Ein Billigsdorferbalkon wie aus dem Baumarkt.

Foto: Wojciech Czaja

Ein Jugendstilhaus, ...

Foto: Initiative Denkmalschutz

... das längst Geschichte ist.

Foto: Initiative Denkmalschutz

Und ein neugotisches Wohnhaus, das Stück für Stück zerstört wird.

Foto: Georg Scherer
  • Mariahilfer Straße 166–168: Die Fenster im zweiten Stock wurden rausgerissen. An einigen Fensterachsen haben die Bauarbeiter im noch vermieteten Haus händisch den gründerzeitlichen Stuck abgeschlagen.
  • Rückertgasse 29: An einer Stelle wurde der Stuck entfernt, um Platz zu machen für Balkonanbauten aus Trapezblech und verzinktem Stahl, die ausschauen wie eine Billigsdorferlösung aus dem Baumarkt.
  • Unter-Meidlinger Straße 103: In den kommenden Monaten soll das ockerfarbene Eckhaus aufgestockt werden. Auf der vom Makler angeschlagenen Bautafel sieht man, wie der Fassadenschmuck in großen Teilen abgeschlagen werden soll.
  • Heigerleingasse 20–22: Im Juni wurde innerhalb einer Woche ein ganzes Jugendstilhaus von Architekt Wenzel König abgerissen. Bis zuletzt war das 1906 errichtete Wohnhaus intakt und im Originalzustand erhalten.
  • Radetzkystraße 24–26: Während noch acht unbefristete Hauptmieter im 170 Jahre alten neugotischen Haus an der Ecke zum Donaukanal wohnen, lässt der Eigentümer das Dach abtragen, die Fenster rausreißen und Teile der Fassade in sich einstürzen. Ein Teil des Hauses steht unter Wasser, die noch verbleibenden Bewohnerinnen haben ihren Möbeln bereits Regenjacken angezogen.

In den vergangenen Monaten hat sich das gründerzeitliche Wien, wie es scheint, zur perfekten Kulisse für ein Sequel des Hollywood-Thrillers Demolition Man gemausert. Die Sylvester Stallones der Immobilienbranche reißen ihre alten Häuser nieder, schlagen Schönheiten ab, picken die Fassaden mit erdölreichem Sondermüll zu, stocken auf, was die Bauordnung gerade noch erlaubt, und schrauben Eisenschrott an die Mauer, um ihre Wohnungen dank privaten Freiraums noch teurer vermieten zu können.

Die wirtschaftlichen Interessen der Grundstückseigentümer und Investoren sind legitim, keine Frage. Die Pflege und Instandhaltung historischer Häuser ist ein Fulltime-Job – und aufgrund des laut Mietrechtsgesetz gedeckelten Richtwert-Mietzinses für Altbauten in vielen Fällen ja nicht einmal ein besonders lukrativer. Doch ist das Grund genug, der Stadt mit Baggerschaufel und Vorschlaghammer Stück für Stück ihre über Jahrzehnte, über Jahrhunderte gewachsene Identität zu rauben?

Gesichtslose Investorenhäuser

"In der wachsenden Stadt ist die Nachfrage nach Wohnraum massiv gestiegen", sagt Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrums Wien (AzW). "Dabei steigt das Spannungsverhältnis zwischen Wohnen als leistbarem Grundrecht und Wohnen als Ware in Form von Anlageprodukten für all jene, die ins Betongold flüchten."

Grundsätzlich spreche nichts dagegen, das Wien der Gründerzeit oder auch der Nachkriegsmoderne weiterzudenken, und Veränderung müsse nicht Abriss heißen. Doch wenn man Bestand abreiße, müsse etwas Hochwertigeres nachkommen. "Das ist nicht immer der Fall. Vor allem dort nicht, wo Projekte wie eine gebaute Excel-Tabelle wirken."

Die gesichtslosen Investorenwohnhäuser, die längst nicht nur auf die Peripherie beschränkt sind, sondern mehr und mehr in die engen Gassen der Innenbezirke vordringen, haben die Stadt schon jetzt massiv verändert. Wurden 2001 in Wien noch 35.000 vor 1919 errichtete Gebäude statistisch erfasst, so betrug die Zahl zehn Jahre später nur noch 32.400 Häuser.

In der Kulturgut-Datenbank der Stadt Wien scheinen aktuell nur noch 27.000 Häuser aus dieser Epoche auf. Tendenz weiterhin fallend. Aus den Zahlen lässt sich ein konstantes Abbruchverhalten herauslesen.

300 Abbrüche pro Jahr

"Pro Jahr werden in Wien rund 300 Altbauten abgerissen", bestätigt Nikola Prajo, Juniorchef im Abbruchunternehmen Prajo’s, auf Anfrage des STANDARD. "Und ja, ich gebe zu, da sind immer wieder wunderschöne Häuser dabei, die in einem so guten Zustand sind, dass einem das Herz zu bluten beginnt."

In den letzten Wochen vor dem Sommer, erzählt Prajo, habe die Zahl der Anfragen und Abbrüche dramatisch zugenommen. Der Grund: Mit der am 1. Juli 2018 in Kraft getretenen Bauordnungsnovelle benötigen Häuser, die vor 1945 errichtet wurden, ab sofort eine Abbruchbewilligung. Dann entscheiden die Magistratsabteilungen 19 (Stadtgestaltung) und 37 (Baupolizei), ob in Zusammenhang mit dem Gebäude, wie Franz Kobermaier, Leiter der MA 19, formuliert, ein "öffentliches Interesse an der Wirkung auf das örtliche Stadtbild" besteht oder nicht.

Damit ist das Abbrechen von nun an etwas komplizierter als bisher. "Die Novelle kommt zu spät", beklagt sich Markus Landerer, Obmann des Vereins Initiative Denkmalschutz, der diese Woche wieder einmal getagt hat, um der Stadt und der Immobilienbranche ein schlechtes, ein sehr schlechtes Zeugnis auszustellen.

Halb zerstörtes Biedermeierhaus

"Wir fordern schon seit langer Zeit, die Vorschriften zu verschärfen und sensible Stadträume vermehrt als Schutzzonen zu definieren. Zumindest besteht Hoffnung, dass es jetzt besser wird." Wird es das wirklich? In der Karolinengasse 13 wurde – kurz bevor die Baupolizei per 1. Juli 2018 einen Abbruchstopp verhängt hat – schnell noch kaputtgemacht, was kaputtzumachen war.

Denn je mehr zerstört ist, umso größer die Chance, dass das Haus laut Bauordnungsnovelle keine positive Wirkung mehr auf das örtliche Stadtbild hat. "Hier ist keine Granate eingeschlagen und auch kein Gasherd explodiert", steht auf einem Zettel, der vor dem halb zerstörten Biedermeierhaus im Wind flattert. "Hier hat sich nur einer ausgetobt, der vom Wohnraummangel profitiert."

Dem Bundesdenkmalamt seien die Hände gebunden, meint der Wiener Landeskonservator Friedrich Dahm, weil viele Häuser wie etwa jenes neugotische Kleinod in der Radetzkystraße die Kriterien für eine Unterschutzstellung nicht erfüllen. In der Bauordnung wiederum können nur geschlossene Ensembles, nicht aber Einzelobjekte zur Schutzzone erklärt werden.

Und die bösartige Zerstörungswut der Eigentümer, die zuletzt so groß war, dass den Wiener Abbruchunternehmen kurzfristig sogar die Bagger ausgegangen sind, lässt für die Zukunft der kulturellen DNA dieser Stadt Schlimmes erahnen.

Tiefer geht's nimmer

Alles Einzelfälle, keine Frage, und nichts an alledem ist illegal – wiewohl sich im Falle der Radetzkystraße, wo das Haus in bewohntem Zustand angeknabbert wird, wo den letzten verbleibenden Bewohnern in der Nacht die Sicherungen rausgedreht werden, wo Wasserschäden, klatschnasse Tapeten und sich langsam ablösende Wandfarbe bewusst herbeischikaniert werden, das Gegenteil vermuten ließe. Die Ethik und Moral vieler Eigentümer ist im gesellschaftlichen Keller angekommen. Tiefer geht’s nimmer.

Möchte man das Problem lösen, so wird der einzige Weg sein, das längst veraltete Mietrechtsgesetz neu zu schreiben – und den Eigentümern historischer Häuser endlich zu erlauben, angemessene Mieten einzunehmen, um sie auf diese Weise sogleich in die Pflicht zu nehmen, ihre Häuser angemessen zu pflegen und ihrer kulturellen Verantwortung nachzukommen.

Jetzt ist die Politik gefragt. Die Rufe der Betroffenen werden immer lauter und lauter. Sollte die Legislative dieser Forderung nicht nachkommen, so ist dies langfristig betrachtet ein Verbrechen an der Stadt. (Wojciech Czaja, 8.9.2018)