Roboter bei den Technologiegesprächen.

Foto: Forum Alpbach / Andrei Pungovschi

Das Bällebad musste von Scherben befreit werden.

Foto: Forum Alpbach / Andrei Pungovschi

Wer dieser Tage nach Alpbach fährt, kommt an einer Vielzahl von Präsidenten kaum vorbei. Das nach dem Tiroler Bergdorf benannte "Europäische Forum Alpbach", wo sich jedes Jahr im August Experten aus allen wissenschaftlichen Fakultäten, Politiker und Wirtschaftsleute mit hunderten Studierenden treffen, um die Weltlage auszuloten, steuert auf seinen Höhepunkt zu – auch in der medialen Wahrnehmung.

Samstagabend hält Bundespräsident Alexander van der Bellen zur Halbzeit die Eröffnungsrede beim "Politischen Gespräch". Das generelle Leitthema lautet – wie bei den Gesundheits- und Technologie- oder den nachfolgenden Wirtschafts- und Finanzgesprächen – "Diversität und Resilienz", also Vielfalt und die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen.

Das idyllische Ambiente von Alpbach inmitten der Kitzbüheler Alpen.
Foto: Forum Alpbach / Andrei Pungovschi

Es geht um das gemeinsame Europa – und den Brexit. Van der Bellen wird an das Prinzip der Achtung vor der Vielfalt und der Freiheit des Denkens, der Anschauungen wie der Völker erinnern. Der Bundespräsident tritt mit drei weiteren Staatspräsidenten auf: Borut Pahor, Aleksandar Vucic und Hashim Thaci, die Staatsoberhäupter von Slowenien, Serbien und dem Kosovo. Ihr Thema: die Zukunft des Westbalkans, die EU-Beitrittsperspektive. Wie kann die Staatengemeinschaft zusammenhalten?

Müßiggang für neue Ideen

Bei derart prominentem Andrang scheint klar, dass das Forum besser blüht und gedeiht denn je. Die Zahlen sind eindrucksvoll: Insgesamt 5000 Teilnehmer verzeichnen die Veranstalter. Die Teilnahme an einer "Gesprächsreihe" kostet 800 Euro. Rund 700 Studierende aus 92 Ländern der Erde sind dabei, mit einem Stipendium ausgestattet. Das Kernstück neben den öffentlichkeitswirksamen Debatten sind die Seminare, die Arbeitsgruppen. Professoren, Experten, Mitarbeiter aus fast allen internationalen Organisationen referieren zumeist ohne Gage.

Das ist das Geheimnis von Alpbach. Der Geist geht auf Sommerfrische. Man sucht den Müßiggang, um in einer intellektuell anspruchsvollen, zeitlich begrenzten Zweckgemeinschaft zu debattieren, auf neue Ideen zu kommen. Am Abend darf gefeiert werden.

Seit 1945 geht das nun schon so, als man ganz klein mit ein paar Dutzend Teilnehmern anfing, ohne Fernsehen und Kommerz. Aber die Veranstaltung scheint jedes Jahr größer, überladener zu werden, so wie das zum zweiten Mal ausgebaute Kongresshaus, wie Kritiker anmerken. Das "kleine" Gespräch komme zu kurz.

Das Grundprinzip ist gleichgeblieben. Fachübergreifend werden beim Forum aktuelle Probleme, Lösungen für die Zukunft erörtert, um die Gesellschaft "besser zu machen". So haben das die Gründungsfiguren gewollt, die im zerstörten Österreich die Zukunft suchen wollten. Viele Geistesgrößen haben das Forum mitgeprägt, angefangen mit dem Physiknobelpreisträger Erwin Schrödinger, dem Philosophen Karl Popper.

Zwischen Party und Panel: Vor allem fürs Networking lohne sich Alpbach, meinen Kenner.
Foto: Forum Alpbach / Andrei Pungovschi

Hier hat Kanzler Bruno Kreisky mit Finanzminister Hannes Androsch in den 1970er-Jahren halbe Regierungsprogramme verkündet. Kanzler Helmut Kohl trug seine Ideen vor. In Alpbach wurden legendäre Debatten geführt, etwa, als der tschechische Premier und spätere Präsident Václav Klaus noch vor der Euroeinführung Bedenken gegen die Einführung der Gemeinschaftswährung vortrug. Er sollte zum Teil recht behalten.

Vor ein paar Jahren kam EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Weil er von den neugierigen Studenten so angetan war, verlängerte er, um mit ihnen in die Berge zu wandern – zum Gedankenaustausch.

Kritik der Kämmerer

Dennoch sorgte vor einer Woche die Kritik eines Vielfachpräsidenten, von Harald Mahrer, für Irritation. Der Chef der Wirtschaftskammer, nun auch designierter Präsident der Nationalbank, zog die WKÖ-Subventionen zurück. Begründung: Das Forum sei zu wenig innovativ. "Wir sehen keinen Mehrwert für uns", zitierte ihn der Kurier. Das Konzept des Symposiums erscheint Mahrer als veraltet, die Organisation sei kompliziert, die Inhalte zu wenig progressiv. Da er ein enger Vertrauter von Bundeskanzler Sebastian Kurz ist und auch Industriellenvereinigung und Erste Bank ihre Zuwendungen strichen, machten Gerüchte die Runde, die türkis-blauen Machthaber wollten das ehrwürdige "Alpbach" abdrehen.

Forum-Präsident Fischler bleibt gelassen: Das Budget betrage rund drei Millionen Euro und werde zu 95 Prozent über Private, Sponsoren und Teilnehmergebühren aufgebracht, nur zu einem kleinen Teil über staatliche Einrichtungen. Es gehe nicht um "große Paukenschläge". Alpbach sei "Davos für Arme", meint ein Kenner des Forums in Anspielung auf das gigantomanische Weltwirtschaftsforum in der Schweiz. Dort müssen Teilnehmer tausende Franken auf den Tisch legen, Großkonzernchefs und Premierminister fliegen im Dutzend per Privatjet ein.

Fischler will auf ganz anderen "Mehrwert" setzen. Schon Vorgänger Erhard Busek hatte in den 1990er-Jahren initiiert, dass tausende Studierende aus Südosteuropa per Stipendium nach Tirol kamen, Netzwerke knüpften. Diese studentische Tradition soll nun mit einem Stipendien-rogramm für Teilnehmer aus Afrika und Asien ausweitet werden. Und der Forum-Präsident engagiert zunehmend Kulturschaffende, künstlerische Interventionisten wie den designierten Burgtheaterdirektor Martin Kusej – ein Unbequemer. (Thomas Mayer, 25.8.2018)