich dann bei uns im Haus ein Reservezimmer.

Foto: thomas rottenberg

Wenn wir schon beim Einschub sind: Ohne Freunde oder "Supporter" zu einem solchen Event zu fahren, würde ich niemandem empfehlen. Weil es netter ist – und vieles leichter macht. Logistisch und versorgungstechnisch – aber auch psychologisch: Wenn auf die Frage "Ist da jemand" ein vielstimmiges, lautes, unüberhörbares "JAAAA!" ertönt, weil entlang der Strecke Freunde stehen, die anfeuern und Mut machen, wenn auf der Radstrecke der eigene oder der Teamname hingesprayt ist, gibt das Kraft. Einfach, weil es Freude macht.

Manche Supportcrews sind da besonders aktiv. Etwa die vom "Team Sportordination": Das rückte mit 26 Supportern für seine neun Starterinnen und Starter an und stattete Unterstützer und Sympathisanten auch mit fetten Goodiebags aus, denen sogar ein Booklet mit Kurzbiografien aller Team-Athletinnen und -Athleten beigelegt war. Außerdem wurde halb Kärnten beschriftet. Dass Moni und ich als "Friends" mitgefeiert wurden, fanden wir nett. Und beflügelnd.

Foto: Team Sportordination

Denn beim Laufen braucht man Support wie einen Bissen Brot. 42 Kilometer sind schließlich auch ohne 180-Kilometer-Bike-"Warm-up" kein Spaziergang.

Mir ging es – dezent formuliert – scheiße. Und zwar im Wortsinn: So leicht ich mir auf dem Rad getan hatte, so zäh war der Lauf: Ich hatte – aus dem Nichts – ab dem ersten Schritt ein bisserl mehr als Magenschmerzen. Ab dem sechsten Kilometer suchte ich nicht Kilometertafeln oder Labestellen, sondern Dixieklos. Ab Kilometer zehn ging ich immer wieder: Die angepeilten 5’30" – eigentlich meine Komfortpace – waren nicht einmal mehr zwischen Klogängen und Spazierpassagen zu halten. Ab Kilometer 16 wollte ich sterben. Und kurz vor der Halbmarathondistanz meldete sich eine uralte Verletzung (ein Muskelriss aus eigener Blödheit beim VCM vor etlichen Jahren) wieder. So, als wäre sie ganz frisch.

Foto: Stefan Distlberger

Wieso ich nicht aufgab? Zum einen, weil ich weiß, dass ich das kann.

Zum anderen aber, weil da Leute waren. Der Coach, der mich einfach anbrüllte ("du sollst nicht jammern und gehen, sondern strahlen und rennen") – und bei dem ich weiß, dass er meist besser weiß, wann es genug ist, als ich selbst. Teamkollegen, Freunde und Bekannte, die zum Teil selbst schwer kämpften. Die mich trotzdem aufmunterten, anfeuerten und kurz bei mir blieben. Oder an denen ich vorbeizog, wenn sie so wie ich längst in einen Wechsel zwischen Gehen und Laufen gefallen waren: Alle versuchten, mehr zu laufen als zu spazieren. Und da waren die Menschen an der Strecke: Wildfremde genauso wie Freunde und Bekannte.

Aber mein Kopf, das Wollen, funktionierte: Ich wollte ankommen. Ich würde ankommen: "Quitting is not an Option" stand auf T-Shirts der Menschen am Streckenrand.

Foto: Stefan Distlberger

Da war noch etwas. Harald hatte uns darauf vorbereitet: "Lass den Schmerz zu – und er wird wieder gehen." Das stimmte für meinen Phantomschmerz der alten Verletzung (okay, ich half mit einer Salztablette nach).

Und dass ich, seitdem ich Sport mache, mit meiner Verdauung – genauer: mit meiner Weigerung, mich auch nur ansatzweise vernünftig zu ernähren – kämpfe, ist nix Neues: Irgendwann bekommt man eben die Rechnung präsentiert – und der Moment ist immer der falsche.

Foto: Stefan Distlberger

Aber vor allem: Meine Challenges und Wehwehchen sind harmlos – andere stemmen da weit mehr. Nicht nur im Sport und einfach zum Spaß: Welches Recht habe ich also, auch nur eine Sekunde zu jammern?

Aber Harald hatte noch etwas gesagt: "Ihr werdet unten sein – aber ihr werdet wieder kommen: Das ist Triathlon."

Foto: Stefan Distlberger

Ich habe keine Ahnung, wie und warum. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass ich dort, wo Eva und meine Freunde standen, nicht auf allen vieren kriechen wollte. Also lief ich wieder. Langsam, aber doch. Blöderweise war unsere Support-Base so positioniert, dass wir immer wieder an ihr vorbeikamen: Ich lief also wieder mehr.

Und länger. Und irgendwann gab mein Körper den Widerstand gegen mich und sich auf: Ich lief halbwegs konstant. Alles andere als schnell – aber doch. Und ja, es fühlte sich sogar gut an. Zumindest wollte ich nicht mehr sterben.

Foto: Stefan Distlberger

Dann kam der Zieleinlauf: einmal durchs Stadion am Ziel vorbei mit Blick auf die, die gerade auf ihren letzten Metern waren und schon von Cheerleaderinnen, Publikum und Platzsprecher begrüßt und gefeiert wurden.

Stella zum Beispiel: Ich hatte sie auf dem Rad überholt – und sie hatte mich vor etwa 15 Kilometern wieder eingeholt. Jetzt fehlten mir nur noch ein paar Hundert Meter auf sie. Ihr Strahlen war ansteckend: Ich spürte, wie sich auch über mein Gesicht wieder so etwas wie ein Lächeln zog.

Foto: Stefan Distlberger

Raus aus dem Stadion, nach 200 Metern ein U-Turn – und zurück. Zurück auf den roten Teppich, vor die Tribüne, zwischen die Cheerleader. Ein High five vom Moderator. Ein paar Tanzschritte – und ich bin oben. Auf der Ziellinie. Unter dem Triumphbogen. Dann höre ich es – und obwohl ich natürlich weiß, dass dieser Satz heute schon tausend Mal gesagt worden ist, gehört der Moment mir.

So wie jedem und jeder, die schon hier gestanden ist – oder noch hier stehen wird: "You are an Ironman!"

Mehr Bilder vom Ironman Austria gibt es auf Thomas Rottenbergs Facebookprofil

(Thomas Rottenberg, 4.7.2018)

Foto: Helena Rastl