Hetzjagden gehören für Ethan Hunt zur Routine:
In "M: I – Fallout" geht es über die Dächer Londons.

Foto: Paramount Picturs / Chiabella James

Er sei "brillant ausgebildet" und "hochmotiviert". Ein "Spezialist, der seinesgleichen sucht, immun gegen jeg lichen Angriff. Er kann jede Person werden, die er will."

Diese Lobeshymne des Schauspielers Alec Baldwin gilt nicht dem Kollegen Tom Cruise. Und schon gar nicht dessen Ausbildung und Wandlungsfähigkeit. Baldwin spielt vielmehr in Mission: Impossible – Rogue Nation den CIA-Chef Hunley, und sein als Warnung für den britischen Premier gedachtes Hohelied gilt dem Geheimagenten Ethan Hunt.

Doch Tom Cruise ist Ethan Hunt, und zwar seit mehr als zwanzig Jahren. Weshalb Baldwins Beschreibung dann doch wieder auf ihn zutrifft: Denn hochmotiviert ist der mittlerweile 56-Jährige in seiner Leib- und Lebensrolle unbedingt, immun gegen Angriffe von Kritik und Klatsch allemal. Nur als "lebende Manifestation des Schicksals" geht er vielleicht nicht durch.

Trailer zu "M:I – Fallout"
Paramount Pictures

Cruise ist vielmehr die lebende Manifestation eines Systems. Seit 1996, als er zum ersten Mal die neben James Bond wohl populärste Agentenrolle des Kinos übernahm, fungiert der US-Star auch als sein eigener Produzent. Wer also die Regie eines Mission: Impossible-Films übernehmen darf, bestimmt Cruise persönlich. Für die ersten beiden Teilen waren noch die Künste von Regieveteran Brian De Palma und des Hongkong-Ästheten John Woo gefragt, mittlerweile kommt die Auswahl eher einer Adelung gleich. Anlässlich des dritten Teils, zugleich seines Regiedebüts, meinte der Produzent und spätere Star Wars-Regisseur J. J. Abrams, er habe am ersten Drehtag mehr Leute am Set getroffen, als in seinem bisherigen Leben. Gedreht wurde am Tiber in Rom, weil sich Hunt in den Vatikan einschleicht, um dort einen Superschurken (Philip Seymour Hoffman) gefangen zu nehmen. Nachdem er in Berlin einen ganzen Industriekomplex in die Luft gejagt hat. Gekleckert wird in Mission: Impossible nie, geklotzt immer gekonnt.

Freudiger Stuntman

Daran wird auch in M:I – Fallout nicht gerüttelt. Dass für den sechsten und jüngsten Teil der Serie mit einem Budget von über 180 Millionen Dollar zum zweiten Mal hintereinander Christopher McQuarrie als Regisseur und alleiniger Drehbuchautor beauftragt wurde, kommt allerdings beinahe einem Systemwechsel gleich: Denn was die Serie bislang bestimmte, war die Vorgabe, ihren fixen Bau steinen – Klettern, Springen, Verfolgen – mit jeder neuen Ausgabe einen ebenso neuen Anstrich zu verpassen. Und jemanden zu finden, der die an diversen Weltschauplätzen gefilmten Actionszenen in eine möglichst plausi ble Geschichte packt.

Immer dort zur Stelle, wo man es braucht: das IMF-Team mit Simon Pegg (li.), Rebecca Ferguson und Ving Rhames bezieht im Kaschmir Stellung
Foto: Paramount Picturs / Chiabella James

Während Cruise, bekanntlich auch sein eigener freudiger Stuntman, auf Wolkenkratzern in Dubai herumturnt, aus dem explodierenden Kreml Geheimdokumente stiehlt, sich wie zuletzt in Rogue Nation von der Wiener Staatsoper abseilt und nun in Fallout aus 9000 Meter aus einem Flugzeug stürzt, muss sich also dafür jemand einen Grund einfallen lassen. Und das ist der wahre Hochseilakt: Robert Towne, mit Filmen wie Chinatown einer der renommiertesten Autoren Hollywoods und von Cruise für die ersten beiden Teile gebucht, wusste ein Klagelied darüber zu singen, was es bedeutet, sich zu vorab gefilmten Stunts eine sinnstiftende Erzählung auszudenken. Zum Beispiel eine Liebesdreiecksgeschichte zwischen Sevilla und Sydney.

Sei’s drum: Die Erzählung von M:I war immer schon ein auf dünnen Pfeilern gespanntes Netz, das den Helden mehr schlecht als recht aufzufangen hat.

Gute Miene beim bösen Spiel: In den Fängen von "White Widow" (Vanessa Kirby)
Foto: Paramount Picturs / Chiabella James

An diesem Grundrezept hält selbstverständlich auch Fallout fest – mit beachtlichem Ergebnis. Denn McQuarrie, der für Cruise schon Drehbücher wie den Stauffenberg-Film Operation Walküre und Jack Reacher geschrieben hat, knüpft nicht nur mit der Story direkt an den unmittelbaren Vorgänger Rogue Nation an (was Rebecca Ferguson als wiederkehrende Agentin Ilsa Faust hohe Leinwandpräsenz beschert), sondern treibt auch die Entwicklung der Figuren so weit voran, wie es ein solcher Film (noch) verträgt.

Natürlich steht die Welt auf dem Spiel. Und natürlich träumen die Bösen, die sich "Apostel" nennen, von deren Zerstörung, um sie danach ihren eigenen Vorstellungen entsprechend anzupassen. Die russischen Atomsprengköpfe dienen ihnen als Mittel zum Zweck, dem Film wiederum als reiner MacGuffin. Womit für Hunt und sein Team die dramaturgische Rutsche nach Paris, London und in den Kaschmir gelegt ist.

Letzter Kraftakt

McQuarrie setzt dabei auf sukzessive Beschleunigung, bei der sich die Ereignisse mindestens so oft überschlagen wie Hunt bei seinen unzähligen Abstürzen. Inklusive mit Hubschrauber über eine Felswand. Aber mal ehrlich: Wem sonst außer Cruise möchte man bei so etwas zusehen?

Die Männertoilette hat es nicht überlebt: CIA-Agent Walker (Henry Cavill) und Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) haben beim Aufräumen geholfen
Foto: Paramount Picturs / Chiabella James

Man kann im Laufe der Serie gut beobachten, wie die Anstrengung, die aus den Fugen geratene Welt noch mit einem letzten Kraftakt zusammenzuhalten, zunehmend größer wird. Hunt ist der Bewahrer dieser Ordnung, von der er jedoch selbst infrage gestellt wird. Cruise hat den ständigen Kampf gegen die Zeit – ohnehin wesentliches Charakteristikum des Actionfilms – längst verinnerlicht. Man braucht diese Filmserie nicht als den permanenten physischen Grenzgang eines Mannes zu lesen, der von Teil zu Teil älter wird. Man kann das aber tun.

In Fallout gibt es eine fantastisch choreografierte Szene, in der Hunt und sein ihm von der CIA zur Seite gestellter Kollege Walker (Superman-Darsteller Henry Cavill als Muskelprotz) auf einen feindlichen Spion treffen. Die Prügel, die Cruise minutenlang vom chinesischen Stuntman Liang Yang bezieht, während sich eine Herrentoilette in ihre Einzelteile auflöst, beschädigen in erster Linie das Ego.

Reine Camouflage

Mission: Impossible ist eine der erfolgreichsten Filmserien der Kinogeschichte, basierend auf der gleichnamigen TV-Serie aus den Sechzigern (in der die Worte Kobra, übernehmen Sie, wie der deutsche Titel behauptete, nie gefallen sind). Erhalten geblieben ist Lalo Schifrins legendär-markante Titelmelodie im 5/4-Takt und das Prinzip geheimagentlicher Verspieltheit. Zwar genügen dem IMF-Spezialteam, das Hunt zur Hand geht (und in dem mittlerweile der Brite Simon Pegg als nerdiger Sidekick fungiert), in der Regel wenige großangelegte Aktionen zur Weltenrettung, doch es ist das Zusammenwirken von futuristischer Technik und anachronistischer Camouflage, aus dem die Einsätze ihre Wirkung erzielen. Körpertechnik und Laptop, Schlagkraft und Finten, Akrobatik und Masken bestimmen das scheinbar immerwährende Spiel von Sein und Schein.


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Der Produzent und sein Regisseur: Tom Cruise mit Christopher McQuarrie
Foto: AP

Mission: Impossible ist Tom Cruise, und Tom Cruise ist Mission: Impossible. Kein anderer Filmstar hat es geschafft, sich eine gesamte Filmserie in diesem Ausmaß buchstäblich anzueignen. Cruise braucht längst niemandem mehr etwas beweisen, keinem Regisseur, keinem Produzenten, keinem Kollegen, keiner Oscar-Academy. Nur sich selbst. Das ist in Zukunft vielleicht die größte Herausforderung von allen.

Doch noch funktioniert die Maschinerie wie geschmiert: Fallout, erstmals in 3D gedreht, legte das beste Einspielergebnis der gesamten Serie am Startwochenende hin; wird, auch aufgrund der hervor ragenden Kritiken, wohl zum erfolgreichsten Teil.

Gleich geblieben ist die Botschaft, denn die von Mission: Impossible ist auch jene von Tom Cruise. Sie lautet: Alles ist machbar. Und zwar am Ende, wenn die unmögliche Mission möglich geworden ist, mit einem Grinsen, wie es nur Cruise zustande bringt. Für unsereins gilt das natürlich nicht, aber wir dürfen auch nicht entscheiden, ob wir den nächsten Auftrag annehmen wollen.

Dieser Artikel wird sich in fünf Sekunden selbst zerstören. (Michael Pekler, 1.8.2018)