Es ist schwer, sich bei einer kulinarischen Großmacht wie Frankreich eine stellvertretende Speise auszusuchen, aber ich finde, das Croissant steht für vieles, was französisches Essen groß macht: handwerkliche Perfektion und Konsequenz, einen Hang zur Pracht und Freude an der Maßlosigkeit. Es folgt der Logik, dass, wenn Butter gut, mehr Butter besser ist, und dass vier, fünf grandiose Bissen drei Tage Arbeit wert sind.

Croissants (bzw. ihre Macher) vollbringen das Wunder, schwerfällige, dicke Butter in eine knusprige Wolke zu verwandeln – das Croissant bringt der Butter das Schweben bei. Noch ofenwarm dampfend nach heißer Butter duftend, gehört es zum Besten, was menschlicher Einfallsreichtum und Pedanterie je hervorgebracht haben.

Das Croissant ist zwar als Franzose berühmt geworden, verdankt sich aber zunächst einem Wiener. 1838 übersiedelte der k. u. k. Offizier August Zang nach Paris und sperrte dort eine Bäckerei auf. Er war wenige Jahre vorher in der französischen Hauptstadt gewesen, hatte sich über das übliche grobe, recht dunkle Sauerteigbrot geärgert und das weiße Gebäck seiner Heimat vermisst – vor allem die Kipferln, die in Wien aus dem damals weltberühmten weißen Mehl aus Ungarn gebacken wurden. Zang witterte eine Marktlücke.

Foto: Tobias Müller

"Boulangerie Viennoise"

Zang war zwar kein Bäcker, hatte aber Technische Chemie studiert und brachte einige geübte Wiener Bäcker mit nach Paris. Seine "Boulangerie Viennoise" in der Rue de Richelieu 92 war ein so nachhaltiger Erfolg, dass "Viennoisserie" bis heute in Frankreich der Oberbegriff für buttriges, fluffig-leichtes Gebäck ist. Innerhalb weniger Jahre fand Zang zahlreiche Nachahmer, die sein Gebäck und seine Kipferln in Paris kopierten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde aus Zangs ursprünglich ziemlich sicher mürbem Kipferl dank der Pariser Liebe zu Butter und Exzess schließlich jener Blätterteigpfau, den die Welt heute kennt. (Einschub: Ich finde ja, die beiden – mürbes Kipferl und Croissant – sind ein recht schönes Sinnbild für den Unterschied zwischen französischer und deutscher Esskultur. Wer sich diesen Unterschied noch drastischer vor Augen führen möchte, der vergleiche einfach die Bebilderung der deutschen Wikipedia-Seite für Butter und der französischen für Beurre. Dank an Heinrich H. für den sachdienlichen Hinweis.)

Zangs zweiter Beitrag zur Backgeschichte war der Dampfbackofen – eine damals noch eher obskure Erfindung, die angeblich aus Wien stammte und in Frankreich unbekannt war. Der eingeschossene Dampf erlaubte es dem Gebäck, viel schöner aufzugehen und knuspriger zu werden. Bis heute ist die Technik weltweit in Bäckereien Standard. Zang selbst wurde das Backgeschäft trotzdem leid und ging zurück nach Wien, wo er leider keine Bäckerei, dafür aber die "Presse" gründete. Diesmal war der Wissenstransfer ein umgekehrter: Zangs Vorbild war die Pariser Tageszeitung "La Presse". Deren revolutionäre Idee: Anzeigen nicht am Ende der Zeitung bündeln, sondern im ganzen Blatt und neben den Artikeln verteilen – ein Modell, das sich als fast so erfolgreich erwies wie der Dampfbackofen.

Gute Croissants in Wien

Mittlerweile hat auch Wien so richtig gute Croissants: Im Paremi in der Bäckerstraße etwa werden Kipferln in einer Qualität gebacken, wie man sie auch in Paris oder Tokio suchen muss.

Foto: Tobias Müller

Motivierte Menschen können Croissants aber auch zu Hause selber machen. Ganz einfach ist das nicht: Je nach Motivationsgrad dauert es zwei bis drei Tage und erfordert ein wenig Fingerspitzengefühl – es ist aber eine Kulturtechnik, die ich zumindest verstehen und kennen wollte. Ich bin daher zu einem Großmeister des Croissantbackens gepilgert: zu Pierre Reboul, der einst Chefpatissier von Jean George Vongerichtens weltweitem Restaurant-Imperium war, dann im Café Central Wiens damals beste Croissants buk und heute Entwicklungsbäcker bei der Bäckerei Ströck ist.

Ich habe in Pierres Café-Central-Zeiten in einem Büro in der Herrengasse gearbeitet, keine 100 Meter vom Café entfernt. Jeden Tag habe ich mir mindestens eines von seinen Croissants geholt – nach dem Mittagessen in einer Fleischereikette um die Ecke. Ich habe in der Zeit zehn Kilo zugenommen (ich bin sicher, dass es die Fleischerkette war) und nach meinem Arbeitsplatzwechsel nicht nur das Gewicht, sondern auch die Croissants verloren. Zweiteres war tragisch. Vor ein paar Jahren war er so nett, sie mit mir zu backen und mir sein Rezept zu zeigen.

Übrigens: Wen der faszinierende August Zang näher interessiert, hier gibt es mehr Infos auf Englisch, und Barbara van Melle, Frau hinter den Back-Ateliers, arbeitet gerade an einem Buch über ihn, das, soweit ich weiß, kommendes Jahr erscheinen soll.

Croissants backen mit Pierre Reboul

Weil gute Croissants mindestens zwei Tage dauern, hatte ich jede Menge Zeit, mit Pierre über Croissants zu reden. Das ist, verkürzt, was er mir gesagt hat:

"Croissants zu backen ist, wie einen alten Freund zu treffen, mit dem man nicht viel reden muss. Man versteht sich instinktiv. Es kommt nur darauf an, wie gearbeitet wird. Wenn du mit dem Teig arbeitest, versuch, wie eine afrikanische Mama zu sein: bestimmt, aber trotzdem sanft.

Die gute Butter ist vielleicht das Wichtigste. Du brauchst Butter, die gut schmeckt und elastisch ist, die sich ausrollen lässt, ohne zu schmieren, und nicht gleich bricht, wenn du sie klopfst. Mit Sauerrahmbutter bekommst du mehr Geschmack. Wenn du im Supermarkt stehst und dich entscheiden musst, drück die Butter und nimm die, die schön fest ist. Oft wird für Croissants Margarine verwendet, weil sie sehr plastisch ist. Ich bin kein Essenssnob, aber Croissants mit Margarine gehen gar nicht.

Die Temperatur ist auch oft ein Problem. Bei der Verarbeitung muss es kühl sein. Als ich bei Jean-Georges Vongerichten war, haben wir mit Ventilatoren und gefrorenen Pfannen gearbeitet. Es musste alles sehr schnell gehen. Wenn die Butter verarbeitet wird, muss die Arbeitsfläche kalt sein, am besten nicht mehr als 15 Grad. In Österreich ist das nicht so ein Problem, im Winter geht es am einfachsten. Man macht einfach das Fenster auf."

Rezept für Pierres Croissants

Für mehrere Bleche Croissants brauchen Sie:
5 kg Mehl, Typ 480 (100 %)
125 g Salz (2 %)
880 g Zucker (10 %)
150 g Invertzucker
150 g Hefe (2 %)
300 g Eier
2,4 kg Milch
500 g Butter für den Teig
3,25 kg Butter für die Croissants

Foto: Tobias Müller

Tag 1: Mischen Sie Mehl, Hefe und Milch zu einem groben Teig und lassen es 24 Stunden bei 4 Grad stehen. Das gibt dem Teig mehr Zeit zum Fermentieren und daher extra Geschmack und macht ihn später knuspriger. (Der Schritt ist optional und kann ausgelassen werden. Alternativ können Sie auch 15 Prozent des Gesamtteigs durch Sauerteig ersetzen.)

Foto: Tobias Müller

Tag 2: Mischen Sie den Teig mit den Eiern, der Butter für den Teig und dem Zucker 10 Minuten in der Rührmaschine ordentlich durch und lassen Sie ihn eine Stunde gehen.

Rollen Sie ihn zu einem Rechteck aus, falten ihn einmal, drücken ihn flach und kühlen ihn im Kühlraum sehr schnell auf knapp über 0 Grad herunter. Die Idee ist, jegliche Hefeaktivität schnell zu stoppen. Lassen Sie ihn eine Stunde rasten.

Ab nun ist es wichtig, dass Sie in kühler Umgebung arbeiten. Ihre Butter und Ihr Teig dürfen niemals mehr als 27 Grad bekommen. Halbieren Sie Ihre kalte Butter und bringen Sie beide Stücke in die Form Ihres Teiges: Pierre klopft sie mit der Faust und ziemlicher Urgewalt flach und rechteckig.

Rollen Sie Ihren Teig in rechteckiger Form auf die dreifache Länge aus. Legen Sie das erste Stück flache Butter auf das mittlere Drittel des Teiges, falten Sie das rechte Drittel darüber, legen Sie Ihr zweites Stück Butter darauf und falten Sie nun das linke Drittel darüber. Sie sollten nun ein Rechteck aus drei Lagen Teig haben, die jeweils durch eine Lage Butter getrennt sind. Lassen Sie den Teig bei 0 Grad über Nacht rasten.

Foto: Tobias Müller

Tag 3: Rollen Sie Ihren Teig auf die dreifache Länge aus und falten ihn in drei Lagen auf die ursprüngliche Länge zurück. Lassen Sie ihn eine Stunde rasten und wiederholen die Prozedur weitere drei Mal. Die Idee dahinter ist, dass die Butterschicht verhindert, dass der Teig zusammenklebt – wenn die Croissants gebacken werden, geht der Teig in dutzenden knusprigen Schichten auf.

Nach dem vierten und letzten Mal ausrollen schmieren Sie eine Handvoll zimmerwarmer, nicht zu weicher Butter auf den Teig. Das gibt Ihren Croissants beim Backen den "extra Butter-Burst", wie Pierre sagt. Falten und ein letztes Mal bei knappen 0 Grad eine Stunde rasten lassen.

Foto: Tobias Müller

Rollen Sie Ihren Teig auf knapp 5 Millimeter Dicke aus und schneiden ihn in gleichmäßige Dreiecke. Bewundern Sie die vielen verschiedenen Schichten, die geologischen Formationen in einem Berg ähneln. Ein Dreieck soll in etwa 90 Gramm haben. Legen Sie das Dreieck so vor sich auf, dass die Spitze zu Ihnen zeigt. Machen Sie einen kleinen Einschnitt in die Mitte der längsten Seite, ziehen es an beiden Ecken kurz auseinander und rollen es zur Spitze hin zusammen. Wiederholen Sie den Vorgang mit allen Dreiecken. Dann packen Sie Ihre Croissants über Nacht bei 4 Grad in einen Kühlraum und lassen sie rasten.

Foto: Tobias Müller

Tag 4: Vier Stunden bevor Sie backen wollen, nehmen Sie Ihre Croissants aus dem Kühlraum und bepinseln sie mit verrührtem Ei. Lassen Sie sie an einem warmen Ort, am besten in einem Gärraum, bei etwa 26 Grad und guter Belüftung 4 Stunden aufgehen und verpassen ihnen einen weiteren Ei-Waschgang. Dann kommen sie bei 180 Grad für etwa 17 bis 20 Minuten ins Backrohr. Lieber vorsichtig backen: Ist die Backdauer zu kurz und der Ofen zu heiß, können sie zäh werden.

Foto: Tobias Müller

Nehmen Sie sie heraus und warten, bis sie gerade genug ausgekühlt sind, um Ihnen nicht den Mund zu verbrennen. Schieben Sie sich ein heißes Croissant in den Mund und genießen die Buttergeschmacksexplosion und den knusprigen, schwebend leichten Teig. Wenn Sie alles richtig gemacht haben, kracht Ihr Croissant dabei wie raschelndes, trockenes Herbstlaub. (Tobias Müller, 22.7.2018)