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Angriff auf Polizisten beim "Trauermarsch" in Chemnitz.

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Auf fünf Demonstranten kam ein Polizist bei dem Großeinsatz zur Sicherung und Überwachung des von AfD und Pegida organisierten Aufmarsches in Chemnitz am Samstag.

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Auch Martin Sellner, der Anführer der österreichischen "Identitären Bewegung", nahm an dem Aufmarsch teil.

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Chemnitz/Berlin – Bei den jüngsten Protesten in der ostdeutschen Stadt Chemnitz mit tausenden Teilnehmern verschiedener Lager sind am Samstag mindestens 18 Menschen verletzt worden. Unter ihnen seien auch drei Polizeibeamte, teilte die Polizei Sachsen am Sonntag mit. Die Zahl der Teilnehmer an den Demonstrationen korrigierte sie deutlich auf mehr als 11.000 nach oben.

Eine Großkundgebung unter dem Motto "Herz statt Hetze" richtete sich gegen Fremdenfeindlichkeit, eine große AfD-Kundgebung machte gegen Migration mobil. Die Polizei hatte alle verfügbaren Kräfte von Bund und Ländern zusammengezogen, insgesamt waren den neuen Angaben vom Sonntag zufolge 2.000 Kräfte im Einsatz.

Auch Anzeigen wegen Körperverletzung

Am Sonntagmittag lagen der Polizei 37 Strafanzeigen vor, vor allem wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Straftaten nach dem Versammlungsgesetz. Diese Zahl könne noch steigen, erklärte die Polizei. Für sie gelte es nun, rasch zu ermitteln, insbesondere den Angriff auf die Gruppe des SPD-Bundestagsabgeordneten Sören Bartol.

Bartol hatte am Samstag auf Twitter geschrieben, seine Gruppe aus Marburg sei auf dem Weg zum Bus "von Nazis überfallen" worden. Alle SPD-Fahnen seien zerstört worden, einige seiner Begleiter seien sogar körperlich angegriffen worden. Es gab auch Angriffe auf Journalisten.

Nach Auflösung der Demo kommt es zu Pöbeleien.
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Rangeleien mit der Polizei lieferten sich auch Teilnehmer aus einer Gruppe von 300 Personen, die versucht hatten, zu einer Versammlung der AfD vorzudringen, wie die Polizei weiter mitteilte. Die Beamten sicherten wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs die Personalien der Betroffenen.

Afghane angegriffen

Abseits der Demonstrationen wurde ein 20-jähriger Afghane von vier vermummten Personen angegriffen und geschlagen. Er erlitt leichte Verletzungen. Die Polizei prüft, ob es sich bei den Tätern um ehemalige Versammlungsteilnehmer handelt.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte mehr Einsatz der Bürger für Demokratie und gegen Rassismus. "Es hat sich in unserer Gesellschaft leider eine Bequemlichkeit breitgemacht, die wir überwinden müssen", sagte der SPD-Politiker der "Bild am Sonntag". "Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. Die Jahre des diskursiven Wachkomas müssen ein Ende haben."

Siemens-Chef warnt

Siemens-Chef Joe Kaeser befürchtet wegen der ausländerfeindlichen Ausschreitungen negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. "Wir exportieren in Deutschland nicht nur Produkte, sondern auch Werte. Wir tragen eine besondere Verantwortung wegen unserer Geschichte, das dürfen wir nicht vergessen", sagte der Manager den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Montag. "Vorfälle wie die in Chemnitz schaden dem deutschen Ansehen in der Welt. Da gibt es kein Vertun."

Die Ausschreitungen könnten auch Auswirkungen im Ringen deutscher Unternehmen um Fachkräfte haben. Das sei ein Thema, das man ernst nehmen müsse, sagte Kaeser. "Wir haben über 378.000 Kollegen weltweit und fast 130.000 in Deutschland. Alle diese Mitarbeiter müssen sich wohlfühlen, egal welcher Herkunft sie sind." Die Vielfalt der Mitarbeiter sei ein Teil der Stärke von Siemens. "Deswegen müssen wir Werte wie Offenheit und Toleranz auch in eigenem Interesse fördern."

Rechte Netzwerke prüfen

Die Ermittlungen in Chemnitz müssen laut der deutschen Justizministerin Katarina Barley nun aufklären, inwieweit rechtsextreme Netzwerke hinter den Demonstrationen und ausländerfeindlichen Ausschreitungen stecken. "Wir dulden nicht, dass Rechtsradikale unsere Gesellschaft unterwandern", sagte die SPD-Politikerin der "Bild am Sonntag". Der Generalbundesanwalt beobachte die Ereignisse sehr genau und tausche sich mit den sächsischen Behörden eng aus. "Es geht darum herauszufinden, welche Organisationen hinter der Mobilisierung rechter Gewalttäter stecken."

In Chemnitz war vergangenes Wochenende ein 35-jähriger Deutscher getötet worden. Zwei Männer aus Syrien und dem Irak sitzen deswegen in Untersuchungshaft. Danach kam es zu Demonstrationen in der Stadt, an denen sich gewaltbereite Rechtsextreme beteiligten. Dabei gab es auch Angriffe auf Ausländer. (APA, dpa, 2.9.2018)