Tausende Menschen marschieren Richtung Ecuador und Peru, bevor die Länder ihre angekündigten Einreiseverschärfungen in Kraft setzen.

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Ein schwerer Erdstoß erschütterte am Mittwoch die Nordostküste Venezuelas. Mit der Stärke 7,3 war es das schwerste Beben des südamerikanischen Landes seit 1900. Aber die Bevölkerung dürfte laut ersten Berichten glimpflich davongekommen sein. Es wurden keine Todesopfer und nur kleine Schäden an Gebäuden gemeldet.

Experten warnen bereits länger, dass das Land mit seiner leeren Staatskasse nur schlecht auf eine Naturkatastrophe reagieren kann. Die Vorräte an Medikamenten und Verbandsmaterial in Spitälern sind knapp, Ambulanzen sind nicht fahrtüchtig, und Nahrungsmittel sowie Trinkwasser sind zu Luxusgütern geworden.

Laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wird die Inflation des Landes bis zum Jahresende noch eine Million Prozent erreichen.

2,3 Millionen auf der Flucht

Die Venezolaner packen zu Tausenden ihre Sachen und flüchten in die Nachbarländer und weiter. Vergangene Woche schätzten die Vereinten Nationen, dass 2,3 Millionen Menschen aus Venezuela im Ausland leben, davon haben 1,6 Millionen das Land in den vergangenen zweieinhalb Jahren verlassen. Das ist die größte Migrationsbewegung in der jüngeren Geschichte Lateinamerikas.

Doch in den Aufnahmeländern werden sie im Gegensatz zu früher nicht mehr mit offenen Armen empfangen. In Brasilien beantragte die Regierung des Bundesstaats Roraima beim Obersten Gerichtshof einen Aufnahmestopp der Migranten. Innerhalb des Landes herrscht Streit darüber, welche Bundesstaaten wie viele Menschen aufnehmen müssen.

In der Grenzstadt Pacaraima war es am Wochenende eskaliert: Bewohner zündeten die Unterkünfte und Habseligkeiten der Geflohenen an. Hunderte Menschen jagten sie über die Grenze zurück nach Venezuela. Doch der Fremdenhass hält die Migranten nicht davon ab, es wieder zu versuchen. Schwangere Frauen etwa fliehen nach Brasilien, um dort ihr Baby zur Welt zu bringen. "Mein Kind wäre gestorben, wenn ich geblieben wäre", sagte eine Frau zur New York Times: "In Venezuela gibt es weder Nahrungsmittel noch Medizin und keine Ärzte." Rund drei venezolanische Frauen gebären täglich in Brasilien.

Geplanter Migrationsgipfel

Die Regierungen in Ecuador und Peru kündigten an, die Einreisebestimmungen für Menschen aus Venezuela zu verschärfen. Das führte dazu, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg in die Länder machten, um noch vor der geplanten Änderung über die Grenze zu gelangen. Das Außenministerium Ecuadors lud in einer Aussendung am Dienstag die Staats- und Regierungschefs von 13 lateinamerikanischen Ländern nach Quito ein. Von 17. bis 18. September soll in der ecuadorianischen Hauptstadt ein Gipfel zur Flüchtlingsproblematik auf dem Kontinent stattfinden. "Es ist der Moment, in dem wir Meinungen austauschen müssen, um zu sehen, wie andere Staaten damit umgehen", sagte ein hochrangiger Beamter in Ecuador zu Medien: "Das Schlimmste, was passieren kann, ist ein Migrationschaos."

Kolumbien forderte wiederholt von den Vereinten Nationen einen Sonderbeauftragten für die Migrationskrise. Außenminister Carlos Holmes Trujillo will sein Gesuch in den kommenden Tagen persönlich vor UN-Generalsekretär Antonio Guterres bringen. Das ehemalige Bürgerkriegsland Kolumbien hat mehr als 800.000 Menschen aufgenommen.

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro macht einen "Wirtschaftskrieg" unter US-Führung für die wirtschaftliche und soziale Krise in seinem Land verantwortlich. Kritiker geben der Wirtschaftspolitik des Präsidenten die Schuld, der im Vorjahr das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet hat. (Bianca Blei, 22.8.2018)