Der Wirt des koscheren Chemnitzer Lokals Schalom, Uwe Dziuballa. Drei Tage nach dem Angriff auf sein Lokal durch zwölf Maskierte tauchte die Kripo auf. Er schrieb an Sachsens Ministerpräsidenten.

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Chemnitz/Berlin/Wien – "Sollten die Berichte zutreffen, haben wir es mit einer neuen Qualität antisemitischer Straftaten zu tun. Hier werden die schlimmsten Erinnerungen an die Dreißigerjahre wachgerufen", sagte der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Felix Klein, der Welt am Sonntag. Klein kommentierte den Angriff auf ein jüdisches Lokal in Chemnitz im Zuge der Ausschreitungen in der sächsischen Stadt am 27. August. Der Vorfall wurde erst Ende letzter Woche öffentlich bekannt.

Schwarz gekleidet, maskiert

Der Wirt des Restaurants Schalom, Uwe Dziuballa, hörte am 27. August Geräusche auf der Terrasse und entdeckte dort ein Dutzend schwarz gekleideter, maskierter Personen, wie er in einem WDR-Bericht erzählt. Sie warfen mehrere Gegenstände gegen das Gebäude, eine Fensterscheibe ging kaputt. Dziuballa, den sie "Judensau" schimpften, wurde an der Schulter getroffen.

Der Wirt erstattete Anzeige. Die herbeigerufene Polizei sei zwar sofort gekommen, die Kriminalpolizei aber erst nach drei Tagen, um die bei der Attacke verwendeten Steine, Flaschen und ein abgesägtes Stahlrohr anzusehen.

Dziuballa berichtete auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in einem Brief von dem Vorfall. Mit dem Angriff auf das Schalom erhalten die Ausschreitungen durch gewaltbereite Neonazis in Chemnitz eine weitere Facette.

Innenausschuss im Bundestag

Gleichzeitig erhöht sich der Druck auf den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der in der Bild-Zeitung seine Skepsis über die Echtheit der Berichte und Videos über Hetzjagden auf Migranten in Chemnitz geäußert hatte. Er zog ein Gespräch mit der Boulevardzeitung einem Bericht an das Bundeskanzleramt vor. Kanzlerin Angela Merkel reagierte verärgert und verlangte, wie auch die FDP, von Maaßen Belege für seine Behauptung. Doch dieser schwieg das ganze Wochenende. Ein Schweigen, das er bald brechen muss, da die Regierungsparteien nun von Maaßen fordern, im Innenausschuss des Bundestages Beweise vorzulegen.

Maaßen hat in Deutschland nun eine Diskussion darüber entfacht, wie geeignet er noch dafür ist, den Staat zu schützen. Michael Götschenberg, ARD-Experte für Terrorismus und Innere Sicherheit, nennt ihn einen "Kronzeugen für den rechten politischen Rand", SPD und Grüne forderten am Wochenende seinen Rücktritt. "Entweder Maaßen legt diese Woche klare Belege für seine Behauptungen der letzten Tage vor, oder er ist in seinem Amt nicht mehr zu halten", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nur Maaßens Chef, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), steht noch hinter ihm.

Auch der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, kritisierte am Sonntag Maaßen: "Die Bestrebungen der Verfassungsbehörden, die Vorfälle offensichtlich zu bagatellisieren, lassen mich ernsthaft an der Arbeit dieser Behörden zweifeln."

Ein Österreicher, der auf Maaßens Seite steht und Medienberichte über Ausschreitungen Chemnitz als Lügen bezeichnet, ist Martin Sellner von der Identitären Bewegung Österreich.

Kranker Sellner in Chemnitz

Er marschierte am 1. September in Chemnitz mit, und zwar krank, wie er in seinem Videoblog mehrmals betonte. Mit einem "Magen-Grippalen-Angina-Pectoris-Effekt" (sic!). Das Treffen mit den deutschen Kameraden dürfte nicht zur Genesung beigetragen haben. Auf dem Weg zurück nach Österreich habe er "die ganze Nacht durchgespieben", wie er die Welt via Youtube wissen ließ. (Colette M. Schmidt, 9.9.2018)