Die Idee, die Sonne mit einer Art Trick dazu zu zwingen, länger als vorgesehen unser irdisches Treiben mit Naturlicht zu fluten, ist ein wenig unlauter.

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Gerüchte über die Ablehnung der Zeitumstellung durch die EU-Bürger sind durch kein Zeitloch, sondern durch ein Info-Leck gesickert. Das Ansinnen einer erklecklichen Zahl von EU-Bürgern, die Sommerzeit verewigen zu wollen, setzt nicht nur Produzenten der süßen, rahmigen Kuhmilch unter Druck. Exakt seit 1980 ist das heimische Vieh Ungemach gewöhnt. Ab dem letzten Sonntag im März jedes Jahres werden die zum Platzen prallen Euter eine geschlagene Stunde früher als üblich erleichtert.

Selbstverständlich lassen sich biologische Funktionen den Erfordernissen der Zeit anpassen. Doch die temporale Situation bleibt unerquicklich. Allein, was man alles verschläft! In Kafkas "Die Verwandlung" erwacht ein junger Mann eines Morgens, bloß um festzustellen, dass er sich in einen abstoßenden Käfer verwandelt hat. Jemand wechselt komplett sein Wesen – und ist wegen der dummen Nacht- und Schlafenszeit, die damals in Prag galt, gar nicht richtig dabei gewesen!

Der Algerier wäre unversehrt geblieben

Viele Autoren trauen dem Fluss der Zeit ohnehin nicht über den Weg. Man denke an Albert Camus‘ "Der Fremde". In diesem famosen Stück Weltliteratur blendet die annähernd im Zenit stehende Sonne den Algerienfranzosen Meursault derart, dass er einen namenlosen Araber über den Haufen schießt. Natürlich brennt die Sonne über viele Stunden gleichmäßig auf Algerien nieder. Aber wer weiß: Wäre sie aufgrund einer entsprechenden Sommerzeitregelung noch nicht so weit den Himmel hochgeklettert gewesen, Meursault hätte seinen Colt nicht gezogen, der Algerier wäre unversehrt geblieben, und uns wären einige Seelenqualen erspart geblieben.

Die Idee, die Sonne mit einer Art Trick dazu zu zwingen, länger als vorgesehen unser irdisches Treiben mit Naturlicht zu fluten, ist ein wenig unlauter. Die Zeit ist entweder unumstößlich, oder sie verdient es nicht, dass sich alle wie die Sklaven nach ihr richten.

Noch möchte die EU-Kommission mit dem Befragungsergebnis zur Sommerzeit nicht recht herausrücken. Doch vielleicht rührt dieser Umstand nur daher, dass ihre leitenden Beamten so oft die Nacht zum Tag machen. (Ronald Pohl, 29.8.2018)