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Die Show geht weiter: Staatschef Erdogan verkündete Erfolge im Kampf gegen die Gülenisten, aber auch die Fortsetzung der Säuberungen.

Foto: AP/Emrah Gurel

Biomedizinisch gesehen ist das ein hoffnungsloser Fall. "Wir haben dem Oktopus alle Arme abgeschlagen", hat der türkische Staatschef Tayyip Erdogan zum zweiten Jahrestag des Putschversuchs über seinen einstigen politischen Verbündeten Fethullah Gülen gesagt. Doch trotz der seit zwei Jahren dauernden Massenverhaftungen, Säuberungen in Staat und Wirtschaft und der Jagd auf Gülenisten im Ausland lebt der Oktopus offenbar weiter. Zumindest ist das die Begründung für die neuen Gesetzesverschärfungen, die nun den diese Woche auslaufenden Ausnahmezustand ablösen sollen. Und die für drei Jahre gelten werden.

Zwei Dutzend Gesetzesänderungen sind für das neue Sicherheitsregime vorgesehen. Sie sind zu Beginn der Woche offiziell von Parlamentsabgeordneten der Präsidentenpartei eingebracht worden. Im Vorwort zum Gesetzesantrag bezogen sich Fraktionschef Bülent Toran und seine Kollegen ausschließlich auf den Kampf gegen das als terroristisch eingestufte Netzwerk des türkischen Predigers Fethullah Gülen. Ihm gibt die politische Führung in der Türkei die Schuld am Putschversuch des 15. Juli 2016.

33.000 im Gefängnis

In den zurückliegenden knapp zwei Jahren ist der Ausnahmezustand jedoch über die Gülen-Gruppe hinaus auch gegen angebliche Unterstützer oder Mitglieder der kurdischen Separatistenorganisation PKK und der linksgerichten Terrorgruppe DHKP-C sowie gegen Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft angewandt worden. Mehr als 33.000 Menschen sind während des Ausnahmezustands ins Gefängnis gesteckt worden, mehr als eine Viertelmillion wurde in Ermittlungsverfahren als Terrorverdächtige benannt.

Die Welle von Festnahmen ebbt auch nicht ab. So ließ die Justiz am Dienstag 34 Soldaten bei einem Kommando der Luftstreitkräfte in Malatya in Zentralanatolien abführen.

Als Erdogan fünf Tage nach dem Putsch den Ausnahmezustand über das Land verhängte, wiegelten sein Justizminister und sein Regierungssprecher schnell ab. Die Dreimonatsfrist des Ausnahmezustands werde wohl nicht voll ausgeschöpft, so versicherten sie der Öffentlichkeit. In Wirklichkeit ließ Erdogan das Notstandsregime mit der enormen Ausweitung der Polizeibefugnisse und der Herrschaft durch Dekrete siebenmal verlängern.

Heute, Mittwoch, aber, knapp zwei Jahre später, soll tatsächlich Schluss damit sein. Die Türkei erlebt ihren letzten Tag des Ausnahmezustands. Dafür regiert Erdogan seit dem vergangene Woche in Kraft getretenen Verfassungswechsel nun ganz normal per Dekret. Und das vom Präsidenten gesteuerte Parlament schickt sich an, die Notstandsbefugnisse durch ein neues Regelwerk mit weiterhin deutlichen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten fortzuschreiben.

Auf der Plusseite dieses Ausnahmezustands light steht die weitere Verkürzung der Zeit im Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme seien Verdächtige auch an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen, heißt es in dem Gesetzespaket, das am Mittwoch ins Parlamentsplenum kommt.

Von 30 auf vier Tage

In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen; davor waren es zwei Tage.

Die türkische Opposition kritisiert besonders, dass die Verschärfung der bestehenden Sicherheitsgesetze gleich für drei Jahre gelten soll. Der Ausnahmezustand werde nun nicht mehr wie bisher alle drei Monate verlängert, sondern eben alle drei Jahre, erklärte bereits der Fraktionsführer der sozialdemokratischen CHP im Parlament, Özgür Özel. Vertreter der Zivilgesellschaft, Gewerkschafter und allerlei Vereine würden zudem nunmehr gezielt durch die Gouverneure in den Provinzen ins Visier genommen werden.

Tatsächlich sollen den vom Staatschef Erdogan eingesetzten Gouverneuren in den 81 Provinzen des Landes neue Befugnisse zuwachsen. So wären die "Walis" künftig etwa ermächtigt, Personen in ihren Provinzen für die Dauer von bis zu 15 Tagen an der Ein- oder Ausreise zu hindern. Dies gilt auch in den Großstädten Istanbul, Ankara und Izmir, wo ebenfalls Gouverneure über die Köpfe gewählter Bürgermeister hinweg regieren. Auch Entlassungen von Staatsbediensteten und Zwangsverwaltungen von Unternehmen sollen weiter möglich sein. (Markus Bernath, 18.7.2018)