Knock-out durch Migräne: heftig pulsierende Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit, Übelkeit, Erbrechen. Ein neues Medikament soll manchen Patienten das Leben erleichtern.

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Manchmal reicht schon die Freude auf ein Treffen mit Freunden, auch Entspannungsphasen nach Stresssituationen können eine Migräne-Attacke triggern. Heilen lässt sich die Krankheit nicht, aber es gibt mittlerweile Wege, um die Häufigkeit und Schwere von Migräne-Attacken zu verringern. Das Prophylaxe-Therapiespektrum bestand bislang aus nichtmedikamentösen Behandlungsoptionen und Migräne-unspezifischen Medikamenten, die eigentlich für die Therapie anderer Erkrankungen wie etwa Bluthochdruck, Epilepsie oder Depressionen zugelassen wurden. Doch dann zeigten sie auch positive Effekte bei Migräne. Trotzdem ist die medikamentöse Prophylaxe bis dato eher unbefriedigend.

Die Mittel haben teilweise sehr unangenehme Nebenwirkungen wie Benommenheit, Müdigkeit, Mundtrockenheit und Gewichtszunahme. Zudem vergehen rund zwei bis drei Monate, bis ihre Wirkung einsetzt. Seit 30. Juli ist das Migräne-spezifische Medikament Aimovig in der EU für die Migräne-Vorbeugung bei chronischer und episodischer Migräne zugelassen. Aber nur für Patienten mit mindestens drei bis vier langanhaltenden Migräne-Attacken pro Monat, die durch Akutmedikamente nicht ausreichend behandelbar sind. Der Hoffnungsträger, der zwischen 6.000 und 7.000 Euro pro Jahrestherapie kostet, wird als Lösung einmal im Monat unter die Haut injiziert.

Aimovig erweitert für einen Teil der Migräne-Patienten das medikamentöse Spektrum. Aber eben nur für einen Teil. Warum? "Migräne ist eine sehr komplexe Erkrankung und wird durch 38 interagierende Risikogene beeinflusst. Dadurch gibt es mannigfaltige Entstehungsmechanismen, die zu verschiedenen Ausprägungen führen. Heute sind 45 verschiedenen Migräne-Unterformen bekannt", sagt der Neurologe, Schmerztherapeut und Psychologe Hartmut Göbel, Direktor der Schmerzklinik in Kiel. Deshalb ist Aimovig auch nur bei einem Teil der Patienten wirksam – und zwar immer dann, wenn das Polypeptid CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) bei der Migräne-Entstehung ursächlich eine wichtige Rolle spielt. "Hohe Werte des Botenstoffs CGRP feuern die Migräne an", sagt der Neurologe Christian Wöber, Leiter der Kopfschmerzambulanz am AKH Wien.

Kaum Nebenwirkungen

Hinter dem Namen Aimovig verbirgt sich der zielgerichtete monoklonale Antikörper Erenumab, der den Rezeptor für CGRP blockiert. CGRP macht die Nerven überempfindlich, ist stark gefäßerweiternd und an der Schmerzverarbeitung beteiligt. Wenn Erenumab den CGRP-Rezeptor blockiert, wird es abgeschwächt oder sogar wirkungslos.

Aimovig soll die Zahl der monatlichen Attacken und deren Schwere verringern. In den früheren Zulassungsstudien für die USA reduzierte hochdosiertes Erenumab (140 Milligramm) bei 955 Betroffenen mit episodischen Attacken die monatliche Dauer im Mittel um 3,7 Tage, in der 70-Milligramm-Dosierung um durchschnittlich 3,2 Tage – beides im Vergleich zu 1,8 Tagen in der Placebo-Gruppe. Demnach bringt Aimovig im Schnitt ein bis zwei zusätzliche Migräne-freie Tage.

"Aimovig senkt bei etwa 50 Prozent der Patienten die Häufigkeit der Migräne-Attacken um 50 Prozent und kann zudem die Schwere der Attacken reduzieren", berichtet Wöber. Mit einer 70-Milligramm-Dosierung traf dies für etwas mehr als 43 Prozent der Patienten zu, in der Placebo-Gruppe waren es 26,6 Prozent. Bei einigen wenigen Patienten verschwinden die Attacken sogar ganz. Anderen wiederum kann der Antikörper überhaupt nicht helfen. "Die in Studien ermittelten Werte sind Durchschnittswerte, in die auch diese Non-Responder eingerechnet sind", sagt Göbel.

Ähnliche Wirksamkeit

Bei einer zweiten, zwölf Wochen dauernden Studie mit 667 Patienten, die an chronischer Migräne leiden und mit dem Medikament (140 Milligramm) behandelt wurden, hatten diese innerhalb von drei Monaten durchschnittlich 6,6 Migräne-Tage pro Monat weniger. Das sind zweieinhalb Migräne-Tage weniger als Patienten, die ein Placebo erhielten. Die Schwere der Attacken verringerte sich auch hier. Aimovig bringt im Mittel also nicht mehr als bereits verfügbare vorbeugende Medikamente. "Bei den Durchschnittspatienten ist die Wirksamkeit ähnlich wie bei den gängigen Prophylaxe-Medikamenten", erklärt Göbel.

Doch Aimovig hat Vorteile: "Es ist viel besser verträglich, verursacht nicht mehr Nebenwirkungen als die Einnahme eines Placebos, etwa eine Rötung an der Injektionsstelle und leichte Verstopfung", sagt Wöber. Außerdem wirke es bereits nach ein paar Tagen, während bei Betablockern und den anderen unspezifischen Medikamenten zur Migräne-Prophylaxe zumindest vier Wochen vergehen. Zudem führen Nebenwirkungen und langsamer Wirkungseintritt nicht selten zum Therapieabbruch. Bei Aimovig dürfte dagegen die Abbruchrate ziemlich niedrig sein. "Aber", so der Wiener Migräne-Experte, "es sind noch Langzeitbeobachtungen nötig."

Drei weitere Antikörper

Der an der Migräne-Entstehung beteiligte Botenstoff CGRP hat eine Reihe physiologischer Effekte. "Er erweitert die Blutgefäße und steuert so die Durchblutung", erklärt Wöber. Deshalb gebe es noch Bedenken. "Wir können heute noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sich die Blockade des CGRP und damit die gehemmte Gefäßsteuerung negativ auswirken", so Wöber. Bei Patienten mit Angina pectoris wurde laut Wöber die Wirkung von Aimovig untersucht, und es gab keine nachteiligen Effekte. "Bei Patienten mit Arteriosklerose ist es aber sicher ratsam, vorsichtig zu sein."

Es ist zu erwarten, dass bald drei weitere Antikörper für die Migräne-Prophylaxe zugelassen werden. Sie richten sich direkt gegen den Botenstoff CGRP. Einer der Aspiranten ist Fremanezumab, das alle drei Monate oder monatlich zu spritzen ist. Auch hier gilt, dass der Effekt im Mittel nicht größer ist als jener der herkömmlichen Medikamente zur Vorbeugung von Migräne-Attacken. Doch wie bei Aimovig gibt es eine Untergruppe von Patienten, die stärker davon profitieren.

Die neuen Antikörper bereichern die Migräne-Prophylaxe zweifellos. "Die gängigen Medikamente werden trotzdem ihren Stellenwert behalten. Die Krankenkassen werden eine Einschränkung auf die für Aimovig geeigneten und besonders Migräne-geplagten Patienten machen", sagt Wöber. Bislang gibt es dazu noch keine Regelung. Wenn das Medikament ab September verfügbar ist, werden Wöber zufolge die behandelnden Ärzte für ihre Patienten einen ausführlich begründeten Antrag auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse stellen müssen. (Gerlinde Felix, 18.8.2018)