In der Neustiftgasse tut sich was, zumindest mancherorts. In ein ehemaliges Fischlokal ist nach langer Zeit wieder Leben eingezogen – der vierte Standort der Grätzlhotels.

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Ein Stück die Straße rauf sieht es trister aus, hier wurde ein Erdgeschoß einfach zugemauert.

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Ein riesiges Kohlblatt ragt aus dem Glas mit dem grünen, dickflüssigen Getränk. Der junge Mann, dem es gehört, sitzt im Straßencafé und isst zum Trendgetränk ein hippes Gericht – eine Schale gefüllt mit Bohnen, Tofu, Avocado und Tomaten. Wer hier vorbeikommt, wähnt sich im Zentrum des angesagtesten Viertels der Stadt – und ist es auch. Wien-Neubau, "Rucola-Bezirk" hat der Kabarettist Josef Hader ihn schon vor Jahren genannt, ist voller Galerien, Bioläden, Secondhandshops und trendiger Cafés.

Die Neustiftgasse liegt mitten drin. Hier lässt ein veganer Eissalon Menschen Schlange stehen, ein Stück weiter die Straße rauf sitzen Menschen auf dem Augustinplatz in Schanigärten und plaudern, Kinder klettern auf Bäume und turnen über die dort aufgestellten Bänke. Die Gegend ist beliebt, die Zahl der Passanten hoch, und dennoch: Nur wenige Meter weiter stadtauswärts, an der Ecke zur Neubaugasse, steht schon seit vielen Jahren ein Geschäft leer. Das Fischlokal Mare & Monti war hier einst untergebracht, davor eine Fleischerei, wie ein Mitarbeiter des gegenüberliegenden Friseursalons erzählt.

Die Augen der Stadt

Nun soll hier aber wieder Leben einkehren. Und es sind keine Unbekannten, die die Erdgeschoßzone wieder nutzbar machen wollen: Seit einigen Tagen befindet sich hier der vierte Standort der Wiener Grätzlhotels. "Die Flächen im Erdgeschoß sind irgendwie auch die Augen der Stadt. Stehen Geschäftsflächen leer, wirkt das trostlos", sagt Theresia Kohlmayr, Geschäftsführerin der Grätzlhotels. Wenn ein Lokal so lange ungenutzt ist, werde es selbst von den Bewohnern eines Hauses irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen.

Vor allem aufgrund ihrer Größe waren die Räumlichkeiten in der Neustiftgasse 48 so schwer vermittelbar, so Kohlmayr. Denn zum Geschäftslokal auf der Vorderseite gehören ehemalige Lager- bzw. Betriebsflächen im Hof, die sich auf insgesamt 120 Quadratmeter erstrecken. "Früher haben Handwerksbetriebe noch in der Stadt produziert, heute passiert das alles in großen Industrieanlagen am Stadtrand", sagt Kohlmayr.

120 Quadratmeter seien eine komplizierte Größe: "Unternehmer, die ein kleines Geschäft aufmachen wollen, suchen Räume um die 40 Quadratmeter. Für einen Supermarkt ist die Fläche wiederum zu klein." Klassische Immobilienentwickler würden zudem zurückschrecken, weil die Räume nur gewerblich und nicht als klassischer Wohnraum genutzt werden dürfen.

Individuelles Erlebnis

Kohlmayr und ihr Team haben aus dem Lokal insgesamt vier getrennte Hotelzimmer mit Größen zwischen 20 und 45 Quadratmetern gemacht. Angelehnt an die Vorgeschichte der Flächen heißen sie "Die Fischhändlerin", "Der Kapitän", "Der Fischer" und "Der Bootsbauer". Auch die Einrichtung ist maritim: Die Farbe Blau bestimmt die Möbel, die Lampen erinnern an die Ausstattung von Schiffskajüten, die Wände zieren Tapeten mit Fischmuster – dabei sieht jedes Zimmer anders aus und ist individuell gestaltet.

Das ist es auch, was die Gäste der Grätzlhotels suchen, ist Kohlmayr überzeugt. Dazu zählen, das weiß sie bereits von den anderen Standorten, Wien-Besucher jedes Alters, die auf der Suche nach einem individuellen Urlaubserlebnis sind.

Dass man auf einer Ebene mit den Passanten auf dem Gehsteig und den Autos auf der Straße schläft, störe die Gäste nicht. Mit dicken Vorhängen lassen sich das "Schaufenster" und der Schlafbereich zur Straßenseite hin abtrennen. Über ihre Kunden weiß Kohlmayr: "Das sind informierte Reisende, sie lesen Blogs, versorgen sich gerne selbst. Sie brauchen niemanden, der ihnen morgens ein Taxi ruft."

Keine Rezeption

Apropos: Eine Rezeption oder einen Ansprechpartner vor Ort gibt es nicht, "telefonisch sind wir aber erreichbar", sagt Kohlmayr. Kommen die Gäste an, können sie per Code den Schlüsselsafe an der Außenfassade des Hauses öffnen. Im Zimmer liegen Empfehlungen für Frühstückslokale und andere Angebote in der Umgebung. Eine konkrete wirtschaftliche Zusammenarbeit mit einem Betrieb im Grätzl gibt es aber nicht.

Das Feedback aus der Nachbarschaft sei gut, sagt Kohlmayr. In Gegenden wie beim Grätzlhotel in Meidling, "wo sich schon seit 20 Jahren nichts getan hat", sind die Rückmeldungen stärker als etwa in Neubau, "hier fällt etwas Neues nicht mehr so auf". Trotzdem ist die Freude groß, so Bezirksvorsteher Markus Reiter (Grüne): "Wir sind immer froh, wenn sich in Sockelzonen etwas tut, in denen die gewerbliche Belebung ansonsten schwerfällt."

Das jetzige Grätzlhotel war und ist nicht der einzige Leerstand in der Gegend. Vor allem stadtauswärts Richtung Gürtel gibt es einige Lokale mit heruntergelassenen Rollläden, ein ehemaliges Gasthaus, das als Lagerraum genutzt wird, und sogar eine Erdgeschoßzone, die einfach zugemauert wurde. Doch warum ist selbst in diesen begehrten Lagen Leerstand ein Problem? "Schlussendlich liegt es am Verkehr. Die Neustiftgasse ist die einzige große Ausfahrtsstraße aus der Innenstadt zwischen sechstem, siebtem und achtem Bezirk", sagt Reiter.

Vernetzung im Grätzl

Seit dem 8. Juli läuft im Grätzlhotel in der Neustiftgasse nun der insgesamt zwei Wochen dauernde Probebetrieb. Auch die Nachbarn werden eingeladen, sich die Hotelzimmer anzusehen, "weil sich die oft schwer vorstellen können, wie das von innen aussieht", so Kohlmayr.

Die Vernetzung im Grätzl ist ihr ein großes Anliegen. Im siebten Bezirk sei man in diesem Punkt aber ohnehin schon gut dabei. "Die Sharing Economy ist hier bereits angekommen", sagt sie und zeigt auf eine ganze Ansammlung von Schlüsselsafes, die neben dem Eingangstor zum Hof an der Mauer angebracht sind.

"Hier im Haus werden schon einige Wohnungen über Airbnb vermietet, wie es aussieht", sagt sie. Mit den neuen Grätzlhotel-Zimmern haben die Besucher nun also eine weitere Möglichkeit, in diesem Haus im hippen siebten Bezirk Urlaub zu machen. (Bernadette Redl, 14.7.2018)