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Der Kompromiss zwischen Seehofer und Merkel wird dessen Nähe zu Kurz nicht lange gefährden: Auch in Österreich liegt die Abschottungspolitik hoch im Kurs.

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Der Drei-Punkte-Kompromiss von CDU und CSU sieht die Einrichtung von Transitzentren, eine rasche Rückschiebung aus diesen Transitzentren (dies entspricht einer Abschiebung ins Herkunftsland) und die Rückweisung von Personen an der Grenze zu Österreich vor. Die Umsetzung dieser Einigung ist noch voller Fragezeichen und enthält einige Tricks. So gelten Transitzentren, basierend auf einer Fiktion der Nichteinreise, als exterritorialer Boden. Diese Konstruktion soll rasche Abschiebungen in die zuständigen Länder erlauben. Wie genau diese Abschiebungen und Rückweisungen erfolgen werden, ist noch offen.

Am Kompromiss zwischen CDU und CSU ist aber nicht nur interessant, was vereinbart wurde, sondern auch, über welche Köpfe hinweg man sich einigte. Da ist einmal der Regierungspartner SPD, dem der Kompromiss mitgeteilt wurde. Und dann hat Österreich eine prominente Rolle zugeschoben bekommen. Punkt drei sieht nämlich eine Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich vor.

Tatsächlich verweist die Einigung der beiden deutschen Parteien auf ein recht eigenwilliges Verständnis von Kompromiss. Die Betroffenen werden in die Entscheidungsfindung nicht eingebunden, über sie wird entschieden. Es ist ein Kompromiss der grundsätzlich Uneinigen und Unwilligen auf Kosten der Nichtanwesenden. In recht ähnlicher Weise hat der EU-Rat vom 28. Juni 2018 einen Kompromiss hinsichtlich sogenannter Anlandezentren in afrikanischen Ländern gefunden.

Auch hier wurde ein Kompromiss ohne Beteiligung derjenigen, die ihn implementieren müssten, gefunden. Die EU-Ratseinigung kam nicht zuletzt mit begeisterter österreichischer Mithilfe zustande. Obwohl substanziell kein Unterschied, fühlt sich die österreichische Regierung im Falle der innerdeutschen Einigung aber nun übergangen.

Rechte Gesinnungsfreunde

Zu Recht ist zu fragen, weshalb der Aufbau des neuen deutschen Grenzregimes nur an der Grenze zu Österreich ausprobiert werden soll. Warum nicht auch an den Grenzübergängen zur Tschechischen Republik? Die Antwort ist, weil in Österreich rechte Gesinnungsfreunde das asylpolitische Sagen haben, diese mit dem bayrischen Vorgehen der Neuausrichtung prinzipiell einverstanden sind und darüber hinaus bislang selbst für derartige nationalistische Regelungen auf der europäischen Ebene Druck machten. Noch gilt, was der Innenminister im Vorfeld sagte, nämlich dass er keine Zurückgewiesenen aufnehmen werde. Da es sich aber nur um eine verschwindend kleine Zahl handelt (ca. fünf Personen pro Tag), dürfte ein Weg gefunden werden.

Davon abgesehen nutzt die österreichische Regierung den deutschen Kompromiss, um über Asyl und Kontrollen permanent zu reden, Letztere inständig zu fordern, entsprechende Infrastrukturen zu aktivieren und Personal an die Grenzen zu verlegen. Im Dominomodus wird gefordert, die Südgrenzen zu sichern, also eine nationale Kettenreaktion in Gang zu setzen. Die Militär- und Polizeiübung in Spielfeld war in gewisser Weise die Auftaktveranstaltung für die fortgesetzte Politik der Abwehr und Abschottung.

Es geht also längst nicht mehr nur um den Außengrenzschutz, er ist zum rhetorischen Kitt verkommen, um tiefe nationale Gräben zu überbrücken. Faktisch ist die Kontrolle der Binnengrenzen das heiße Thema – Deutschland gegen Österreich, Österreich gegen Italien und Slowenien; Italien gegen Südtirol usw. Italiens Innenminister teilte mit, dass er sich über die Ankündigung österreichischer Grenzkontrollen am Brenner freue. Hier werden bereits Unfreundlichkeiten der italienischen Rechten gegenüber Südtirol ausgetragen. Kann das die Regierung wirklich wollen?

Beschleunigte Desintegration

Auch wenn der österreichische Bundeskanzler Europa in diversen Reden als selbstverständlich darstellt, ist nicht zu übersehen, dass die europäische Desintegration tagtäglich an Tempo zulegt. Möglicherweise ist die Desintegration nicht das primäre Ziel der nationalistischen Regierungen, sondern diese haben in erster Linie die restriktive Asylpolitik und das heimische Wahlpublikum vor Augen. Der Zerfall Europas findet aber trotzdem statt, wenn auch als ungewollte Begleiterscheinung. Nun ist die europäische Integration kein Selbstzweck, sie ist vielmehr die Plattform, auf der nationale Interessen verhandelt und europäische Gemeinsamkeiten gefunden werden. Derzeit setzt aber eine steigende Zahl von Regierungen auf Renationalisierung und eine Fiktion von Politik, die an den nationalen Grenzen haltmacht.

An den aktuellen Debatten um Grenzkontrollen wird deutlich, dass nationalistisch ausgerichtete Politik die Probleme, die sie erzeugt, nicht zu lösen vermag; dass die Kooperation der Nationalisten an deren eigenen Grenzen scheitert. Nationalistische Politik liefert in einer globalisierten Welt schlechte Ergebnisse für alle, für Asylsuchende, aber auch für die einheimische Bevölkerung.

Die Frage ist, ob angesichts der bevorstehenden Grenzkontrollen die Mobilen und Reisenden, aber auch die Fürsprecher des freien Warenverkehrs es sich gefallen lassen werden, an den Innengrenzen wieder lange Staus, Wartezeiten und Schikanen in Kauf zu nehmen. Kann das nationalistische Spiel um Grenzen, in dem aktuell etwa fünf Asylsuchende pro Tag als Pfand gesetzt werden, mit Passivität rechnen oder wird es auf Gegenrede und Widerstand stoßen. Dann hätte das europäische Integrationsprojekt tatsächlich eine zweite Chance. (Sieglinde Rosenberger, 5.7.2018)