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Vor einer Pressekonferenz in Brüssel zupft ein Herr vom EU-Protokoll den Union Jack zurecht. Ein symbolträchtiges Bild – auch wenn das in London nicht gerne gehört wird.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Mit 440 Millionen Menschen und als eine der größten Volkswirtschaften der Welt wird die EU auch nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs weltweit Gewicht haben. Großbritannien ist seit 45 Jahren EU-Mitglied. Wir haben gemeinsame Werte und gemeinsame Interessen. Das Vereinigte Königreich, Mitglied der G7 und des UN-Sicherheitsrates, kann für die EU ein wirtschaftlich und strategisch wichtiger Partner sein. Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage ist es in unserem Interesse, nicht nur als EU stark zu sein, sondern auch eng mit London zusammenzuarbeiten.

Zunächst müssen wir aber dafür sorgen, dass der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs geordnet verläuft. 80 Prozent des Abkommens über den Austritt sind ausgehandelt. Absoluten Vorrang hatte der Schutz der Rechte von über vier Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern im Vereinigten Königreich bzw. britischen Staatsangehörigen in der EU. Das Vereinigte Königreich will seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Ein Übergangszeitraum von 21 Monaten lässt Unternehmen und Verwaltungen genügend Zeit zur Umstellung, da das Vereinigte Königreich bis zum 31. Dezember 2020 im Binnenmarkt und in der Zollunion verbleiben würde.

Wir müssen uns aber noch in zentralen Punkten wie dem Schutz "geografischer Angaben" einig werden. Hierbei geht es um örtliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse wie Schottischer Whisky oder Parmesan. Europäische Landwirte und Erzeuger genießen einen nicht unerheblichen Schutz durch die EU. Wir brauchen Lösungen für britische Hoheitsgebiete auf Zypern. In Bezug auf Gibraltar laufen bereits bilaterale Verhandlungen zwischen Madrid und London.

Irland-Frage

Am kompliziertesten ist die Irland-Frage. Es darf keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland geben. Das Karfreitagsabkommen, das Nordirland Frieden und Stabilität gebracht hat, darf nicht gefährdet werden. Derzeit sind die Beziehungen zwischen Irland und Nordirland in den EU-Rahmen eingebettet. Da wir bis Herbst 2018 nicht wissen werden, wie sich die künftigen Beziehungen gestalten, brauchen wir eine Art Sicherheitsanker im Austrittsabkommen. Die EU und das Vereinigte Königreich haben erklärt, dass in Zukunft eine bessere Lösung gefunden werden könnte, die dieses Sicherheitsnetz überflüssig macht. Der Vorschlag der Europäischen Union sieht so aus, dass Nordirland im EU-Regelungsbereich für Waren und Zölle verbleibt. Zu Nachbesserungen sind wir bereit.

Wir müssen uns aber ganz allgemein Gedanken über unsere künftige Beziehung machen.

Eines ist klar: Wenn das Vereinigte Königreich den Binnenmarkt verlassen will, kann es dem Rest der EU wirtschaftlich nicht mehr so eng verbunden sein. Das Vereinigte Königreich will den Bereich verlassen, in dem Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital frei über nationale Grenzen hinweg zirkulieren können. Das ist das wirtschaftliche Fundament der EU. Dieses Fundament darf nicht ausgehöhlt werden.

Das Vereinigte Königreich weiß um die Vorzüge des Binnenmarktes, denn es hat in den vergangenen 45 Jahren unsere Regeln mitgestaltet. Durch einige britische Vorschläge würde unser Binnenmarkt aber ausgehöhlt. Das Vereinigte Königreich möchte zwar am freien Verkehr von Waren, nicht aber am freien Verkehr von Personen und Dienstleistungen festhalten. London will die EU-Zollvorschriften anwenden, ohne Teil der EU-Rechtsordnung zu sein. Wenn das Vereinigte Königreich die Souveränität und Kontrolle über seine Gesetze wiedererlangen will, so respektieren wir das. Das Vereinigte Königreich kann aber im Gegenzug nicht von der EU verlangen, dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Grenzen und Rechtsvorschriften aufgibt.

Grundsätze

Die Verhandlungen können zu einem guten Ergebnis führen. Es ist möglich, die Grundsätze der EU zu wahren und eine neue, umfassende Partnerschaft ins Leben zu rufen. Zu unseren Vorschlägen gehören ein Freihandelsabkommen mit Nullzollsätzen und ohne Mengenbeschränkungen für Waren, eine enge Zusammenarbeit in Zoll- und Regulierungsangelegenheiten sowie der Zugang zu Märkten für öffentliche Aufträge.

Im Sicherheitsbereich streben wir eine sehr enge Zusammenarbeit an. Hierzu gehören ein wirksamer Informationsaustausch und die enge Zusammenarbeit unserer Strafverfolgungsbehörden. Auch im Kampf gegen Verbrechen, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sollten wir zusammenarbeiten. Im Luftverkehr können wir Terroristen und Verbrecher leichter ausfindig machen, wenn wir DNA, Fingerabdrücke oder Fluggastdaten abgleichen.

Wenn diese Vorschläge im Vereinigten Königreich Gehör finden und wenn wir rasch Lösungen für die noch anstehenden Fragen des Austritts finden, dann bin ich überzeugt, dass die EU und das Vereinigte Königreich eine umfassende und einzigartige Partnerschaft eingehen können. (Michel Barnier, 1.8.2018)