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Ed Sheeran zählt zu den erfolgreichsten Popstars unserer Tage. Mit seinen 27 Jahren und nur drei nicht besonders originell betitelten Alben namens "+", "x" und ":" hat der Mann aus der englischen Grafschaft West Yorkshire mittlerweile zwischen 150 und 160 Millionen Alben verkauft. Sein Erfolgsgeheimnis beruht dabei auf einer einfachen Tatsache: Ed Sheeran macht absolut verhaltensunauffällige Musik für Menschen, denen Musik egal ist, die aber dennoch das Bedürfnis verspüren, Musik um sich zu haben.

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Ein Mann allein mit seiner Gitarre: Ed Sheeran steht im Pop für Ehrlichkeit und Authentizität. Das stimmt ja gar nicht!
Foto:AP/Chris Pizzello

Britische Journalisten haben ihn deshalb als Phil Collins unserer Tage bezeichnet. Wer ihn nicht mehr kennt: Phil Collins machte vor allem in den 1980er-Jahren Musik für Menschen, denen Musik vollkommen egal ist. Sie muss nur gut klingen.

Musik darf aber nicht egal sein, sie muss uns bewegen. In der Mitte zwischen Trost, Rat und Stärkung liegt ihre Kraft. Ein kleiner Test: Können Sie uns drei Lieder von Ed Sheeran vorsingen? Zumindest zwei? Eines? Wenigstens einen Refrain? Okay, Ed Sheeran macht alles richtig. Und er macht alles falsch.

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Wenn im Wiener Ernst-Happel-Stadion am Dienstag und Mittwoch jeweils kurz vor dem Konzert ein Roadie auf die Bühne kommt, der aussieht, als ob er gerade bei Ihnen daheim einen Wasserrohrbruch repariert hätte, ist das kein Bühnentechniker. Der Mann, der da seine Gitarre anstöpselt, ist der Star des Abends.

Um Gottes willen! Diese Nichtinszenierung mag daheim in Halifax am Wochenende im Pub um die Ecke durchgehen. Dort sorgen bekanntlich junge Menschen mit Wandergitarren regelmäßig dafür, dass das Publikum aus Verzweiflung über zu Tode gespielte Lieder wie Das Haus von Rocky Tocky hat vieles schon gesehen ..., Country Roads oder English Men san very good, very good for Hollywood noch mehr als üblich konsumiert – bevor man sich gegenseitig mit Dartpfeilen zu erschießen versucht.

Ed Sheeran

Auf einer Stadionbühne geht so ein Solokonzert natürlich gar nicht. Pop verlangt Inszenierung. Weniger ist in diesem Genre niemals mehr. Weniger ist weniger. Wir wollen Backgroundsänger, die Feuer speien, und hundert Tänzer, die zu diesen herzigen Balladen Bäume umsägen, schön choreografiert Abflussrohre verlegen oder lasziv verstopfte Siffons von Waschbecken reinigen. Es muss halt einfach groß sein. Ed Sheeran hat nicht einmal eine Begleitband. Die kommt bei ihm aus der Steckdose, aus einem Gerät namens Loopstation. Er bedient es mit dem Fuß. Das ist Sparen am falschen Platz.

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Apropos Styling und Inszenierung: Ed Sheeran hatte 2017 einen kurzen Gastauftritt in der beliebten Fantasy-Fernsehserie Game of Thrones. Die spielt in einem imaginären Mittelalter. Ed Sheeran war in der Geschichte der Serie der einzige Mitwirkende, der für seine Rolle nicht geschminkt werden musste. Statt Flanellhemd musste er sich nur einen Kartoffelsack überziehen. Geht doch! Dass er zuvor 2013 für den ähnlich gearteten Blockbuster Der Hobbit: Smaugs Einöde den Titelsong I See Fire beisteuerte, versteht sich fast schon von selbst.

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Ed Sheeran sorgt zwar als Songschreiber und Kollaborateur mit Hochglanz-Popstars wie Taylor Swift, Justin Bieber oder Beyoncé für diese Kundschaft für so etwas Ähnliches wie Bodenhaftung und Authentizität mit würzigem Raucharoma vom Lagerfeuer. Authentisch ist bei Ed Sheeran allerdings ungefähr so viel wie bei Bruce Springsteen. Der Held der amerikanischen Arbeiterklasse hat auch nie Wasserrohrbrüche behoben oder Bremsscheiben bei Pickup-Trucks ausgewechselt. Ed Sheeran macht seit seinen Teenagerjahren professionell Musik. Das ist doch keine richtige Arbeit!

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Viele Menschen beschweren sich über Helene Fischers Künstlichkeit und darüber, dass sie nur ein industriell gefertigtes Fließbandprodukt sei. Wo Helene Fischer pro Song aber höchstens mit einer Handvoll Texter und Komponisten pro Lied auskommt, stellt Ed Sheeran mit dem auf seinem aktuellen Album ":" enthaltenen Song Galway Girl einen neuen Rekord auf. Gezählte neun Leute im Kreativteam brauchte es, um die drei Minuten nachkolorierte irische Postkartenidylle aus dem Photoshop in den Kasten zu bringen. Natürlich klingt das Ganze wie Malen nach Zahlen. Und: Ed Sheeran kommt gar nicht aus Irland. Er stammt aus Halifax, West Yorkshire, und lebt in London. Die echten Iren werden sich bei ihm schön bedanken. (Christian Schachinger, 6. 8. 2018)