Bild nicht mehr verfügbar.

Der Mensch greift seit Jahrtausenden in das Erbgut von Pflanzen ein. Was aber als Gentechnik gilt, ist nicht immer eindeutig.

Illustration: Picturedesk

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am Mittwochmittag ein lange erwartetes Urteil gefällt: Neuere Methoden der Gentechnik, die keine transgenen Organismen erzeugen, fallen in der Landwirtschaft unter die bestehenden Gentechnik-Richtlinien. Mit neueren Formen der sogenannten Mutagenese-Technologie manipulierte Pflanzensorten gelten rechtlich als gentechnisch verändert, wie der EuGH mitteilte.

Davon ausgenommen seien die mit Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen, die seit langem als sicher gelten. Laut EuGH steht es den EU-Staaten aber frei, diese Organismen unter Beachtung des Unionsrechts den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen oder anderen Verpflichtungen zu unterwerfen. Mit Mutagenese werden alle Verfahren bezeichnet, die es – anders als die Transgenese – ermöglichen, das Erbgut lebender Arten ohne Einführung artfremder Gene zu verändern.

"Wie das vorlegende Gericht im Wesentlichen hervorhebt, könnten sich die mit dem Einsatz dieser neuen Verfahren/Methoden der Mutagenese verbundenen Risiken als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO durch Transgenese auftretenden Risiken erweisen", heißt es im Urteilsspruch. Zum Urteil im Wortlaut geht es hier.

Überraschend restriktives Urteil

Die Entscheidung kommt insofern überraschend, als der Generalanwalt des EuGH, Michal Bobek, in einer Stellungnahme zur rechtlichen Bewertung des Verfahrens im Jänner eine andere Empfehlung abgegeben hatte: Er hatte argumentiert, dass mit CRISPR und vergleichbaren Techniken erzeugte Organismen nicht als gentechnisch verändert anzusehen seien, wenn die Veränderungen auch auf natürliche Weise entstanden sein könnten. Ähnlich restriktiv wie die EU urteilte bislang nur Neuseeland.

Der EuGH hat sein restriktives Urteil mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit argumentiert: Risiken, die sich aus der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in die Umwelt ergeben, müsse besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Umgang damit solle auf dem Grundsatz der vorbeugenden Maßnahmen beruhen, der EuGH habe sich daher bei der Ausarbeitung der Richtlinie auf das Vorsorgeprinzip gestützt.

Explain-it erklärt in vier Minuten, wie CRISPR/Cas9 funktioniert.
DER STANDARD

Vielfältige Züchtungen

Früchte, die nicht braun werden, virusresistente Gurken und Sojabohnen, bei deren Verarbeitung weniger Transfettsäuren entstehen: Die Liste der Pflanzenzüchtungen, die mithilfe sogenannter Genome-Editing-Verfahren erzeugt wurden, wächst stetig. An dürreresistentem Mais, Weizen ohne Allergene und Gemüsepflanzen, die weniger Spritzmittel benötigen, wird intensiv gearbeitet. Auch weitaus exotischere Ideen gibt es zuhauf.

Doch während sich die Technologien hinter diesen Innovationen rasant entwickeln, hinkt die Gesetzgebung bislang hinterher: Bis heute war in der EU weitgehend ungeklärt, ob Züchtungen, die mithilfe von Methoden wie der Gen-Schere CRISPR/Cas9 erzeugt wurden, unter das strenge Gentechnikgesetz fallen oder nicht. Der EuGH hat nun die rechtliche Bewertung von Organismen geliefert, die mit CRISPR und vergleichbaren Verfahren hergestellt wurden.

Keine transgenen Organismen

Die große Frage, die im Raum stand: Wird der Begriff des genetisch veränderten Organismus prozessorientiert oder ergebnisorientiert verstanden? Mit anderen Worten: Soll der Prozess, Erbgut zu verändern, nach der GVO-Richtlinie behandelt werden oder liegt der Fokus darauf, ob das Endprodukt auch auf natürlichem Weg entstehen könnte oder nicht?

Im Unterschied zu klassischen gentechnischen Verfahren entstehen durch Genome-Editing-Techniken in der Pflanzenzucht häufig keine transgenen Organismen. Es werden also keine artfremden Gene in das Erbgut eingebaut, sondern vorhandene Gene gezielt ausgeschaltet oder Mutationen ausgelöst, die zum gewünschten Zuchtergebnis führen sollen. Solche Veränderungen könnten theoretisch auch auf natürliche Weise oder mit herkömmlichen Zuchtmethoden erreicht werden. Zudem hinterlässt CRISPR keine Spuren im Endprodukt.

Das heißt: Wird ein Pflanzengenom ohne Fremd-DNA verändert, ist am Ende gar nicht ersichtlich, ob es sich um eine natürliche Mutation handelt, um das Ergebnis einer Züchtung mit herkömmlichen Methoden oder ob mit Genome-Editing nachgeholfen wurde.

Damit ist eine Kontrolle kaum durchführbar, es entfällt aber auch ein wesentlicher Kritikpunkt von Gentechnikgegnern, die unkalkulierbare Risiken für Umwelt und Konsumenten durch das Einbringen von Fremdgenen befürchten. Bei den Diskussionen über die gesetzliche Einstufung solcherart veränderter Pflanzen gehen die Wogen trotzdem hoch.

Folgenreiche Entscheidung

Kritiker und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace warnen vor unkontrolliertem Anbau und Risiken, denen Verbraucher ohne ihr Wissen ausgesetzt würden. Viele Wissenschafter sehen in CRISPR/Cas9 hingegen nichts anderes als eine moderne Zuchtmethode, aufgrund ihrer Präzision vielleicht sogar die biologisch verträglichste. Behandlungen mit Chemikalien oder Röntgenstrahlen, die seit Jahrzehnten gang und gäbe sind, tun auf brachialere und ungenauere Weise letztlich nichts anderes: Sie lösen Mutationen aus, die nützlich oder schädlich sein können.

Die Entscheidung, die der EuGH nun anlässlich einer Klage französischer Landwirtschafts- und Naturschutzorganisationen getroffen hat, ist folgenreich: Organismen, die als gentechnisch verändert definiert werden, unterliegen strengsten Auflagen. Sie müssen langwierige und teure Zulassungsverfahren durchlaufen und gekennzeichnet werden. In Österreich ist ihr Anbau generell verboten.

Rechtliches Neuland

Einen klaren rechtlichen Rahmen gibt es bisher nur in wenigen Ländern. 2015 entschied Argentinien, dass modifizierte Pflanzen, die keine artfremden Gene enthalten, nicht unter Gentechnikrichtlinien fallen. Im selben Jahr stellte Schweden fest, dass die EU-Definition gentechnisch veränderte Pflanzen ohne Fremdgene nicht einschließt. In den USA, wo in den vergangenen Jahren einige CRISPR-Lebensmittel zum Verkauf zugelassen wurden, entschied man zunächst von Fall zu Fall, bis im März 2018 gen-editierte Pflanzen ohne Fremd-DNA generell von Gentechnikgesetzen ausgenommen wurden.

Neuseeland hat hingegen 2016 einen restriktiven Beschluss gefasst: Dort gelten für alle Pflanzen, deren Erbgut editiert wurde, die Richtlinien für Gentechnik – egal ob artfremde Gene eingeschleust wurden oder nicht. (David Rennert, Tanja Traxler, 25.7.2018)