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Mit "Sturmhöhe" schuf Emily Brontë Weltliteratur.

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"Wuthering Heights", so der Romantitel im Original, wurde 1939 zum ersten Mal verfilmt, mit Lawrence Olivier als Heathcliff und Merle Oberon als Cathy.

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Yorkshire liegt in einem toten Winkel Englands. Im Westen der Grafschaft, inmitten eines unwirtlichen Hochmoors, befindet sich der Flecken Haworth. Im dortigen Pfarrhaus wohnten zwischen 1820 und 1855, zusammen mit ihrem Bruder Branwell, die drei Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë, umsorgt von ihrem Vater, dem Pastor Patrick Brontë. Ihre Mutter Maria war bereits 1821 an Krebs gestorben.

Die ländliche Abgeschiedenheit von Yorkshire wurde zur Bedrängnis der Schwestern und zum Glücksfall für die Literatur. Fern vieler Ablenkungen und großteils auch dem schulischen Alltag enthoben, wurden Lesen und Schreiben die heftigste Passion der Geschwister. In ihrer Fantasie erhoben sie die Traumreiche Angria und Gondal zum Schauplatz endloser Geschichts- und Gedichtketten und überboten einander in der Abfassung von Romanen, die zumindest zweimal Weltliteratur wurden.

Emily Brontë, die mittlere der Schwestern, schrieb als 27-Jährige im Pfarrhaus von Haworth ihren einzigen Roman, in dem sie alle sittlichen und formalen Konventionen der frühviktorianischen Lesekultur sprengte und ein an Originalität und rauem Realismus unübertroffenes Meisterwerk der englischen Literatur schuf: Wuthering Heights (Sturmhöhe) erschien 1847 unter dem Pseudonym Ellis Bell in London, ein Jahr vor dem Tod der Autorin.

Exzess an Rachsucht

Der Roman ist erfüllt von einem Exzess an Gewalt und Rachsucht, der wie ein Orkan aus Wildheit und ungezügelter Leidenschaft über die zerzauste Heidelandschaft Yorkshires fegt. Urheber ist ein Raubein namens Heathcliff, der einst vom Gutsherrn Earnshaw als Findelkind aus den Slums von Liverpool in das Gehöft Wuthering Heights gebracht und dort zusammen mit dem Sohn Hindley und der Tochter Catherine aufgezogen wurde.

Catherine und Heathcliff, das stellt sich bald heraus, sind wesensverwandt: wild, unversöhnlich, willensstark. Erwachsen geworden, fühlt sich Catherine unwiderstehlich zu dem Ziehbruder hingezogen, heiratet indes den wohlhabenden Sohn Edgar Linton aus dem nahen Herrenhaus Thrushcross Grange. Der verschmähte Fremdling Heathcliff verwindet diese Demütigung nicht und verbannt sich selbst für Jahre aus der Gegend.

Als er zurückkehrt, beginnt ein gnadenloser Rachefeldzug. Zwar flammt die Zuneigung Catherines für ihn noch einmal heftig auf, doch der Weg ist durch ihre Ehe und beginnende Mutterschaft unüberwindlich versperrt. Noch ehe Catherine bei der Geburt ihrer Tochter Cathy stirbt, wendet sich Heathcliff der Schwester ihres Mannes, Isabella, zu und überredet sie zur heimlichen Heirat. Aber er misshandelt sie, und Isabella verlässt ihn noch vor der Geburt ihres Sohnes Linton.

Hass als Kippfigur der Liebe

Nun kennt die Zerstörungssucht Heathcliffs, die sich gegen die Familien Earnshaw und Linton gleichermaßen richtet, kein Halten mehr. Er fördert nach Kräften die Trunk- und Spielsucht seines Stiefbruders Hindley und bringt sich mit abgefeimten Winkelzügen nach und nach in den Besitz sowohl von Wuthering Heights wie Thrushcross Grange. Zuletzt wird er von den Erinnyen (Rachegöttinnen, Anm.) seiner toten Geliebten durchs Moor gejagt. Er stirbt, von Halluzinationen geplagt, und kehrt, mit Catherine vereint, als nächtlicher Untoter gespenstisch wieder.

Der Hass kann eine Kippfigur der Liebe sein. In der Figur Heathcliffs führt die Autorin in meisterhafter Verschränkung von obsessiver Leidenschaft und ebensolcher Vernichtungswut das Psychogramm eines zutiefst narzisstischen Charakters vor. Wem Gestalt und Handlungsweise Trumps ein Rätsel sind, erhält hier einiges an Aufklärung.

Die kühne Neuheit von Emily Brontës souveräner Romankunst besteht im Verzicht nicht nur auf eine chronologische Erzählfolge, sondern auch auf einen allwissenden Erzähler. Stattdessen wird über das Geschehen abwechselnd von Außenstehenden – der Haushälterin Nelly und dem Pächter des Herrenhauses Lookwood – berichtet. Das verändert die Perspektive und verschafft den Exaltationen des Dramas eine handfeste Glaubwürdigkeit.

Der Roman rief bei seinem Erscheinen Verstörung und feindselige Ablehnung hervor. So tief hatten die Leser noch nie in den Abgrund einer zerrütteten Seele geschaut. Die Guten sterben, die Bösen aber leben und tyrannisieren ihre Umwelt – dieses Weltbild stand quer zu frühviktorianischen Überzeugungen und einer grundoptimistischen Moral.

Es bleibt ein Geheimnis, wie die vor 200 Jahren, am 30. Juli 1818, geborene Emily Brontë eine solche Seelenkenntnis und Kunstsicherheit erlangen konnte. Zwar arbeitete sie kurz als Lehrerin und reiste 1842 zusammen mit ihrer Schwester Charlotte für ein Dreivierteljahr nach Brüssel, um Französisch zu lernen. Doch froh, wieder nach Haworth zurückzukehren, führte sie weiter den Familienhaushalt und frönte der Einsamkeit im stürmischen Hochmoor.

Zu Hause fand sie die Werke Shakespeares, die ihr wohl das umfassendste Wissen über die Menschennatur vermittelt haben. Sie starb am 19. Dezember 1848 leidvoll an akuter Tuberkulose. Medizinische Hilfe hatte sie bis zuletzt verweigert.

Leider ist die jüngste deutsche Sturmhöhe-Übersetzung von Wolfgang Schlüter (bei Hanser) ein Ärgernis: gespickt mit Kraftwörtern heutiger Fäkalsprache ("Scheiß auf den Arzt!" für "Damn the doctor"), sprachlichen Manierismen und einer sinnstörenden Übertragung des Dienerdialekts aus Yorkshire in ein vulgäres Pseudobairisch: "'s is weng der do: dem läufischen, hundsföttischen Sauluader, die was unsern Buam b'hext hot mit ihrm Äugln & Duttelnwackeln." Besser bedient ist man da mit älteren Übersetzungen, etwa von Ingrid Rein, Michaela Messner oder Gladys von Sondheimer. (Oliver vom Hove, 29.7.2018)