Das Fazit des Cannabis-Reports: "Wunder sind von Cannabis in den verschiedenen Indikationen offensichtlich nicht zu erwarten."

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Wien – Der Gesundheitsausschuss des Nationalrates hat Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) vor kurzem einstimmig ersucht, bis Ende 2018 einen Bericht für den therapeutischen Einsatz von Cannabis in der Medizin erstellen zu lassen. Mitte Mai 2018 veröffentlichte die deutsche Techniker Krankenkasse (TK) einen Expertenbericht zu dem Thema. Das Fazit: Der Nutzen von Cannabis in der Medizin ist unklar.

"Mit diesem Report wollen wir dem Hype um Cannabis eine nüchterne Betrachtung der Vor- und Nachteile entgegensetzen. Er soll Ärzten und Patienten eine Orientierung bieten und die Mythen um die Cannabis-Therapie ausräumen", schreibt Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, im Vorwort. Die TK hat rund elf Millionen Versicherte und spielte beispielsweise bei der Einführung einer elektronischen Gesundheitsakte in Deutschland eine Vorreiterrolle.

Auch für die Bezahlung homöopathischer Behandlungen hat sich die TK eingesetzt und laut eigenen Angaben einen "exklusiven Vertrag geschlossen". Versicherte können demnach über einen Zeitraum von zwei Jahren ab Erstbehandlung bei vielen Ärzten ohne zusätzliche Kosten die Erst- und Folgeanamnese, die homöopathische Analyse und die Suche nach den geeigneten homöopathischen Arzneimitteln in Anspruch nehmen. Das ist insofern bemerkenswert, da in mehreren systematischen Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen nachgewiesen werden konnte, dass die Homöopathie keinen über den Placebo-Effekt hinausgehenden Zusatznutzen aufweist.

Evidenz unklar

Bei der Einschätzung von medizinischem Cannabis ist die TK hingegen deutlich kritischer. Das Gutachten aus dem Forschungszentrum Socium für Ungleichheit und Sozialpolitik und der Universität Bremen umfasst rund 90 Seiten Literaturrecherche. Die verantwortlichen Hauptautoren, Gerd Glaeske und Kristin Sauer, führen in ihrer Zusammenfassung vor allem einen Mangel an ausreichenden wissenschaftlichen Beweisen für die Verwendung von Cannabis in der ärztlichen Therapie an: "So geht bisher trotz einer Vielzahl an Studien aus der publizierten Evidenz immer noch nicht klar hervor, welchen Patientengruppen mit welcher Dosis und in welcher Form medizinisches Cannabis verabreicht werden sollte und welcher Nutzen zu erwarten ist."

Der Ausgangspunkt für "Cannabis auf Kassenrezept" war in Deutschland ein neues Gesetz, das der Bundestag Anfang 2017 beschloss und das mit 10. März vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Getrocknete Cannabisblüten und -extrakte sollten ebenso in die Therapie eingeführt werden wie die Wirkstoffe Dronabinol (aus Pflanzen hergestelltes hochreines THC; Anm.) und Nabilon (synthetisch hergestelltes THC-Präparat; Anm.). Ärzte können Cannabis (getrocknete Blüten oder Extrakte in standardisierter Qualität) oder THC-Pharmazeutika in Deutschland verschreiben, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und sonst keine allgemein anerkannte Therapie vorhanden oder anwendbar ist. Eine "nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome" muss gegeben sein.

Laut den Autoren des Cannabis Reports sind in der medizinischen Literatur zwischen 1975 und 2016 rund 140 wissenschaftliche Studien (Zuteilung der Patienten nach dem Zufallsprinzip plus Placebogruppe) "zu verschiedenen Cannabinoiden oder Cannabispflanzen-Präparaten zu einer Vielzahl an Krankheiten und Symptomen durchgeführt worden." Trotzdem seien noch viele Fragen offen.

Leichte Schmerzreduktion

"Bisher spielte medizinischer Cannabis in Deutschland bei der Behandlung von Schmerzen, ADHS, Depression, chemotherapeutisch bedingter Übelkeit und Erbrechen bei erwachsenen Krebspatienten, Inappetenz/Kachexie (Appetitlosigkeit/krankheitsbedingte starke Gewichtsabnahme; Anm.), Tourette-Syndrom, Darmerkrankungen, Epilepsie und psychiatrischen Störungen eine Rolle. Doch die Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis als Medizin ist für viele dieser Indikationen inkonsistent und lückenhaft. Es gibt zwar für einige Anwendungsbereiche positive Patientenberichte, es liegen aber nur wenige aussagekräftige Studien von methodisch hoher Qualität vor", heißt es in dem Bericht.

Die medizinische Anwendung von pflanzlichen, synthetischen und teilsynthetischen Cannabinoiden bei Übelkeit und Erbrechen, bzw. Appetitstimulation bei Krebspatienten nach Chemo und Menschen mit Humanen Immundefizienz-Virus (HIV/Aids) gilt als wirksam, anders ist die Situation aber etwa in der Schmerzmedizin, wie die Autoren betonen: "Bei chronischen Schmerzen konnte zwar ein Nutzen gefunden werden, er bezieht sich jedoch überwiegend auf eine leichte Schmerzreduktion. Ebenfalls nicht ausreichend objektivierbare Belege finden sich im Bereich Spastizität (...): Die Studienlage zu medizinischem Cannabis bei Darmerkrankungen sowie neurologischen und psychologischen Erkrankungen ist bisher insgesamt unzureichend."

Kein Wundermittel

In der Schmerzmedizin und bei Lähmungen sei die Qualität wissenschaftlicher Hinweise auf eine Wirksamkeit "allenfalls moderat". Weiters wären die üblichen Kriterien der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für die Zulassung von Medikamenten zur Anwendung von Cannabinoiden bei chronischen Schmerzen nicht erfüllt: dazu müssten mindestens zwei Placebo-kontrollierten – mit ausreichend großen Stichproben und einer Beobachtungsdauer von mindestens zwölf Wochen – vorliegen.

"Keine Wirksamkeit für Cannabis liegt bei den Indikationen Depressionen, Psychosen, Demenz, Glaukom und Darmerkrankungen vor", schreiben die Experten. Eine erst vor kurzem erschienene Übersichtsarbeit samt Meta-Analyse "zu Cannabinoiden in der Palliativmedizin konnte bei Krebspatienten mit den Symptomen Übelkeit und Erbrechen keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu Placebo feststellen", heißt es im "Cannabis-Report". Das Fazit der Autoren: "Wunder sind von Cannabis in den verschiedenen Indikationen offensichtlich nicht zu erwarten."

Seit das neue Gesetz in Kraft getreten ist, wurde Cannabis am häufigsten in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und im Saarland verschrieben. Bundesweit waren es 123 Verordnungen pro 100.000 Versicherte der Techniker Krankenkasse. Rund 60 Prozent der Verordnungen wurden auch genehmigt. Die Kosten waren im Vergleich zu vielen herkömmlichen Arzneimitteln hoch. "Auf Kostenseite sprechen wir über Nettoausgaben von etwa 2,3 Millionen Euro für die Therapie im Jahr 2017", stellte die deutsche Krankenversicherung fest. Bei rund 2.900 Anträgen waren das durchschnittlich fast 800 Euro pro Antrag. (APA, red, 13.7.2018)