Die griechische Küche ist nicht mein Spezialgebiet. Außer einem Aufenthalt in einem All-inclusive-Club auf Rhodos im Volksschulalter war ich nie in dem Land. Meine Erfahrungen beschränken sich großteils auf eine Taramasalata-Phase in den 1990ern und einige Souflaki-Spieße in Wiens angeblich ältestem griechischem Lokal, das auch Lachsspaghetti und Pfeffersteak auf der Karte hat.

Dass sie nun trotzdem in dieser kleinen Europaserie vorkommt, verdankt sich vor allem dem Herrn S. Der hat mir begeistert von einem Gericht erzählt, das seiner Meinung nach herausragt aus dem – zu Recht oder nicht – ein wenig verschrienen Kanon der griechischen Küche; ein spannendes, originelles und mitunter köstliches Gericht, das in Griechenland allgegenwärtig, außerhalb aber kaum zu finden sei: Stifado. Weil mich das doch neugierig gemacht hat, haben wir uns darangemacht, es nachzukochen. Und Herr S. hat recht behalten.

Foto: Tobias Müller

Sie können sich Stifado als Mischung aus Glühwein und Fleischeintopf vorstellen. Ich meine das im bestmöglichen Sinn: Der Eintopf ist mittelalterlich in seinem großzügigen Gewürzeinsatz und dem Vermengen von süß und salzig. Er vibriert von den vielen verschiedenen Aromen, dank der langen Schmorzeit und der vielen Zwiebeln verhalten sich die einzelnen Gewürze allerdings nicht aufdringlich, sondern sorgen für geschmackliche Wucht und Komplexität im Hintergrund. Nur die ganz eigene Schärfe des Piments war deutlich präsent. Unmengen an Zwiebeln und eine Extraportion Honig sorgen für eine Süße, die zwar auffällt, aber nicht plump oder gefällig wirkt.

Stifado soll auf das 14. und 15. Jahrhundert zurückgehen, eine Zeit, in der Griechenland stark venezianisch geprägt war. Im Lauf der Jahrhunderte hat er/es sich zu einem Klassiker der griechischen Hausmannskost entwickelt. Es ist ein bisschen so etwas wie die griechische Version des Gulaschs und definiert sich eher über den großzügigen Zwiebeleinsatz denn über das verwendete Fleisch. In modernen Stifados landet meistens Huhn oder Rindfleisch, traditionell wird der Eintopf aber mit ganzen, in Stücke gehauenen Kaninchen zubereitet. Genau so haben wir es gehalten.

Das Fleisch des kleinen Mannes

Das Kaninchen war neben dem Huhn lange das Fleisch des kleinen Mannes (und der kleinen Frau). Es kann problemlos hinterm Haus in einer Kiste gehalten und mit Küchenabfällen und Unkraut gefüttert werden, und weil es ein sehr guter Futterverwerter ist, reichen sogar vergleichsweise wenige Abfälle, um ein Kilo Kaninchenfleisch zu ernten. (Weil das In-der-Kiste-Halten nicht sehr nett ist zum Kaninchen, einem leidenschaftlichen Wühler und Tunnelgraber, achtet der finanziell bessergestellte Stifado-Freund darauf, wo seines herkommt.)

Kaninchen ist mild im Geschmack und daher wunderbar geeignet als Bühne für eine mittelalterliche Gewürzorgie. Gleichzeitig ist es doch charaktervoll genug, um nicht ganz unterzugehen (der Herr Fink hat es einmal als "komplexes Huhn" bezeichnet). Aller Tradition zum Trotz haben wir den Rücken ausgelöst und nicht mitgeschmort, sondern kurz vor dem Servieren extra gebraten – es wäre uns zu sehr leid gewesen um das zarte Fleisch. Mein liebster Teil war aber, wie so oft, nach dem Schmoren der Bauch: saftig, für ein Kaninchen erstaunlich üppig, einfach gut.

Weil wir beide vorher noch nie Stifado gekocht hatten, haben wir uns im Internet ein wenig nach Rezepten umgesehen, der Herr S. hat zudem Fani, eine Freundin in Griechenland, mehrmals und ausgiebig per SMS befragt. Wir haben uns schließlich für diese Version als grobe Vorlage entschieden – weil Text und Zutatenliste vernünftig klangen und jemand kein ganz schlechter Koch sein kann, der Bücher mit dem Namen "Duck, duck, goose" und "Buck, buck, moose" veröffentlicht.

Mit dem Ergebnis waren wir höchst zufrieden – bloß über einen Punkt konnten wir uns nicht einigen: Soll Stifado am Ende mit etwas Oregano oder Rosmarin abgerundet und veredelt werden? Ich halte ja Rosmarin für den Speck unter den Kräutern (wenn man ihn irgendwo reingibt, dann schmeckt das Ergebnis nach nichts anderem mehr), der Herr S. und seine Griechin sind trotzdem der Meinung, dass er dazugehört. Wir haben das Dilemma gelöst, indem wir einfach zwei verschiedenen Saucen gemacht haben. Halten Sie das, wie Sie wünschen.

Jannis, ein lieber griechischer Freund, der so nett war, zum Stifadoessen zu kommen (und ganz nach meinem Geschmack gegen den Rosmarin und für den Oregano gestimmt hat), hat unser Stifado übrigens höflich und ausgiebig gelobt. Bloß auf Nachfrage hat er angemerkt, dass seine Mutter es mit mehr Gewürzen gekocht und mit mehr Sauce serviert hätte. Wir leben und lernen, wie die Australierin sagt.

PS für jene, die nicht selber kochen wollen: Das entzückende Kafeneon serviert gelegentlich Stifado, und wenn nicht das, dann auf jeden Fall andere griechische Hausmannskost weit jenseits von Souflaki-Fadesse. Jannis meint schwärmerisch, es schmecke dort genauso wie bei seiner Oma. Mitte September sperrt das Lokal nach der Sommerpause wieder auf.

Stifado für fünf bis sechs Personen

Der Herr S. hat eine Auswahl an Zwiebeln für unseren Stifado-Versuch zusammengekauft. Als sehr gut geeignet hat sich die Sorte Stuttgarter Riese erwiesen, weil diese, ganz gegen ihren Namen, eher kleinwüchsig ist und in Form und Größe einer Perlzwiebel recht nahekommt (die wiederum ideal wäre, in Wien aber so gut wie nicht zu bekommen ist). Wer keinen Stuttgarter Riesen oder andere murmelgroße Zwiebeln findet, greift am besten zu Schalotten.

Foto: Tobias Müller

Weil ich keine Ahnung von Stifado hatte, habe ich zunächst noch zusätzlich zu den bloß geschälten ganzen Zwiebeln auch zwei Zwiebeln nebst etwas Zeller und Karotten klein gehackt, angebraten und mitgeschmort. Anders als beim mitteleuropäischen Gulasch werden die Zwiebeln für Stifado aber nicht klein geschnitten, um irgendwann zu zerfallen und die Sauce sämig zu machen, sondern ganz belassen oder nur in grobe Stücke zerteilt. Stifado wird stets suppig und mit reichlich Brot zum Auftunken serviert. Der Herr S. war so nett, mein gehacktes Gemüse nach etwa einer Stunde Schmorzeit wieder rauszusieben. Dass es einmal drin war, hat dem Geschmack allerdings sicher nicht geschadet.

2 Kaninchen aus guter Haltung

1 kg kleine Zwiebeln, am besten Perlzwiebeln, notfalls Schalotten

4 reife Paradeiser, auf einer Reibe gerieben, sodass die Schale zurückbleibt (oder eine Dose geschälte Paradeiser)

Suppengemüse (zwei große Zwiebeln, ein Stück Zeller, zwei Karotten ...)

10–15 Pimentkörner, gemahlen

7–10 Lorbeerblätter

1–2 Stangen Zimt

Salz und Pfeffer

Eine Handvoll getrockneter Oregano und/oder Rosmarin

Viel weiches Weißbrot zum Auftunken der Sauce

Die Kaninchen zerlegen: überschüssiges Fett, vor allem aus dem Bauchraum, abschneiden und aufheben. Hinter- und Vorderläufe abtrennen, die Bauchlappen abschneiden.

Foto: Tobias Müller

Die Rückenfilets auslösen, salzen und für später in den Kühlschrank stellen. Die Karkassen in vier handliche Stücke hauen. Die Nieren und Lebern kurz mit etwas Oregano in Butter braten und heiß sofort genießen.

In einer großen, schweren Pfanne das Kaninchenfett auslassen und bei Bedarf etwas Olivenöl zugießen. Bei mittlerer Hitze die Vorder- und Hinterläufe auf beiden Seiten schön braun braten und herausnehmen.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

In derselben Pfanne die geschälten ganzen Zwiebeln ebenfalls auf beiden Seiten braun braten und herausheben.

Foto: Tobias Müller

Schließlich die gehackten Karkassen rundum ordentlich Farbe nehmen lassen und herausheben. Bei Bedarf währenddessen Öl nachgießen oder mit etwas Rotwein die Pfanne deglacieren.

Foto: Tobias Müller

In der Pfanne nun die gehackten Suppengewürze und die Gewürze kurz anrösten.

Foto: Tobias Müller

Die gebräunten Karkassen wieder zugeben, mit einer Flasche Rotwein aufgießen und auf hoher Hitze einkochen lassen, bis nur mehr etwa 1/3 der Flüssigkeit übrig ist. Mit der Hühnersuppe und den Paradeisern aufgießen und etwa eineinhalb Stunden auf niedriger Flamme sanft köcheln lassen.

Alles abseihen, die Knochen und das Gemüse entfernen und die Fleischteile mit den Hinter- und Vorderläufen, den Bauchlappen und den Zwiebeln wieder in die Pfanne geben. Zugedeckt bei niedriger Hitze weitere eineinhalb bis zwei Stunden schmoren, bis alles wunderbar weich ist. Zehn Minuten vor dem Servieren mit dem Oregano würzen und noch etwas köcheln lassen.

Foto: Tobias Müller

Kurz vor dem Servieren die Filets scharf anbraten, in Stücke schneiden und gemeinsam mit dem Stifado und reichlich Weißbrot zum Tunken der Sauce servieren. (Tobias Müller, 2.9.2018)

Weitere Beiträge zum Thema "Europa isst":

Bacalao: Der Prosciutto des Meeres

Pizza backen im Grill

Wie man gute Croissants hinbekommt

Das Wiener Schnitzel im Automat Welt